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Sommer E. Cucuel

die bildhübsche, abgebaute Stenotypistin Mizzi
Leichtfuß und schuf ihr ein Dauerzelt im ersten
Stock seines Vorderhauses; es war ihm nämlich
geglückt, dem geldbedllrftigen Mieter ein sehr
geräumiges Eckzimmer abzukaufen. Mit Hilfe
eines verständnisvollen Architekten wurde zu-
nächst eine unmittelbar zur Treppe führende Tür
gebrochen und die seitliche Verbindungstür schall-
dicht zugemauert. Durch Ziehen neuer Wände
wurde dann ein Vorraum, ein Klosettchen und
eine Ankleidekabine mit laufendem Wasser ge-
wonnen; alles in winzigen Maßen, aber unge-
mein anheimelnd. Zugleich stiftete Herr Samuel
für die blauäugige Blondine eine zu ihr passende
Zimmereinrichtung aus lichtem Kirschbaumholz
mit himmelblauen Bezügen, darunter als Haupt-
stück ein nach Maß gefertigtes, imposantes Ver-
wandlungsbett, das schon in der harmlosen
Diwanform tagsüber die Ernstlichkeit seiner Be-
stimmung nicht verbarg. Sonst sah kein Möbel-

stück oder Gerät nach irgendeiner Arbeitsabsicht
der Inwohnerin aus; auf dem niedlichen
Schreibtisch siedelten sich in rascher Folge die
allerneuesten Romane an, deren temperament-
volle Umschlagzeichnungen nicht gerade einen
klösterlichen Inhalt vermuten ließen. Fräulein
Mizzi sollte nach dem ausdrücklichen Willen ihres
Schußherrn weder ihre schlanken Hände noch ihr
ponymäßiges Bubiköpfchen irgendwie anstrengen,
weil so etwas nur ihren Charme beein-
trächtigt hätte; sie hatte keine andere Lebens-
aufgabe, als bei seinen Besuchen möglichst lieb
zu sein. Herr Samuel hatte ständig die neuesten
Witze aus Vorrat, konnte auch die alltäglichen
Sachen sehr buntfarbig daherbringen und spielte
in seiner Lebhaftigkeit förmlich Theater. Wenn
einmal zwischen den Hauptaktionen eine ab-
flauende Pause entstanden war, griff Fräulein
Mizzi nach ihrer diskreten Handbibliothek und
las eine besonders würzige Duoszene vor, bis

die Stimmung wieder in Schwung kam. Nicht
vergessen fei, daß Herr Samuel immer herrlichen
gemischten .Aufschnitt und Konfekt mitbrachte,
was alles von Fräulein Mizzi höchst ästhetisch
zum Tee serviert wurde.

Im Sommer reiste Herr Samuel zur Ein-
dämmung seines Spitzbauches nach Karlsbad
und beauftragte seinen noch leidlich schlanken
jüngeren Bruder, Fräulein Mizzis „Geist" der-
weilen angemessen zu beschäftigen. Herr Isaak
fand bei ihr mit reichlichen Kinobilletts und
Schlagrahmtorten ungeheuer rasch ein zärtliches
Echo. Er hielt es für eine unglaubliche Härte,
daß ein so liebenswertes Persönchen einen vollen
Monat leerstehen solle und wurde schon nach
einer Woche, als er beim Zurechtmachen des
Verwandlungsbettes half, von Mitgefühl über-
wältigt. Fräulein Mizzi tröstete sich in den fol-
genden wonnevollen Wochen über ihre Weich-
herzigkeit mit der Erwägung, daß sie ja im eng-

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Eduard Cucuel: Sommer
 
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