In Triest
Adolfo Levier
scheinbar lautlos seine Bahn zog. Der dunkle Wein Capris leuchtete wie
Blut in unseren Gläsern. Wir stießen an.
„Auf die sehr geliebten Frauen vergangener Zeiten," sagte ich. Er
wurde sonderbar unruhig. Diese Unruhe steigerte sich, als ich in Ge-
danken eine Rose streichelte, die dicht neben mir an einer Marmorsäule der
Terrasse erblüht war. Wieder klang das melodische Frauenlachen von
vorhin.
Da rief er fast ängstlich:
„Brechen Sie sie nicht!"
„Nein, solche Schönheit ist am schönsten, wo sie wächst," entgegnete ich
lächelnd.
„Wer sagt Ihnen das?"
„Die Schönheit selbst."
„Sie haben recht," sagte er, „aber ich habe einmal gegen diesen Grund-
satz gesündigt."
Eine Pause tiefsten Schweigens trat ein — endlich hob er sein Glas
mit einer Geste, als ob er der Ewigkeit zutränke, leerte es, schwieg wieder
lange Zeit und begann dann, fast wie mit sich selbst redend, zu erzählen:
„Der Abend heute ist süß und weich, wie ein Lied — fast wie jener
vor langer Zeit, da ich heimwärts ging, durch die Gärten vor der Stadt,
in denen geheimnisvoll die Villen träumen, wie schöne Frauen. Man
denkt an solchen Abenden an Unwirkliches und wäre kaum erstaunt, wenn
es plötzlich ins Leben träte. So erging es mir. Aus den Gärten stiegen
die Blütendüfte der nahenden Nacht. Sie waren schwer und berauschend,
daß ich meine Schritte hemmte und stehen blieb. Da sah ich, daß nahe bei
mir, mit den Händen zu greifen, nur getrennt durch ein altes, schmiede-
eisernes Gitterwerk, ein Rosenstrauch eine herrliche Blütenpracht entfaltet
hatte, die sich in den geruhsamen Wassern eines Teiches spiegelte, zu dem
eine alte, moosige Steintreppe hinabführte. Aus einem Hause, das etwas
hinter dem Teich zwischen allerlei Zweiggewirr hervorschimmerte, klang
durch den Abend das sehnsüchtige Lied einer Geige."
Er legte eine Pause ein und fragte dann:
„Haben Sie diese fremde Geige schon einmal gehört?"
„Nein," antwortete ich und wußte nicht recht, was er nun eigentlich
meinte.
„So, dann seien Sie froh," sprach er, „aber auch Sie werden sie noch
einmal hören und sich von ihr verwirren lassen. Das ist die unbekannte
Geige, die wir plötzlich hören, an Frühlingstagen, an Sommerabenden,
mitten in der Nacht oder im Lärm der Großstadt — die unbekannte Geige,
die mit uns und über uns allen spielt und deren Tönen wir folgen müssen.
Auch ich folgte ihr damals und sie zwang mich, daß ich wie gebannt un-
verwandt in den Garten blickte, obwohl mich eine weiße Glaskugel störte,
die auf einer grünen Stange befestigt war und geschmacklos aus dem
Rosenstrauch grellte."
„Kennen Sie Hofmannsthals jedermann'?" fragte er.
Ich bejahte.
„Gut, dann kennen Sie auch jene Szene, wo die Stimme des Todes in
das frohe Gastmahl gellt. Diese Szene fiel mir beim Anblick jener Glas-
kugel ein.'— Aus dem Strauch neigte sich eine Rose weit nach vorne und
leuchtete in dunklem Rot; sie war schöner als diese hier. Auch ich konnte
sie mit ausgestrecktem Arm erreichen. Ich erinnere mich deutlich, daß mir
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Adolfo Levier
scheinbar lautlos seine Bahn zog. Der dunkle Wein Capris leuchtete wie
Blut in unseren Gläsern. Wir stießen an.
„Auf die sehr geliebten Frauen vergangener Zeiten," sagte ich. Er
wurde sonderbar unruhig. Diese Unruhe steigerte sich, als ich in Ge-
danken eine Rose streichelte, die dicht neben mir an einer Marmorsäule der
Terrasse erblüht war. Wieder klang das melodische Frauenlachen von
vorhin.
Da rief er fast ängstlich:
„Brechen Sie sie nicht!"
„Nein, solche Schönheit ist am schönsten, wo sie wächst," entgegnete ich
lächelnd.
„Wer sagt Ihnen das?"
„Die Schönheit selbst."
„Sie haben recht," sagte er, „aber ich habe einmal gegen diesen Grund-
satz gesündigt."
Eine Pause tiefsten Schweigens trat ein — endlich hob er sein Glas
mit einer Geste, als ob er der Ewigkeit zutränke, leerte es, schwieg wieder
lange Zeit und begann dann, fast wie mit sich selbst redend, zu erzählen:
„Der Abend heute ist süß und weich, wie ein Lied — fast wie jener
vor langer Zeit, da ich heimwärts ging, durch die Gärten vor der Stadt,
in denen geheimnisvoll die Villen träumen, wie schöne Frauen. Man
denkt an solchen Abenden an Unwirkliches und wäre kaum erstaunt, wenn
es plötzlich ins Leben träte. So erging es mir. Aus den Gärten stiegen
die Blütendüfte der nahenden Nacht. Sie waren schwer und berauschend,
daß ich meine Schritte hemmte und stehen blieb. Da sah ich, daß nahe bei
mir, mit den Händen zu greifen, nur getrennt durch ein altes, schmiede-
eisernes Gitterwerk, ein Rosenstrauch eine herrliche Blütenpracht entfaltet
hatte, die sich in den geruhsamen Wassern eines Teiches spiegelte, zu dem
eine alte, moosige Steintreppe hinabführte. Aus einem Hause, das etwas
hinter dem Teich zwischen allerlei Zweiggewirr hervorschimmerte, klang
durch den Abend das sehnsüchtige Lied einer Geige."
Er legte eine Pause ein und fragte dann:
„Haben Sie diese fremde Geige schon einmal gehört?"
„Nein," antwortete ich und wußte nicht recht, was er nun eigentlich
meinte.
„So, dann seien Sie froh," sprach er, „aber auch Sie werden sie noch
einmal hören und sich von ihr verwirren lassen. Das ist die unbekannte
Geige, die wir plötzlich hören, an Frühlingstagen, an Sommerabenden,
mitten in der Nacht oder im Lärm der Großstadt — die unbekannte Geige,
die mit uns und über uns allen spielt und deren Tönen wir folgen müssen.
Auch ich folgte ihr damals und sie zwang mich, daß ich wie gebannt un-
verwandt in den Garten blickte, obwohl mich eine weiße Glaskugel störte,
die auf einer grünen Stange befestigt war und geschmacklos aus dem
Rosenstrauch grellte."
„Kennen Sie Hofmannsthals jedermann'?" fragte er.
Ich bejahte.
„Gut, dann kennen Sie auch jene Szene, wo die Stimme des Todes in
das frohe Gastmahl gellt. Diese Szene fiel mir beim Anblick jener Glas-
kugel ein.'— Aus dem Strauch neigte sich eine Rose weit nach vorne und
leuchtete in dunklem Rot; sie war schöner als diese hier. Auch ich konnte
sie mit ausgestrecktem Arm erreichen. Ich erinnere mich deutlich, daß mir
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