Zeichnung von R. Rost
Erklärlich.
„Du, Ella, der Kommerzienrat hat von der Picke aus gedient, mußt
du wissen!"
„Ah, daher hat er seine Landsknechtmanieren!" C. F. G.
Jahre verheiratet ist". Warum schaue ich sie an und denke an ihre Worte.
— Draußen blüht ein warmer Frühling.
Meine alte Liebe fordert mich auf, nach Paris zu kommen. „Die Stunde
naht"... Ich sage: „Angebissene Gefühle, wenn sie später einmal genossen
oder verdaut werden müssen, schmecken nicht gut. Ich bin kein Freund
von wiederaufgefrischten Speisen." Im Grunde glaube ich, daß die Frauen
mich gar nicht lieb haben, aber sie sind maßlos eifersüchtig, denn sie können
nicht ertragen, daß man sich mit anderen beschäftigt. Die Baronin N. sagt
wieder: „Nicht wahr, Sie kommen Punkt 10 ins Palais de Danse." Ich
sage zu und denke, Schicksal, in welche Arme werde ich noch heute sinken.
Nach Tisch im Salon, sitze ich neben dem Sumpfvogel. Sie ringt nach
Unterhaltungsstoff. Ich lächle gutmütig, schweige hartnäckig, so wegen
eines Experimentes willen, und lasse sie zappeln. Endlich platzt sie los.
„Ich kenne Sie, wir waren vor Jahren zusammen im blauen Vogel.
Damals saßen Sie ebenso stumm wie jetzt und hatten...", hier unterbrach
ich sie, „das gleich blöde Gesicht, nicht wahr, das wollten Sie sagen".
Sie lachte häßlich, triumphierend. Welche Wollust der Selbstlosigkeit und
Macht, zu wissen, daß man für einen Dummkops gehalten wird und das
Bewußtsein hat, weit über den Menschen zu stehen. „Bessere"
Leute sind immer Märtyrer." Dann höre ich, wie sie der alten
Dame sagt. „Ich bin so allein, mein Mann ist in Paris, ich lang-
weile mich in der verlassenen Wohnung." Warum denke ich
wieder an ihre Worte? ... Draußen blüht ein warmer Frühling.
Plötzlich blitzt mir der Gedanke auf. Die beste Gelegenheit
mit einer fremden Frau... in einer lichtscheuen Stadt... alle
Worte bekommen einen gräßlich verführerischen Zusammen-
hang. Aber sie ist mir doch zu unsympathisch, ekelhaft und
nun auf einmal solche Perspektiven... Das ist schändlich, gemein.
Ich beschließe, ihr die Wahrheit zu" gestehen, um meine Seele
vom Schmutze zu befreien. Achten Sie bitte, „bessere" Leute
zittern stets wie Mütter über die Keuschheit ihrer Töchter, daß
ihre Seelchen sich rein erhalten.
Also auf dem Heimwege begleite ich sie. Ich forsche, ob sie
ihren Mann liebt. Was nach acht Jahren einer Ehe übrig bleibt,
das wäre Kameradschaft, meinte sie. Wie es mit ihrem Gewissen
stehe. Sie handelt zunächst und denkt erst später darüber nach.
Was wohl ihr größter Wunsch in dieser Minute sei. Sie zögert
mit der Antwort, sucht Ausflüchte, sie kann es nicht sagen... Vor
dem Hause rücke ich mit der nackten Wahrheit heraus. Ob sie
wisse, warum ich mit ihr gegangen bin. Ich warne vor der
Gemeinheit, die ich ihr zu sagen habe. Vergessen Sie nicht, ich
hatte sie kaum 1 Stunden gekannt. Sie aber ist unsagbar neu-
gierig. „Nun gut," begann ich, „Sie sind mir schrecklich unsym-
pathisch; als ich merkte, daß man Sie verführen könnte, begehrte
ich nach Ihnen, bis ich mich ertappte in dem schändlichen
Gefühle". Ich war froh, es gesagt zu haben und meine schöne
Seele gerettet. Sie machte ein erstauntes Gesicht, und ich er-
wartete einen Sturm von Entrüstung und bereitete mich vor,
alles mit Geduld und Sanftmut über mich ergehen zu lassen.
