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In Neuburg an der Donau

E. E n z I e r

und trat mit schwankendem Glas vor ihm hin: „Sag, Bruder, wie machst
du das? So sachte und so mit Macht? ... Du bist ein begnadeter
Mensch! Trink und erzähl' uns . . . !"

Da fühlte sich Lukas schon in seinem Innern erschaut und sein Wesen
geahnt. Er zögerte und wartete noch einem Augenblick wie einer, der sich
nun durch ein Wort aus den Angeln heben sollte, der in einem Buch
nach der Auflösung des höchsten Rätsels blättert.

Er sprach, sprach es mit einer fistelnden Stimme, die allein schon in
ihrem Ansatz die hohen Erwartungen dämpfte: „. . . . Ich bin ein Motor!
Ja — ich sage es euch offen: ein — Motor bin ich . . .! Ja, ja — in
mir läuft eine Maschine . .

Und die hervorhängenden Augäpfel um ihn her, schnellten wie an
Gummischnüren enttäuscht nach innen. Und eine Lache fing an und ein
Gegröhle. Halbverschluckter Wein pustete in die Gläser zurück. Floß
anderen zur Nase heraus.

__ „Ein kindsköpfiger Witz . . ."

„Ein Motor. . . ? Hahahahahaha . . . !"

„Werst ihm einen Groschen hin, damit's wieder spielt — das Dampf-
werk I" „Wein her — oder ich fall um . . . !"

„Schmiert die Maschine . . . !" ries ein Hängebäuchiger und schüttelte

Lukas die volle Kanne ins Genick.-Der aber stand wie unter

einer siedend heißen Brause da. Dampf verspürte er aus den Ohren
pfauchen. Das Blut stieg in glühenden Röhren auf und nieder. Kolben
liefen sich heiß. Die Kesselwände trieben Schweiß aus. Und die Ventile
pfiffen in ihm, wie auf den Schwanz getretene Hunde . . . Mahnend!

„ ... Ich explodiere . . . ! Feuerung abstellen . . . ! Kühler auf . . .!"
und schon schnaubte er wie eine führerlose Schnellzugslokomotive durch die
Schanktüre in die Nacht hinaus.

„Mit Volldampf voraus . . . !" keuchte er als anfahrender Eisenbahnzug
die sternenhelle Landstraße entlang. Stundenlang . . . ! Nur dann und
wann bremste er sich eine rastende Station dazwischen.

Dann sank er aus einen Meilenstein hin. Und preßte die brennende
Stirne an den nachtkalten Granit.

„Bin ich kein Motor, kein Dampswerk, keine Maschine . . . ?" Und
dann hämmerte es hinter seiner Gehirnschale: „Ja, ja, ja . . . !"

Hatte er doch Tag für Tag und Nacht für Nacht in sich ein Knurren
unter dem Brustbein vernommen, ein pochendes Hämmern über dem
Herzen . . . ! Ja, damit fing es doch an. Das machte ihn zuerst auf-
horchend. Damals, es war vor Jahren, als er von der Knopflochnähsrin
Rosemarie fort lief. Er schlief in ihrer Küche. Er zeichnete von früh bis
nachts Maschinen, Motore und Transmissionen auf das schneeig weiße
eines Reißbrettes . . . Sie nähte am Fensterbrett himmelblaue Militär-
hosen, auf deren Naht ein rosenroter Streifen als Bach floß. Ihr Haar
war semmelhell und warm wie frischgebackenes Brot. Er liebte es gleich
einem Festtag . . . Aber als eines Abends ein solcher Haarsaden in seiner
Suppe schwamm, empfand er Ekel und warf den Teller über ihren Gasherd
in Scherben. Daß die Nachtigall auf der Stange im Schlafe auffuhr
und wild im Käfig hin und her flatterte... Und sie stritten bis Mitter-
nacht. Da erhob er feine Faust über ihrem leuchtenden Scheitel. Sie
schrie ihm ins Gesicht: „Du bist ein Mannsbild ohne Herz . . . ! Herzlos
bist du ... ! Eine Dreschmaschine . . . ! Geh zum Teufel . . . !" Und
Lukas fing seinen eigenen Arm vor dem Niederschlag auf — und ging.
Mit einer blechernen Mundharmonika in der Hosentasche.

Seitdem waren ihm Rosemaries Worte in die Ohren geätzt. „Du Herz-
loser . . . , du Dreschmaschine . . . !" Und von diesem Tag an über-
prüfte und durchhorchte er sich stündlich.

Da fand er an dem Pochen, Rollen und Hämmern immer mehr, daß
Rosemarie recht hatte. Ja er freute sich darüber. Denn jetzt konnte er
noch zu Großem berufen sein.

Als er einmal an einem Bahndamm hinschlenderte, fand er seine
Beobachtungen in einer wissenschaftlichen Broschüre bestätigt, die aus dem
Coupefenster eines vorbeisitzenden Expreßzuges auf seinen Weg gefallen
war. Darin stand geschrieben von dem, daß der Mensch ein zusammen-
gesetzter Automat sei, eine Maschine, ein Wirbel von mechanischer Kraft...,
ein Motor, wie andere mehr. Und alles war fein und messerscharf
bewiesen und farbig illustriert. Lukas lernte das Heft auswendig . . .

Da wuchs seine Erkenntnis gleich e . mit wehender Fahne

und Fackel in ihm steil empor. Wc -srn Menschen schon

Maschinen sind, dann ist er die vollko» .isemarie hatte es ja

gesagt — und er vernahm es übergro n Leib. Ja, vielleicht

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E. Enzler: In Neuburg an der Donau
 
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