Strand bei matter Sonne G. Nyman^Egbert
Wei! - Heim
Von
Richard Huldschiner.
Heim nennt man das Haus oder die Wohnung des Künstlers. Er hat
kein Haus, keine Wohnung, keine Bleibe, er ist der ewig Unbehauste, denn
er hat ein Hei m. Jede illustrierte Zeitschrift, die sein Bild bringt, ihn in
der Plauderecke seines Arbeitszimmers darstellend, wird es dir bestätigen,
daß dieses sein Heim ist, und daß er darin weilt. Er hält sich nicht auf,
er wohnt nicht, er weilt. Zum mindesten, wenn es ein richtiger Künstler
ist, also vom Film oder so. Oder auch ein Boxer. Künstler, die nicht sehr
viel Geld verdienen, sind keine Künstler und zählen nicht mit. Sie können
weder ein Heim haben noch darin weilen. Die illustrierte Zeitschrift ver-
mag also auch ihr Bild nicht zu bringen, womit von vornherein erwiesen
ist, daß sie überhaupt nicht existieren.
Zwei große Klassen von Menschen sind auf diese Weise unterschieden: die
nicht existente, namen- und heimlose Masse, die langweilt, und jene Aus-
erwählten, die in ihrem Heim weilen. Denn dazu ist ein Heim ausschließ-
lich da, zum Weilen, höchstens noch zum Sich-drin-photographieren-lassen.
Der drahthaarige Fox „Gritty" liegt in ihrem Schoß oder der Scotch-
Terrier „Wiebel" dient dabei ihrer Herrlichkeit als Schemel. Ist der
Künstler eine Sie, so lächelt sie mit ihren Perlenzähnen das verführerischste
Lächeln, als Folie zum neuesten Schnitt ihres Bubikopfs. Sie hat natür-
lich ein ,,tea-gown“ an (Modell Maison Adele), von jener raffinierten
Schlichtheit, die ihn viel Geld gekostet hat. Sie kann sich's leisten, denn sie
weilt und das, was um sie herum ist, das ist ihr Heim. Sie selbst aber wird,
falls die Zeitschrift dichterischen Ehrgeiz hat, als das dazu gehörige Heim-
chen bezeichnet, Heimchen am Herd.
Denn sie kocht auch, wenn der Photograph der Meinung Ausdruck
gegeben hat, haß es sie gut kleidet. Sie bindet dann eine Art Feigenblatt
um, ein Schürzchen nämlich, und tut so, als ob sie in einem Topf etwas
rühren müßte; in der Küche ihres Heims. Oben verzweifelt derweil der
Gatte; er fürchtet, er wird davon essen müssen. Ein Kuß der Gattin -
diese Szene wird im Boudoir des Heims gestellt, wo die berühmter
Meißner Gruppen die Vitrinen erfüllen — ein Kuß, wie gesagt, beruhigt
ihn: der Tops war leer, das Essen kocht schon die Köchin. Die Kuß-Szene
wird für den Photographen selbstverständlich nur dann gestellt, wenn auch
der Gatte einem Heim wohl ansteht und vielleicht seinerseits zu jenen Aus-
erwählten gehört, die gleichfalls berechtigt sind zu weilen.
Weilen ist gleichbedeutend mit Sich-photographieren-lassen. Die Be-
rühmtheit des Künstlers ist proportional der Menge der Bilder, die von
ihm — dem in seinem Heim Weilenden — in den Blättern erscheinen.
Frauen werden öfter photographiert, darum sind sie weitaus berühmter
als Männer. Männer können auch weder ein tea-gown anlegen, noch
Bubikopf tragen, solange wenigstens nicht, als die Glatze noch nicht als
solche gerechnet wird. Männer gehören mehr zur nicht-existenten Klasse.
Es sei denn, daß es sich um Boxer oder Tenöre handelt, die wiederum
nicht in ihrem Heim weilend dargestellt werden, sondern bei aufregenden
sportlichen Unternehmungen, beim Forellenfang im Gebirge oder in der
Segeljacht auf dem lieblichen Tegernsee oder dem wildromantischen Walchen-
see oder gar dem männermordenden Nordmeer, bei Nord-Ost-Südsturm.
. Auch die weiblichen Berühmtheiten werden gelegentlich vom Photo-
graphen aus ihrem Heim in die ungestellte, wirklich natürliche Natur
hinausgehetzt, sei es zu Pferde (wobei man ihre Reithose bewundern darf)
oder mit Skiern bewaffnet oder gar bei Ersteigung des Pik von Tenerifa,
worauf sie hinterher zur Belohnung in der hall des Hotels weilen dürfen
und dort in anmutiger Haltung beim Einnehmen des Tees photographiert
werden.
Nein, es ist keine Kleinigkeit, jenes aufreibende Leben zu führen, das
darin besteht, sich für tout Europa, noch besser für Amerika, dauernd in
charakteristischen Stellungen photographieren lassen zu müssen. Es ist kein
Vergnügen, sondern ernste Arbeit. Und man begreift, daß so ein Dasein
gut bezahlt werden muß. Wohl dem Armen, der nicht immer weilen muß,
weder in seinem Heim, noch anderswo, der nicht einmal weilen kann, weil
er nur eine Zweizimmerwohnung hat und weil sein Hund pyr ein Ratller-
Pinsch-Dackel ist!