Sie aber hatte unterdessen ihre Tür aufgeschlossen und sagte mit
etwas bebender Stimme: „Kommen Sie mit." — Ich war
bestürzt: die Welt wankte unter meinen Füßen, sie hatte mich
mißverstanden. „Danke, nein," antwortete ich schroff, und eilte
in die Arme des warmen Frühlingsabends.
Ob wohl alle „besseren" Leute in der Großstadt so bummeln?
Wenn ihr aber im Frühling Menschen begegnet, die schlecht
aussehen, unverbesserliche Idealisten sind, sich etwas blöd in der
Gesellschaft benehmen und dabei einem Wahrheiten rücksichtslos
an den Kopf schmeißen, so möget ihr überzeugt sein, daß sie
zu den „Besseren" gehören.
Der T ü r m e r
Von L. S t aa b
Wir wissen nichts von ihm. Wir wissen nur sein Licht,
Das, von der Erde seltsam abgetrennt,
Allnächtlich über unserem Schlafe schwebt.
Kam er im nahen Tage uns entgegen, —
Er wäre so, daß keiner ihn erkennt.
Wir denken ihn nur: halb erschreckt und halb verwegen
Von seiner Fernheit. Glauben manchmal auch,
Sein Haar sei wild zerwühlt vom Sturm der nahen Glocken,
Auf seinen Schultern müßten, grau und rätselhaft,
Nächtliche Vögel wie verworrene Träume hocken,
In seine Hände sei der Dächer Flucht gerafft.
Gib deine Hand, mein Freund-Vielleicht-
Wir brauchen heute nicht die nur geahnten Stufen,
Die Nacht hat sie mit halbem Lächeln ausgewischt.
Und hat das Licht wie eine Frage angerufen.
Wir steigen zu des Turms uraltem Angesicht,
Wir wühlen uns in seine tiefsten Falten ein,
Wir wollen seinen dunklen Blick ergründen.
Sieh, wenn wir suchend uns verbünden,
Werden wir, schwebend zwischen Zeit und Raum,
Dem Allzunahen fern, wie unser Türmer sein.
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Erklärlich.
„Du, Ella, der Kommerzienrat hat von der Picke aus gedient, mußt
du wissen!"
„Ah, daher hat er seine Landsknechtmanieren!" C. F. G.
Jahre verheiratet ist". Warum schaue ich sie an und denke an ihre Worte.
— Draußen blüht ein warmer Frühling.
Meine alte Liebe fordert mich auf, nach Paris zu kommen. „Die Stunde
naht"... Ich sage: „Angebissene Gefühle, wenn sie später einmal genossen
oder verdaut werden müssen, schmecken nicht gut. Ich bin kein Freund
von wiederaufgefrischten Speisen." Im Grunde glaube ich, daß die Frauen
mich gar nicht lieb haben, aber sie sind maßlos eifersüchtig, denn sie können
nicht ertragen, daß man sich mit anderen beschäftigt. Die Baronin N. sagt
wieder: „Nicht wahr, Sie kommen Punkt 10 ins Palais de Danse." Ich
sage zu und denke, Schicksal, in welche Arme werde ich noch heute sinken.
Nach Tisch im Salon, sitze ich neben dem Sumpfvogel. Sie ringt nach
Unterhaltungsstoff. Ich lächle gutmütig, schweige hartnäckig, so wegen
eines Experimentes willen, und lasse sie zappeln. Endlich platzt sie los.
„Ich kenne Sie, wir waren vor Jahren zusammen im blauen Vogel.
Damals saßen Sie ebenso stumm wie jetzt und hatten...", hier unterbrach
ich sie, „das gleich blöde Gesicht, nicht wahr, das wollten Sie sagen".
Sie lachte häßlich, triumphierend. Welche Wollust der Selbstlosigkeit und
Macht, zu wissen, daß man für einen Dummkops gehalten wird und das
Bewußtsein hat, weit über den Menschen zu stehen. „Bessere"
Leute sind immer Märtyrer." Dann höre ich, wie sie der alten
Dame sagt. „Ich bin so allein, mein Mann ist in Paris, ich lang-
weile mich in der verlassenen Wohnung." Warum denke ich
wieder an ihre Worte? ... Draußen blüht ein warmer Frühling.
