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Name Leichtfuß gar nicht vorfand. Gleich darauf
suchte er die erschrockene Mizzi auf und verfaßte
ein kleines Protokoll, wonach im Zimmer zwar
eine Schreibmaschine, aber keine Nähmaschine
und keinerlei fertige oder halbfertige Konfektions-
ware zu finden fei. Fräulein Mizzi fügte etwas
betreten zu: sie arbeite zurzeit mehr als Privat-
sekretärin und habe gestern alles abgeliefert.

Die Brüder Schönbart wurden sehr nervös.
Nach 3 Tagen erhielten sie ein Schreiben des
Finanzamts mit der Frage, wie es komme, daß
ihre Privatsekretärin Mizzi Leichtfuß nicht in den
Geschäftsräumen der Firma arbeite. Ihre höfliche
Antwort lautete: „Wir beehren uns, ergebenst zu
erwidern, daß es bei der vertraulichen Natur
dieser Arbeiten sowie aus Raumgründen gänzlich
ausgeschlossen ist, sie in unserem regulären
Kontor oorzunehmen. Hochachtungsvollst Ge-
brüder Schönbart." Kaum war diese Antwort
abgegangen, so erhielt Fräulein Mizzi eine
Ordnungsstrafe von 50 Mark zudiktiert für Nicht-
beantwortung der Frage nach ihrer speziellen
Arbeit. Der Dreibund geriet in höchste Auf- ■
regung, die sich zum Entseßen steigerte, als der
Firma nach 4 Tagen folgender Bescheid zugestellt
wurde: „Das Finanzamt erblickt in dem unter-
nommenen Versuch, die gelernte Stenotypistin
Mizzi Leichtfuß ausschließlich als „Heim-
arbeiterin" hinzustellen, ein unlauteres Manöver.
Offenbar besteht ihre Hauptbeschäftigung darin,
fortlaufend zu umfangreichen Finanzgeschäften,
Börsenspekulationen u. dgl. die Korrespondenz
zu führen. Der Anstellungsvertrag gibt sogar
die sehr bezeichnende Tatsache, daß sich die Herren
Firmeninhaber planmäßig nach bestimmten
Wochentagen in die Bearbeitung teilen. Die
Intensität des Betriebs erhellt ohne weiteres aus
dem Zugeständnis der Privatsekretärin, daß es
manchmal für sie „alle Arme voll zu tun gebe".
Wenn die Herren Firmeninhaber eigens auf die

„vertrauliche Natur" dieser Arbeiten Hinweisen,
ohne sie einwandfrei aufklären zu können, so
müssen eben die verschwiegenen Nebengeschäfte
steuerlich erfaßt werden. In der Ueberzeugung,
daß eine ganz beträchtliche Steuerhinterziehung
inmitte liegt, erhöht das Finanzamt hiermit die
Einkommensteuervorauszahlung für das laufende
Vierteljahr um den Betrag von 3000 Mark.
Scharff, Regierungsrat."

Die Brüder tobten und klagten wie die
kummervollsten Propheten des alten Bundes.
Herr Samuel rannte mit Fräulein Mizzi zu
Rechtsanwalt Fr. Faxenheim. Dieser galt als
ungewöhnlich verschmitzter Diplomat; seine Haupt-
waffe war lächelnde Gemütlichkeit. Er erklärte
den Karren für vollständig verfahren; im Augen-
blick wisse er selber keinen Ausweg, um dem
Finanzamt das Mißtrauen ohne neue ander-
weiüge Kompromittierung auszureden. Immer-
hin erbot er sich, schon am Nachmittag sondierend
mit dem Regierungsrat zu sprechen.

Um vier Uhr rückte er ohne Aktenmappe und
ohne Steuergesetzbücher an, zunächst bloß auf die
Macht seines Mundwerks und die Ueberzeugungs-
kraft seiner Gebärden vertrauend. Er hörte die
sehr spitz daherkommenden Vorhalte mit dem un-
gläubigsten Gesichtsausdruck an und erwiderte:
„Herr Regierungsrat, für die absolute Korrekt-
heit der Herren Schönbart lege ich meine Hand
ins Feuer. Das hohe Finanzamt ist auf falscher
Fährte. Können Sie sich nicht denken, daß die
Herren rein als Privatmenschen etwas Diskretes
zu arbeiten haben?" Der Regierungsrat un-
willig drängend: „Also bitte endlich: was machen
die Herren bei dem Fräulein?" Dr. Faxenheim:
„Es handelt sich um Bemühungen zur Abwehr
des Antisemitismus. Leider sind es bis jetzt nur
müßige Stilübungen, wie ich gleich Nachweisen
kann." Mit diesen Worten zeigte er dem Re-
gierungsrat fünf vorgedruckte Ablehnungen aus

den Feuilletonredaktionen bedeutender Blätter.
Einmal stand dazu geschrieben: „Die allzu be-
tonte jüdische Einstellung macht den Artikel für
uns unverwendbar." (Fräulein Mizzi hatte näm-
lich zur Einweihung der Schreibmaschine ein
paar jüdische Witze eingesandt.) Der Regierungs-
rat konnte nach Einsichtnahme ein Schmunzeln
nicht verbeißen und schien mit einem Schlage um-
gestimmt zu sein. Dr. Faxenheim fuhr fort: „Die
Herren zahlen tatsächlich drauf. Angesichts des
obendrein erlittenen Mißtrauens wollten sie dem
Fräulein sofort außerordentlich kündigen. Effekt:
Der Fiskus verliert die sonst glatte Einkommen-
steuer aus ihren monatlichen 200 Mark und das
Heer der Arbeitslosen wird um ein wirklich tüch-
tiges Mädel vermehrt!" Darauf der Regierungs-
rat mit sozialem Unterton: „Das will ich natür-
lich nicht haben. Ich bitte meinen Bescheid gegen
die Firma und meine Geldstrafe gegen das Fräu-
lein als gegenstandslos zu betrachten; eine solche
Eigenart des Falls konnte ich wirklich nicht ver-
muten. Richten Sie den Herren offiziell aus: sie
sollen sich von diesem Arbeitsgebiet nicht ab-
halten lassen. Unter uns gesagt: Der Anti-
semitismus wird ja manchmal zu weit getrieben."
Gnädiger Händedruck. Auf dem Gang prustete
Dr. Faxenheim los ...

Der Dreibund, nunmehr unter staatlicher Pro-
tektion, feierte eine Freudennacht mit Kaviar und
Rheinwein: so stimmungsvoll, so quietschfidel,
daß es bald im verwegensten Sinne drunter und
drüber ging. Zu guter Letzt verlas Fräulein
Mizzi einen Postaufgabeschein auf 5 Mark
40 Pfennig, welche sie als Kirchensteuer bereit-
willigst an den Sprengel des hl. Benno gesandt
hatte; die Herren Samuel und Isaak zogen
automatisch ihre Börsen und stritten sich mit
lallenden Zungen um die Ehre des Ersatzes. Und
da faselt man immer noch von gesunkener
Steuermoral!

Am Strande Zeichnung von G. Nyman*n=Eg

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Greta Nyman-Egbert: Am Strande
 
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