JUGEND
NOTTURNO
VON JOSEPH
Es war einer jener eigenartigen Zufälle des Lebens, die immer wiener
beweisen, wie klein die Erde ist, daß ich ihn, den alternden Bohemien aus
der Münchner Stefan-George-Zeit nach Jahren auf Capri wieder traf.
Da stand er plötzlich neben mir, wie immer unbeholfen und von einer
Zerstreutheit, welche die Begrüßung in diesem Augenblick so natürlich
machte, als ob wir uns etwa Mittag verabredet hätten, uns abends hier
mif der Piazza von Capri zu treffen.
Mit der Selbstverständlichkeit eines Kindes zog er mich aus dem Be-
reich der schreienden und gestikulierenden Kutscher fort und schlug den Weg
nach Anacapri ein.
„Im ,Caesare Augusto' können wir aus der Terrasse sißen," sagte er nur.
So wanderten wir schweigend die wundervolle Bergstraße hinauf. Die
Nacht, welche inzwischen angebrochen, war warm und sternklar. Unter
uns, ein Stück im Meere draußen, schimmerte das einsame Topplicht des
Postdampfers. Marina Lrancke. der „große" Hafen von Capri, ist zu
klein, ihn aufzunehmen, lieber uns, in der hohen Felswand, grüßten die
lieben Kerzenlichter in der Grotte der Madonna dell’Mare, die fromme
MARIA LUTZ
Hände allabendlich entzünden. Die dunkle Rauchwolke des Vesuvs hob
sich deutlich vom Himmel ab, Leuchtfeuer blinkten und weit im Hinter-
grund funkelte das Lichtdiadem des Golfs von Neapel. Die Felswand,
der wir nun linker Hand entlang schritten, strömte eine fast körperliche
Wärme aus. Eine wundervolle Süße lag in dem ganzen Bilde und griff
über in meine Träume. Irgendwo tönte das sinnliche, gutturale Lachen
einer südlichen Frau. Das mochte mein Begleiter aufgefangen haben,
denn plötzlich brach er das Schweigen:
„Das sind die Abende, an denen man an die sehr geliebten Frauen
vergangener Zeiten denkt."
„Warum vergangener?" fragte ich.
„Weil nur die Fraum vergangener Zeiten sehr geliebt wurden; wir
lieben nichts mehr so ausschließlich-außer Verlorenes vielleicht,"
seßte er nach einer Pause hinzu ...
Dann saßen wir auf der Terrasse des Hotels, tief unter uns das Meer,
auf dem nun weit draußen das Lichtgeflirre eines großen Dampfers
l)2srü.§ eilose Pke eck A. Burkart
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NOTTURNO
VON JOSEPH
Es war einer jener eigenartigen Zufälle des Lebens, die immer wiener
beweisen, wie klein die Erde ist, daß ich ihn, den alternden Bohemien aus
der Münchner Stefan-George-Zeit nach Jahren auf Capri wieder traf.
Da stand er plötzlich neben mir, wie immer unbeholfen und von einer
Zerstreutheit, welche die Begrüßung in diesem Augenblick so natürlich
machte, als ob wir uns etwa Mittag verabredet hätten, uns abends hier
mif der Piazza von Capri zu treffen.
Mit der Selbstverständlichkeit eines Kindes zog er mich aus dem Be-
reich der schreienden und gestikulierenden Kutscher fort und schlug den Weg
nach Anacapri ein.
„Im ,Caesare Augusto' können wir aus der Terrasse sißen," sagte er nur.
So wanderten wir schweigend die wundervolle Bergstraße hinauf. Die
Nacht, welche inzwischen angebrochen, war warm und sternklar. Unter
uns, ein Stück im Meere draußen, schimmerte das einsame Topplicht des
Postdampfers. Marina Lrancke. der „große" Hafen von Capri, ist zu
klein, ihn aufzunehmen, lieber uns, in der hohen Felswand, grüßten die
lieben Kerzenlichter in der Grotte der Madonna dell’Mare, die fromme
MARIA LUTZ
Hände allabendlich entzünden. Die dunkle Rauchwolke des Vesuvs hob
sich deutlich vom Himmel ab, Leuchtfeuer blinkten und weit im Hinter-
grund funkelte das Lichtdiadem des Golfs von Neapel. Die Felswand,
der wir nun linker Hand entlang schritten, strömte eine fast körperliche
Wärme aus. Eine wundervolle Süße lag in dem ganzen Bilde und griff
über in meine Träume. Irgendwo tönte das sinnliche, gutturale Lachen
einer südlichen Frau. Das mochte mein Begleiter aufgefangen haben,
denn plötzlich brach er das Schweigen:
„Das sind die Abende, an denen man an die sehr geliebten Frauen
vergangener Zeiten denkt."
„Warum vergangener?" fragte ich.
„Weil nur die Fraum vergangener Zeiten sehr geliebt wurden; wir
lieben nichts mehr so ausschließlich-außer Verlorenes vielleicht,"
seßte er nach einer Pause hinzu ...
Dann saßen wir auf der Terrasse des Hotels, tief unter uns das Meer,
auf dem nun weit draußen das Lichtgeflirre eines großen Dampfers
l)2srü.§ eilose Pke eck A. Burkart
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