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Marianne

k. kost

Je suis le „billige Jakob",

Zu dem die Menschen ziehn
Mich freundlichst auszukaufen
Wie ehemals Berlin.

Stets war ich unter den Völkern
Bekanntlich La grande Nation,

Jetzt führe ich den Titel

La grande inflation!

Paris, das Rummelplätzchen
Für jeden Kunz und Hinz —

Je suis le „billige Jakob",

Ich bin's nicht gern, doch ich bin's!

K a r l ch e n.

¥

Die Zeitlupe

Das Ende der Politik.

Wer die Politik erfunden hat, weiß ich nicht.
Sie ist nun einmal da. Hoffentlich hört sie auch
einmal auf. Sie kostet sehr viel Zeit und Geld,
das man eigentlich — Hand aufs Herz — besser
verwenden könnte. Vielleicht ist sie nur eine
schlechte Angewohnheit der Menschheit. Mil-
lionen von Menschen beschäftigen sich mit der
Herstellung von Politik, teils innerer, teils
äußerer; entweder tun sie dies als Beruf oder
ehrenamtlich; Über das, was dabei herauskommt,
ärgert sich immer der größere Teil der Mensch-
heit. Warum aber die ganze Politik nicht ein-
fach in Pausch und Bogen abschaffen? Das Ziel
aller Politik scheint doch zu sein, daß möglichst
viel Amerikaner nach Europa kommen und sich
hier ihre Sommermäntel, die einschlägigen Bil-
der über das Sofa und die Tenöre mit den
höchsten es kaufen. Das nennt man dann Welt-
wirtschaft. Aber, ihr Lieben, wozu haben wir
denn die Fremdenverkehrsoereine? Ich bin also
für Abschaffung der Politik mit den dazu-
gehörigen Staaten, die Welt werde aufgeteilt in
die Interessensphären der einzelnen Fremden-
verkehrsoereine. Die bisherigen Staatsober-
häupter können ja dann die Vorsitzenden werden.

Wetlerbelustigungen.

Es wird Ihnen kaum entgangen sein, daß es
in diesem Sommer andauernd regnet, und wenn
dieses Heft der „Jugend" erscheinen wird, wird
es voraussichtlich auch noch regnen. Unsere
liebste Lektüre ist deshalb der Wetterbericht,
scheinbar auch unsere einzige, denn daß man
Bücher lesen oder sogar kaufen kann, ist eine
Kenntnis, die dem Deutschen unserer Tage ver-
lorengegangen ist. Ich gebe zu, daß die Be-
schäftigung mit dem Wetterbericht auch ihre
unterhaltenden und belehrenden Seiten hat. Da
war z. B. in München an einem Tage in einer
rechtsstehenden und in einer sozialistischen Zei-
tung ein verschiedener Wetterbericht zu lesen.
Der sozialistische war sozusagen radikaler, da gab
es noch mehr Regen, während im bürgerlichen
eine leichte Besserung verzeichnet war. Oder ein
andermal stand geschrieben, daß nun der Regen
der Vorderseite der Depression von dem Regen
der Rückseite abgelöst werde. Nur der Kenner
konnte den Unterschied merken.

PeterPius.

Die abziehende Gewitterwolke

Der Gas-Sieg am Rif

Daß Abd el Krim erlegt, bezwungen,
Erfuhr die Welt, bewundernd, schon.
Nun aber hört, w i e er errungen,

Der neue „Sieg der grande nation":

In dicken Schwaden kroch das Grauen,
Vernichtend aus dem Todesschlauch,

Und Kinder, Greise, arme Frauen
Erstickten an dem gift'gen Hauch.

Und auch die span'schen Offiziere —

Nicht der Kabyle warf sie hin:

Sie kamen wehrlos um, wie Tiere,

Durch freund-französischen Edelsinn.

Sie alle hat es hingerissen,

Die Kämpfer wie der Siechen Schar —
Wo aber bleibt das „Weltgewissen",

Das früher so geschäftig war?

Das Weltgewissen? Dumme Pose!

Ihr Optimisten, oh, ihr spaßt:

Das hat zur Vorsicht der Franzose

Geschickterweise — längst vergast-

r i - r i.

