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31. JAHRGANG

G E N D

19 26 / NR. 30

DER WEG DER MARIETTA

VON MARGRETH MENGE. L

Der Bucklige wartete mit zitternder Ungeduld, bis es 8 Uhr schlug.
Dann griff er mit sparsamen Bewegungen in das Dunkel, nahm die kleine,
rote Rose vom Tisch und ging hinaus. Draußen hallten seine Schritte
dumpf durch den kellerartigen Flur. Er atmete schwer und hungrig beim
Emporsteigen. Daß das Mädel auch unter dem Dach wohnen mußte...

Er lächelte ergeben und versonnen. Sie gehörte da oben hinein in das
kleine, lustige Reich, die Marietta, so wie er in das Kellergeschoß. Beides
war nun einmal so und darum auch richtig. Oben blieb er aus der leßten
Stiege an einem schmalen Fenster stehen und sah hinaus. Er schnaufte und
stieß kleine, gejagte Laute aus, die tonlos waren und in einem Meer von
dumpfen Mietshausgeräuschen vollends erstickten.

Draußen hing ein Stück Aprildämmern zwischen den Häusern und den
Mauerwänden. Ein Schornstein ragte empor wie ein dunkler Finger,
dahinter stand die Mondsichel. „Sterne sind da," dachte er verzückt und hob
seinen Arm sehnsüchtig empor.

Mit kleinen Schritten ging er über den Flur und pochte. Die Tür
wurde sofort geöffnet. „Servus, Beppo," sagte das Mädel und blühte
blond und wie eine verzauberte Ahnung aus dem Kreis des Lichtes auf.
„Servus", sagte er rauh.

Es wurde, wie es nur bei Marietta werden konnte: nämlich neu und
seltsam, geheimnisvoll, süß und sehr wunderbar.

Jedesmal war es anders, das wußte Beppo schon. Sie war das Rätsel
selbst oder war der ewig schimmernde Reflex aus der Tiefe eines Stromes,
den man das Leben nannte. Vielleicht war sie das Leben selbst. Und in
ihn hatte sie mit ihrem kleinen, warmen Atem überhaupt erst eine Ahnung
vom Leben hineingehaucht. Denn was war er, Beppo Zaoerius, früher
gewesen? Ein Buckliger, der von den Menschen ausgelacht wurde und der

ihnen dafür die Schuhe flickte. Ja, er mußte sogar froh sein, daß er es tun
durfte, das Schuhflicken.

„Ich bete sie an," dachte er und spürte, wie ein bequemes, sesselartiges
Etwas seinen müden, runden Rücken aufnahm, liebevoll, geduldig, tragend,
anschmiegend.

Natürlich durfte sie nichts wissen, von dem Anbeten. Sie wäre vielleicht
erschrocken gewesen, vielleicht hätte sie ihn fortgejagt. Aber, so war es gut:
er faß und schwieg und aß kleine, knusprige Schnitten und trank Tee aus
einer wunderlichen Schale. Der Tee war so braun wie altes Gold und die
Schale mußte er vorsichtig halten mit seinen langen, krummen Fingern, die
besser zu den häßlichen, zerrissenen Stiefeln paßten.

Marietta hockte vor ihm auf einem dunkelroten Stück Teppich. Sie
stichelte an einem seidenen Tüchlein. Sie hatte kleine, weiße Hände, die
Finger der Rechten waren zerstochen. Beppo fühlte jedesmal ein schmerz-
haftes Zusamenziehen in seinem Kopfe, wenn er die zerstochenen Finger
sah. Sie nähte und stichelte den ganzen Tag, die Marietta. Wie er dieses
Sticheln haßte. Aber sie war ganz allein und mußte arbeiten. Troßdem
hungerte sie ab und zu ein wenig, vielleicht auch oft und viel, man kam nicht
recht dahinter. Die Arbeiten wurden so schlecht bezahlt. Tierische, dumpfe
Wut faßte ihn jedesmal, wenn er daran dachte, er hätte etwas tun mögen,
irgend etwas, sogar etwas Böses. Denn es mußte einmal irgend etwas
geschehen, vielleicht ein Mord oder ein Raub.

Nach solchem Aufwallen seiner unbegriffenen, unklaren Wut begann sein
Kopf jedesmal zu schmerzen. Er wurde müde und elend. Auch heute abend
erging es ihm so. Marietta schaute ihn forschend an, ließ ihr Plaudern
leiser werden und stand plötzlich behutsam auf. „I weiß schon," murmelte
sie. Dankbarkeit glühte in dem dunklen Auge des Buckligen auf und große

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2«lchaunx von Josef Mader

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Joseph Mader: Landstraßengespräch
Margreth Mengel: Der Weg der Marietta
 
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