Liebe Jugend!
Das Fräulein kam ins Kinderzimmer und
saqte: „Komm, Emmi, hole dir deinen Mantel
und Hut, dann gehen wir deinem Vater ent-
gegen." Voll Entzücken springt Emmi aus die
Türe des Nebenzimmers zu, bleibt aber plötzlich
mitten im Zimmer unentschlossen stehen.
„Ich trau' mich nicht ins andere Zimmer",
sagt sie etwas verlegen.
„Warum?"
„Weil es da drinnen so sinster ist."
„Aber, Emmi, — wie ost habe ich dir schon
gesagt, daß du dich nie zu sürchten brauchst;
der liebe Gott ist überall und sorgt dasür,
daß dir nichts passiert." — KleinePause. —
Dann Klein-Emmi: „Auch da drinnen,
Fräulein?"
.Selbstverständlich, mein Kind."
Statt jeder weiteren Antwort geht Emmi
resolut aus die Türe des Nebenzimmers zu,
össnet sie ein wenig und rust hinein: „Ach, lieber
Gott, — sej doch so freundlich und reiche mir
meinen Hut und Mantel heraus; es liegt alles
dort beisammen auf dem Bett."
Drememwe.
Der möblierte Klubsessel
In meinem letzten Semester hatte ich bei der
Witwe Bianca eine weniger fürstlich ein-
gerichtete als vielmehr im vierten Stocke gele-
gene Studierbude und einen im Nebenhause
schlecht und recht hausenden Feind. Dieser, der
stuck, sur. Klump hatte sich vermessen, dem
Wassermädl Zenta, der ich alltäglich ein drei-
strophiges Liebesgedicht auf das Servierbrett
legte, eine grellrote Seidenbluse zu verehren, und
die materialistisch angekränkelte Zenta war frivol
genug, dieses zu herabgesetztem Ausverkauss-
preise sichtlich preiswert erstandene Kleidungs-
stück anderntags anzutun, während ich mit
meinen drei letzten Gedichten jäh ein Wieder-
sehen feierte. Wo, das will ich verschweigen.
Es war nur noch ein Glück, daß ich es war, der
sie fand. Denn sonst — es wäre gar nicht
auszudenken, was mit meiner Poesie sonst hätte
geschehen können ....
Klump ahnte noch gar nicht, was für einen
Feind er in mir besaß. Nichtsfürchtend besuchte
er mich auf meiner Bude. Denn ein Möbel-
stück, das dort am Fenster stand, hatte es ihm
angetan. Es war ein braunlederner und in dem
mager eingerichteten Studentenlogis höchst stil-
widrig wirkender Klubsessel. Er stand da wie
Von Richard Rieß
ein Millionärssohn in einer Proletarierfamilie.
„So ein Klubsessel" sagte Klump und wurde
ganz elegisch . . ." Wenn ich so einen Klub-
sessel hätt, dann brächte ich es über mich, all-
abendlich daheim zu hocken und zu büffeln. So
ein Möbel entkörperlicht. So ein gefedertes
Ding macht den Menschen ganz zu Geist. Man
könnte geradezu ein Dichter werden, wenn man
in so 'nem Klubsessel sitzt . . . ."
„Lump!" dachte ich mir. Ein Dichter werden
willst du, und gehst hin und kaufst rote Seiden-
blusen? Aber, es war vielleicht ganz gut so.
Nun hatte ich die unwürdige Zenta in ihrem
eitlen Drange und in ihrer Verachtung der edlen
Künste erkannt. Und geblieben war nur meine
Verachtung und mein Haß auf den schnöden
Seidenblusenspender. Da saß er, und er räkelte
sich im Klubsessel. Gut nur, daß Semester-
schluß mich in die Heimat zurückrief. Zurück,
auf Nimmerwiederkehren!
Als hätte Klump meine Gedanken erraten,
begann er plötzlich, sein Geschick elegisch zu
besingen: „Es ist furchtbar, wieviel Geld man
braucht. Und sie wissen, ich lieb eine junge
Dame. Und diese junge Dame hat furchtbar
viele Wünsche . . ."
2eickinun§ von Fr. bleubner
Filmexpedition
„— und sehe ich der Zusendung eines neuen Löwen entgegen, da der jetzige das
Klima nicht vertrug."
