E s regnet
Von Karl Kinndt
Ms es nun schließlich volle zweiunddreißig
Tage ununterbrochen geregnet hatte und der
Himmel immer noch grau und elender als das
Fell eines räudigen Esels aussah, holte ich kurz
entschlossen meinen alten Browning, der nun
schon seit zwei Jahren ungenutzt in der Schub-
lade lag, hervor, spannte ihn, setzte den Lauf —
genau wie ich es mir gelegentlich von einem
Arzt hatte beschreiben lassen — einen Daumen
breit über dem Ohr an die Schläfe und
drückte ab.
„Tick —" machte es: das war alles. Ich faß
da mit dummvergrämtem Gesicht — und draußen
regnete es genau wie vorher. Jetzt kam es mir
erst recht zum Bewußtsein, wie schändlich es
war, daß das Blinden-Fürsorge-Los, das Ringel-
natz und Frau mir zum Geburtstag geschenkt
hatten, nicht einmal den kleinsten Gewinn ge-
bracht hatte. Wütend riß ich die Spannung noch-
mals zurück, zielte probeweise auf die mitten im
Zimmer stehende Kaffeemaschine und drückte
wieder ab. Der Erfolg war wider Erwarten
groß! Die Kaffeemaschine war durch einen
Querschläger in tausend Fetzen zerspritzt und die
angeregt im Zimmer umhertrillernde Kugel hatte
zunächst drei Rippen des Zentral-Heizungskörpers
zerschlagen, um dann via Schreibtischstehlampe—
Kognakflasche—Paravent ihren Weg in ein Rez-
niceksches Liebespaar zu finden, hinter dem sic
in einem Mauerloch verschwand.
-Die kleine, kleine Kugel — dachte ich
alle Achtung! Ich Lberschlug die Höhe des or>-
gerichteten Schadens und lauschte. Gott sei Dank
war es ein Sonntag-Nachmittag und die Pension
wie ausgestorben. Aber es gluckste so merk-
würdig —! Oh — oh! Man hatte also tatsäch-
lich — im Juni — die Heizung liebevoll wieder
in Betrieb gesetzt und das angenehm warme
Wasser lief in drei dicken Strahlen aus den zer-
schossenen Rippen. Obwohl mich fröstelte, drehte
ich die Heizung ab, denn ich habe nicht gern
nasse Füße. Und noch weniger mag ich un-
ordentliche Zimmer. Verspritzter Kaffeesatz auf
Tisch, Tapete und Stühlen — Scherben und
Vlechfetzen überall! Und da ich außerdem die
Pensionsrechnung seit mehreren Wochen schuldig
geblieben war, packte ich den Browning, auf den
ich mich jetzt verlassen konnte, nebst dem Nötig-
sten in einen Handkoffer und verließ diese un-
wirtliche Behausung.
Es regnete immer noch. Aber in mir war
ein gotteslästerlicher Trotz aufgewacht —: ich
fuhr einfach an den Ammersee, wo ich als ein-
ziger Gast wahrhaft fürstlich empfangen wurde,
und besoff mich abends enorm.
Glaubt einer, diese kleine Geschichte fände da-
durch ihren versöhnenden Abschluß, daß am näch-
sten Mittag heller Sonnenschein durch meine
Fenster gesprungen wäre? Keineswegs! Das
Wasser floß weiter — dünnfädig — hoffnungs-
los — in Irrsinn erregender Ausdauer — aus
dem lückenlos-grauen Eselsfell. Aber ich war ja
auch nicht hierher gefahren, um freudig mein
Leben zu genießen, sondern nur, um — ohne
Krach und in Ruhe — zu sterben. Deshalb
ruhte ich, pendelnd zwischen Traum und Wachen,
fast gedankenlos bis zum Mittag und aß dann
ohne innere Anteilnahme ein Stück wäßriges
Kalbfleisch mit einem in saurem Wasser schwim-
menden Salat. Dann schlenderte ich durch die
Straßen, blieb sinnend vor einem Eisenwaren-
geschäft stehen — ach, ich liebe Eisenwaren-
geschäfte so sehr, weil da nur rationell-praktische
Gegenstände ausgestellt sind! — und kaufte mir
schließlich ein Paar schwere Schneider-Bügeleisen
und eine Rolle Draht.
Da einige Häuser weiter ein Kaffeehaus lag,
in dem ich vor zwei Jahren mal ein wirklich ent-
zückendes junges Mädchen — auch an einem
regnerischen Montag — vergeblich zum Rendez-
vous erwartet hatte, trank ich dort noch einen
Doppelkognak und begab mich mit Draht und
Bügeleisen zum See. Kein Mensch weit und
breit! Die Dielen des Landungsstegs der
Dampfer quiekten glitschend unter meinen Füßen.
Und vorn, wo ich früher — ohne Fische ernstlich
zu gefährden — so gern stundenlang geangelt
hatte, setzte ich mich neben einem der schweren
Stützbalken einfach ins Nasse und wollte gerade
die Bügeleisen auspacken, um sie mir mittels des
Drahtes an die Füße zu binden-als ich
eine Frau am Seeufer sah. Sie strebte offensicht-
lich auch dem Landungssteg zu — aber dann
blieb sie wie erschreckt stehen, ging zurück, setzte
sich auf eine Bank und fuhr mit der Hand unter
ihren Umhang, wo sie mir rätselhafte Manipu-
lationen vornahm.
Ich wartete still hinter dem Pfeiler verborgen.
— -Ist es nicht eigentlich göttliche Gerechtig-
keit — dachte ich, um mir die Zeit zu vertreiben
— daß ich nun — mit Bügeleisen beschwert auf
dem Seegrund stehend — den Fischen zur Nah-
rung dienen werde, die ich früher mit tückisch
vorgehaltenen Köder aus dem ihnen eigenen Ele-
ment hervorzuholen gedachte, damit sie mir zur
Nahrung dienten —?