Bitte

ver langen Sie auf Ihren sommerlichen Fahrten
in den Hotels, Pensionen und Gaststätten der
Kurorte und Sommerfrischen immer wieder die
Münchener , Jugend“ und geben Sie uns gell,
die Ädressen auf, wo Sie unsere Wochenschrift
nicht finden. Wir danken dafür verbindlichst
und werden uns jenen Freunden gegenüber, die
uns die meisten derartigen Hdressen nennen,
| durch Stiftung eines schör en Buches

erkenntlich zeigen.

Verlag der „Jugend“

München, Herrnstrasse 2—10
_

Wochenprogramm

(Politisches Tingeltangel.)

Montag: In A-burg kam es zu einem blutigen
Zusammenstoß zwischen Stahlhelmleuten
und Kommunisten.

Dienstag: In B-stadt entstand eine Rauferei
zwischen Stahlhelm und Kommunisten.
Mittwoch: In C-hausen erfolgte eine Prügelei
zwischen Stahlhelm und Kommunisten.
Donnerstag: Aus D-!ngen wird eine furchtbare
Keilerei zwischen Stahlhelm und Kom-
munisten gemeldet.

Freitag: In F-kirch fand eine Schlacht zwischen
Stahlhelm und Kommunisten statt.

Aber am Samstag, ja, am Samstag, da passierte
mal ganz was anderes! Da gab es keinen
blutigen Zusammenstoß zwischen Stahlhelm
und Kommunisten, sondern einen blutigen
Zusammenstoß zwischen Kommunisten und
Stahlhelm.

K a r l ch e n.

Sprech-Salon

Wer heute noch glaubt, das Treiben beim
jüngstverflossenen Volksentscheid nur mit einem
Haberfelde in mehr oder minder intime Be-
ziehungen setzen zu dürfen, erweist sich bei un-
befangener Selbstprüfung schiefgewickelt wie ein
Holzweg. Dem nachdenklichen Augenzeugen
gähnen vielmehr auch jene offenen Fensterflügel
entgegen, zu denen die vielen Millionen von
Propagandageldern, welche sich die Parteien
gegenseitig vor- beziehungsweise an den Kopf
warfen, restlos hinausgeflogen sind!

Wozu dieses frevelhafte Vergeuden von er-
werbslosen Arbeitergroschen und von sauren
Bierpfennigen des ohnehin verbitterten Bür-
gers? Wozu diese verheerenden Raubzüge gegen
die eingeschrumpften Taschen der Partei- und
Volksgenossen?

Ist der Regierung nicht bekannt, daß die
moderne Wissenschaft längst Mittel und Wege
gefunden hat, um derartige Ziele viel einfacher
zu erreichen?

Was heißt „Regierungsbildung", wenn sie
nicht, wie jeder andere Gebildete, weiß, daß
sie gegen Einsendung einer Zehnpfennigbrief-
marke an irgendeinen geschäftstüchtigen Fach-
astrologen das Resultat auf horoskopische
Methode ermitteln und so dem Vaterlande neben
Aufregungen, Verbalinjurien, Schwindelplakaten
und Körperverletzungen auch weitgehende mate-
rielle Opfer hätte ersparen können?

Bei der mathematischen Genauigkeit, mit der
solche Firmen inseratgemäß arbeiten, wären
sämtliche Gattungen von abgegebenen und nicht
abgegebenen Stimmen bis auf die hinterste
Dezimalstelle von vornherein festgelegt worden,
ohne auch nur die geringste Benützung eines
Wahlklosetts!

Da außerdem jedes Horoskop, wenn es seine
zehn Pfennige wert sein soll, für jeden Beteilig-
ten grundsätzlich ein günstiges Endergebnis auf-
weisen muß, hätten beide Lager gewonnen, d. h.
die Fürsten wären unter Belastung ihres Privat-
besitzes entschädigungslos enteignet worden, ohne
daß zu diesem Zweck ein Kompromißgesetz den
Beginn der Reichstagsferien hätte in Gefahr
stürzen müssen! Jede Spur eines Zankapfels zwi-
schen den Parteikreisen wäre für immer begraben
und der Augenblick erschienen gewesen, in dem
der Deutsche stolz hätte sagen können: „Ich kenne
keine Prrteikreise mehr, ich kenne nur noch einen
T i e r k r e i s."

I. A. Sowas.

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Register
Peter Pius: Die Zeitlupe
J. A. Sowas: Sprech-Salon
Ri-Ri: Der Gas-Sieg am Rif
Karlchen: Marianne
Richard Rost: Die abziehende Gewitterwolke
Karlchen: Wochenprogramm
 
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