Plötzlich blitzt mir der Gedanke auf. Die beste Gelegenheit
mit einer fremden Frau... in einer lichtscheuen Stadt... alle
Worte bekommen einen gräßlich verführerischen Zusammen-
hang. Aber sie ist mir doch zu unsympathisch, ekelhaft und
nun auf einmal solche Perspektiven... Das ist schändlich, gemein.
Ich beschließe, ihr die Wahrheit zu" gestehen, um meine Seele
vom Schmutze zu befreien. Achten Sie bitte, „bessere" Leute
zittern stets wie Mütter über die Keuschheit ihrer Töchter, daß
ihre Seelchen sich rein erhalten.
Also auf dem Heimwege begleite ich sie. Ich forsche, ob sie
ihren Mann liebt. Was nach acht Jahren einer Ehe übrig bleibt,
das wäre Kameradschaft, meinte sie. Wie es mit ihrem Gewissen
stehe. Sie handelt zunächst und denkt erst später darüber nach.
Was wohl ihr größter Wunsch in dieser Minute sei. Sie zögert
mit der Antwort, sucht Ausflüchte, sie kann es nicht sagen... Vor
dem Hause rücke ich mit der nackten Wahrheit heraus. Ob sie
wisse, warum ich mit ihr gegangen bin. Ich warne vor der
Gemeinheit, die ich ihr zu sagen habe. Vergessen Sie nicht, ich
hatte sie kaum 1 Stunden gekannt. Sie aber ist unsagbar neu-
gierig. „Nun gut," begann ich, „Sie sind mir schrecklich unsym-
pathisch; als ich merkte, daß man Sie verführen könnte, begehrte
ich nach Ihnen, bis ich mich ertappte in dem schändlichen
Gefühle". Ich war froh, es gesagt zu haben und meine schöne
Seele gerettet. Sie machte ein erstauntes Gesicht, und ich er-
wartete einen Sturm von Entrüstung und bereitete mich vor,
alles mit Geduld und Sanftmut über mich ergehen zu lassen.
Sie aber hatte unterdessen ihre Tür aufgeschlossen und sagte mit
etwas bebender Stimme: „Kommen Sie mit." — Ich war
bestürzt: die Welt wankte unter meinen Füßen, sie hatte mich
mißverstanden. „Danke, nein," antwortete ich schroff, und eilte
in die Arme des warmen Frühlingsabends.
Ob wohl alle „besseren" Leute in der Großstadt so bummeln?
Wenn ihr aber im Frühling Menschen begegnet, die schlecht
aussehen, unverbesserliche Idealisten sind, sich etwas blöd in der
Gesellschaft benehmen und dabei einem Wahrheiten rücksichtslos
an den Kopf schmeißen, so möget ihr überzeugt sein, daß sie
zu den „Besseren" gehören.
Der T ü r m e r
Von L. S t aa b
Wir wissen nichts von ihm. Wir wissen nur sein Licht,
Das, von der Erde seltsam abgetrennt,
Allnächtlich über unserem Schlafe schwebt.
Kam er im nahen Tage uns entgegen, —
Er wäre so, daß keiner ihn erkennt.
Wir denken ihn nur: halb erschreckt und halb verwegen
Von seiner Fernheit. Glauben manchmal auch,
Sein Haar sei wild zerwühlt vom Sturm der nahen Glocken,
Auf seinen Schultern müßten, grau und rätselhaft,
Nächtliche Vögel wie verworrene Träume hocken,
In seine Hände sei der Dächer Flucht gerafft.
Gib deine Hand, mein Freund-Vielleicht-
Wir brauchen heute nicht die nur geahnten Stufen,
Die Nacht hat sie mit halbem Lächeln ausgewischt.
Und hat das Licht wie eine Frage angerufen.
Wir steigen zu des Turms uraltem Angesicht,
Wir wühlen uns in seine tiefsten Falten ein,
Wir wollen seinen dunklen Blick ergründen.
Sieh, wenn wir suchend uns verbünden,
Werden wir, schwebend zwischen Zeit und Raum,
Dem Allzunahen fern, wie unser Türmer sein.
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