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Vom Teufel geholt

R. v. Hoerschelmann

„Restlos hat sich die erste Prophezeiung er-
füllt," sagte Doktor Konrad. „Und die zweite?"

„Die zweite Prophezeiung war die, daß meine
Frau, wiederum an einem 18. September spur-
los und für immer verschwinden würde. Der
Gedanke war mir fürchterlich. Troßdem ich
unsagbar litt unter ihren animalischen Launen,
troßdem ich tief überzeugt war von ihrer
menschlichen Minderwertigkeit, liebte ich sie mit
versengender Inbrunst. Als der 18. September
kam, gab ich ihr eine Morphiumeinsprißung, die
sie zwang, den ganzen Tag zu Bett zu liegen.
Außerdem blieb ich bei ihr im Zimmer, bewaff-
net sogar. Zum Uebersluß ließ ich meinen
treuen Portier das einzige Portal bewachen,
Tag und Nacht. Am nächsten Morgen — —"

„Am nächsten Morgen?"

„Am nächsten Morgen erwachte sie vergnügt
und blieb und blieb, und nichts war passiert."

„Und der Poghi?"

„Der Boghi war Unsinn! Die Erfüllung der
ersten Prophezeiung war Zufall! So dachte ich.
Bis meine Frau eines Tages entführt wurde.
Sie ist nie wieder gesehen worden. Es war der
18. September.

Ich wußte wohl, daß sie mich längst betrogen
hatte, aber ich wußte nicht, wer der Betreffende
war. Ich wußte nur, daß er eine Locke von ihr
immer bei sich trug."

„Woher wußten Sie das?"

„Durch den Poghi. Denn das war seine
dritte Prophezeiung: An dieser Locke würde der,
der mich mit ihr betrog, auf grauenvolle Weise
zugrunde gehen, falls er die Locke nicht recht-
zeitig dem rechtmäßigen Gatten übergeben
würde."

„Und wann??"

„Spätestens ein Jahr nach dem Verschwinden
meiner Frau."

„Himmelherrgott!" Fräulein Gaby wurde
karmin vor Aufregung. „Ist heut' nicht — ?
Heut' ist ja-!"

Als der Professor am nächsten Morgen an
die Arbeit ging, fand er auf den Schubsächern
seines Schreibtisches achtzehn lichtblonde Locken.

Der Schritt

Bon Karl Lerbs.

Wir hatten in der Familie eine Urgroßtante.
Sie war neunzigjährig, weißhaarig, verrunzelt,
halbblind und halbtaub, aber bolzengerade und
von unnahbarer Würde: ehrfurchtgebietende

Ahne von Generationen, Enkel überdauernd.

Wir saßen im lauen Helldunkel eines Juni-
abends in der Glasveranda meines elterlichen
Hauses und plauderten gedämpft. Die Tante 'aß
zwischen uns, bolzengerade und von unnahba.er
Würde, ehrfurchtgebietende Ahne von Genera
tionen, Urmutter, ragendes Symbol. Die Tante
schwieg.

Da nahte auf der Straße ein rascher, trippeln-
der Schritt, ein grauer Schatten huschte eilfertig
an den Häusern hin. Die Tante beugte sich ein
wenig vor, ein seltsames Lächeln voll geheimnis-
reicher Weisheit ging über ihr faltiges Gesicht.

Und sie sprach (es waren an diesem Abend ihre
ersten Worte):

„Da geht eine Hebamme."

Wir sprangen auf, sieben Hälse reckten sich
neugierig über die Brüstung. Wozu viele Worte
machen? Es w a r eine Hebamme. Wir kannten
sie alle, denn sie wohnte in der Nachbarschaft.

Ehrfurchtsvoll, tief angerührt vom ewigen Ge-
heimnis unbegreifbarer Ahnung, sahen wir auf
die Tante. Sie saß still, ihre hellen, halbblinden
Augen blickten in irgendeine Ferne. Sie sprach
an diesem Abend kein Wort mehr.

*

Streifschuß

„Du hättest dir kein hübsches Dienstmädchen
nehmen sollen, Ilse!"

„Ja, ich weiß, Grete! Was soll ich machen.
Man muß ja jetzt froh sein, wenn man über-
haupt eines bekommt. Ich weiß, sie ist etwas
übertrieben nymphomanisch — — —"

„Das ginge noch hin, — a — der —"

„Wieso, weiht du etwas Besonderes?? Um
Himmelswillen, um — —! Etwa — — mit
V'Ifreb???"

, Nein, mit deinem Mann!"

„Ach fooo-"

H. Rewald.

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Rolf v. Hoerschelmann: Vom Teufel geholt
Karl Johann Friedrich Lerbs: Der Schritt
Hans Rewald: Streifschuß
 
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