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Wei! - Heim
Von
Richard Huldschiner.
Heim nennt man das Haus oder die Wohnung des Künstlers. Er hat
kein Haus, keine Wohnung, keine Bleibe, er ist der ewig Unbehauste, denn
er hat ein Hei m. Jede illustrierte Zeitschrift, die sein Bild bringt, ihn in
der Plauderecke seines Arbeitszimmers darstellend, wird es dir bestätigen,
daß dieses sein Heim ist, und daß er darin weilt. Er hält sich nicht auf,
er wohnt nicht, er weilt. Zum mindesten, wenn es ein richtiger Künstler
ist, also vom Film oder so. Oder auch ein Boxer. Künstler, die nicht sehr
viel Geld verdienen, sind keine Künstler und zählen nicht mit. Sie können
weder ein Heim haben noch darin weilen. Die illustrierte Zeitschrift ver-
mag also auch ihr Bild nicht zu bringen, womit von vornherein erwiesen
ist, daß sie überhaupt nicht existieren.
Zwei große Klassen von Menschen sind auf diese Weise unterschieden: die
nicht existente, namen- und heimlose Masse, die langweilt, und jene Aus-
erwählten, die in ihrem Heim weilen. Denn dazu ist ein Heim ausschließ-
lich da, zum Weilen, höchstens noch zum Sich-drin-photographieren-lassen.
Der drahthaarige Fox „Gritty" liegt in ihrem Schoß oder der Scotch-
Terrier „Wiebel" dient dabei ihrer Herrlichkeit als Schemel. Ist der
Künstler eine Sie, so lächelt sie mit ihren Perlenzähnen das verführerischste
Lächeln, als Folie zum neuesten Schnitt ihres Bubikopfs. Sie hat natür-
lich ein ,,tea-gown“ an (Modell Maison Adele), von jener raffinierten
Schlichtheit, die ihn viel Geld gekostet hat. Sie kann sich's leisten, denn sie
weilt und das, was um sie herum ist, das ist ihr Heim. Sie selbst aber wird,
falls die Zeitschrift dichterischen Ehrgeiz hat, als das dazu gehörige Heim-
chen bezeichnet, Heimchen am Herd.
Denn sie kocht auch, wenn der Photograph der Meinung Ausdruck
gegeben hat, haß es sie gut kleidet. Sie bindet dann eine Art Feigenblatt
um, ein Schürzchen nämlich, und tut so, als ob sie in einem Topf etwas
rühren müßte; in der Küche ihres Heims. Oben verzweifelt derweil der
Gatte; er fürchtet, er wird davon essen müssen. Ein Kuß der Gattin -
diese Szene wird im Boudoir des Heims gestellt, wo die berühmter
Meißner Gruppen die Vitrinen erfüllen — ein Kuß, wie gesagt, beruhigt
ihn: der Tops war leer, das Essen kocht schon die Köchin. Die Kuß-Szene
wird für den Photographen selbstverständlich nur dann gestellt, wenn auch
der Gatte einem Heim wohl ansteht und vielleicht seinerseits zu jenen Aus-
erwählten gehört, die gleichfalls berechtigt sind zu weilen.
Weilen ist gleichbedeutend mit Sich-photographieren-lassen. Die Be-
rühmtheit des Künstlers ist proportional der Menge der Bilder, die von
ihm — dem in seinem Heim Weilenden — in den Blättern erscheinen.
Frauen werden öfter photographiert, darum sind sie weitaus berühmter
als Männer. Männer können auch weder ein tea-gown anlegen, noch
Bubikopf tragen, solange wenigstens nicht, als die Glatze noch nicht als
solche gerechnet wird. Männer gehören mehr zur nicht-existenten Klasse.
Es sei denn, daß es sich um Boxer oder Tenöre handelt, die wiederum
nicht in ihrem Heim weilend dargestellt werden, sondern bei aufregenden
sportlichen Unternehmungen, beim Forellenfang im Gebirge oder in der
Segeljacht auf dem lieblichen Tegernsee oder dem wildromantischen Walchen-
see oder gar dem männermordenden Nordmeer, bei Nord-Ost-Südsturm.
. Auch die weiblichen Berühmtheiten werden gelegentlich vom Photo-
graphen aus ihrem Heim in die ungestellte, wirklich natürliche Natur
hinausgehetzt, sei es zu Pferde (wobei man ihre Reithose bewundern darf)
oder mit Skiern bewaffnet oder gar bei Ersteigung des Pik von Tenerifa,
worauf sie hinterher zur Belohnung in der hall des Hotels weilen dürfen
und dort in anmutiger Haltung beim Einnehmen des Tees photographiert
werden.
Nein, es ist keine Kleinigkeit, jenes aufreibende Leben zu führen, das
darin besteht, sich für tout Europa, noch besser für Amerika, dauernd in
charakteristischen Stellungen photographieren lassen zu müssen. Es ist kein
Vergnügen, sondern ernste Arbeit. Und man begreift, daß so ein Dasein
gut bezahlt werden muß. Wohl dem Armen, der nicht immer weilen muß,
weder in seinem Heim, noch anderswo, der nicht einmal weilen kann, weil
er nur eine Zweizimmerwohnung hat und weil sein Hund pyr ein Ratller-
Pinsch-Dackel ist!
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