533
Das Fräulein kam ins Kinderzimmer und
saqte: „Komm, Emmi, hole dir deinen Mantel
und Hut, dann gehen wir deinem Vater ent-
gegen." Voll Entzücken springt Emmi aus die
Türe des Nebenzimmers zu, bleibt aber plötzlich
mitten im Zimmer unentschlossen stehen.
„Ich trau' mich nicht ins andere Zimmer",
sagt sie etwas verlegen.
„Warum?"
„Weil es da drinnen so sinster ist."
„Aber, Emmi, — wie ost habe ich dir schon
gesagt, daß du dich nie zu sürchten brauchst;
der liebe Gott ist überall und sorgt dasür,
daß dir nichts passiert." — KleinePause. —
Dann Klein-Emmi: „Auch da drinnen,
Fräulein?"
.Selbstverständlich, mein Kind."
Statt jeder weiteren Antwort geht Emmi
resolut aus die Türe des Nebenzimmers zu,
össnet sie ein wenig und rust hinein: „Ach, lieber
Gott, — sej doch so freundlich und reiche mir
meinen Hut und Mantel heraus; es liegt alles
dort beisammen auf dem Bett."
Drememwe.
Der möblierte Klubsessel
In meinem letzten Semester hatte ich bei der
Witwe Bianca eine weniger fürstlich ein-
gerichtete als vielmehr im vierten Stocke gele-
gene Studierbude und einen im Nebenhause
schlecht und recht hausenden Feind. Dieser, der
stuck, sur. Klump hatte sich vermessen, dem
Wassermädl Zenta, der ich alltäglich ein drei-
strophiges Liebesgedicht auf das Servierbrett
legte, eine grellrote Seidenbluse zu verehren, und
die materialistisch angekränkelte Zenta war frivol
genug, dieses zu herabgesetztem Ausverkauss-
preise sichtlich preiswert erstandene Kleidungs-
stück anderntags anzutun, während ich mit
meinen drei letzten Gedichten jäh ein Wieder-
sehen feierte. Wo, das will ich verschweigen.
Es war nur noch ein Glück, daß ich es war, der
sie fand. Denn sonst — es wäre gar nicht
auszudenken, was mit meiner Poesie sonst hätte
geschehen können ....
Klump ahnte noch gar nicht, was für einen
Feind er in mir besaß. Nichtsfürchtend besuchte
er mich auf meiner Bude. Denn ein Möbel-
stück, das dort am Fenster stand, hatte es ihm
angetan. Es war ein braunlederner und in dem
mager eingerichteten Studentenlogis höchst stil-
widrig wirkender Klubsessel. Er stand da wie
Von Richard Rieß
ein Millionärssohn in einer Proletarierfamilie.
„So ein Klubsessel" sagte Klump und wurde
ganz elegisch . . ." Wenn ich so einen Klub-
sessel hätt, dann brächte ich es über mich, all-
abendlich daheim zu hocken und zu büffeln. So
ein Möbel entkörperlicht. So ein gefedertes
Ding macht den Menschen ganz zu Geist. Man
könnte geradezu ein Dichter werden, wenn man
in so 'nem Klubsessel sitzt . . . ."
„Lump!" dachte ich mir. Ein Dichter werden
willst du, und gehst hin und kaufst rote Seiden-
blusen? Aber, es war vielleicht ganz gut so.
Nun hatte ich die unwürdige Zenta in ihrem
eitlen Drange und in ihrer Verachtung der edlen
Künste erkannt. Und geblieben war nur meine
Verachtung und mein Haß auf den schnöden
Seidenblusenspender. Da saß er, und er räkelte
sich im Klubsessel. Gut nur, daß Semester-
schluß mich in die Heimat zurückrief. Zurück,
auf Nimmerwiederkehren!
Als hätte Klump meine Gedanken erraten,
begann er plötzlich, sein Geschick elegisch zu
besingen: „Es ist furchtbar, wieviel Geld man
braucht. Und sie wissen, ich lieb eine junge
Dame. Und diese junge Dame hat furchtbar
viele Wünsche . . ."
2eickinun§ von Fr. bleubner
Filmexpedition
„— und sehe ich der Zusendung eines neuen Löwen entgegen, da der jetzige das
Klima nicht vertrug."
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