Aber mein Denken wurde
durch das glitschende Quieken
der Holzdielen unterbrochen —:
die Frau hatte sich mit jähem
Ruck erhoben und kam näher.
Und kurz ehe sie mich entdecken
konnte, hielt sie inne — ich sah,
sie weinte — und schälte aus
ihrem Umhang einen jungen,
gelb-wolligen Hund, dem sie
mit einer Schnur einen dicken
Stein ans Halsband gebunden
hatte.
„Halt!" schrie ich — und
machte dabei eine so heftige Be-
wegung, daß der Draht und
das eine Bügeleisen ins Wasser
plumpste —: „Was wollen Sie
da tun?"
Die Frau erschrak:
„Was ich tun will? Sie
sehen es doch: unsern „Bella"
ersäufen! Wer nimmt heute
einen jungen Hund auch nur
geschenkt? Morgen müßte ich
ihn zur Steuer anmelden —
und der zweite kostet fünfzig
Mark! Mein Mann ist Schnei-
der — Ernte und Fremden-
saison ist verregnet — wer läßt
sich da etwas machen? Mein
Mann schlüge mich tot, müßte
er fünfzig Mark für das kleine
Vieh bezahlen —: also ersäuf
ich's!" Und zum Hunde ge-
wandt: „Nicht wahr, Bellochen,
das verstehst du? Oder wollen
Z e i di nu n g von R. v. Hoerschelmann
Courkoisie.
„Gestatten Sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache: Ihre Kleidung ist nicht ganz in Ordnung."
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Von Karl Kinndt
Ms es nun schließlich volle zweiunddreißig
Tage ununterbrochen geregnet hatte und der
Himmel immer noch grau und elender als das
Fell eines räudigen Esels aussah, holte ich kurz
entschlossen meinen alten Browning, der nun
schon seit zwei Jahren ungenutzt in der Schub-
lade lag, hervor, spannte ihn, setzte den Lauf —
genau wie ich es mir gelegentlich von einem
Arzt hatte beschreiben lassen — einen Daumen
breit über dem Ohr an die Schläfe und
drückte ab.
„Tick —" machte es: das war alles. Ich faß
da mit dummvergrämtem Gesicht — und draußen
regnete es genau wie vorher. Jetzt kam es mir
erst recht zum Bewußtsein, wie schändlich es
war, daß das Blinden-Fürsorge-Los, das Ringel-
natz und Frau mir zum Geburtstag geschenkt
hatten, nicht einmal den kleinsten Gewinn ge-
bracht hatte. Wütend riß ich die Spannung noch-
mals zurück, zielte probeweise auf die mitten im
Zimmer stehende Kaffeemaschine und drückte
wieder ab. Der Erfolg war wider Erwarten
groß! Die Kaffeemaschine war durch einen
Querschläger in tausend Fetzen zerspritzt und die
angeregt im Zimmer umhertrillernde Kugel hatte
zunächst drei Rippen des Zentral-Heizungskörpers
zerschlagen, um dann via Schreibtischstehlampe—
Kognakflasche—Paravent ihren Weg in ein Rez-
niceksches Liebespaar zu finden, hinter dem sic
in einem Mauerloch verschwand.
-Die kleine, kleine Kugel — dachte ich
alle Achtung! Ich Lberschlug die Höhe des or>-
gerichteten Schadens und lauschte. Gott sei Dank
war es ein Sonntag-Nachmittag und die Pension
wie ausgestorben. Aber es gluckste so merk-
würdig —! Oh — oh! Man hatte also tatsäch-
lich — im Juni — die Heizung liebevoll wieder
in Betrieb gesetzt und das angenehm warme
Wasser lief in drei dicken Strahlen aus den zer-
schossenen Rippen. Obwohl mich fröstelte, drehte
ich die Heizung ab, denn ich habe nicht gern
nasse Füße. Und noch weniger mag ich un-
ordentliche Zimmer. Verspritzter Kaffeesatz auf
Tisch, Tapete und Stühlen — Scherben und
Vlechfetzen überall! Und da ich außerdem die
Pensionsrechnung seit mehreren Wochen schuldig
geblieben war, packte ich den Browning, auf den
ich mich jetzt verlassen konnte, nebst dem Nötig-
sten in einen Handkoffer und verließ diese un-
wirtliche Behausung.
Es regnete immer noch. Aber in mir war
ein gotteslästerlicher Trotz aufgewacht —: ich
fuhr einfach an den Ammersee, wo ich als ein-
ziger Gast wahrhaft fürstlich empfangen wurde,
und besoff mich abends enorm.
Glaubt einer, diese kleine Geschichte fände da-
durch ihren versöhnenden Abschluß, daß am näch-
sten Mittag heller Sonnenschein durch meine
Fenster gesprungen wäre? Keineswegs! Das
Wasser floß weiter — dünnfädig — hoffnungs-
los — in Irrsinn erregender Ausdauer — aus
dem lückenlos-grauen Eselsfell. Aber ich war ja
auch nicht hierher gefahren, um freudig mein
Leben zu genießen, sondern nur, um — ohne
Krach und in Ruhe — zu sterben. Deshalb
ruhte ich, pendelnd zwischen Traum und Wachen,
fast gedankenlos bis zum Mittag und aß dann
ohne innere Anteilnahme ein Stück wäßriges
Kalbfleisch mit einem in saurem Wasser schwim-
menden Salat. Dann schlenderte ich durch die
Straßen, blieb sinnend vor einem Eisenwaren-
geschäft stehen — ach, ich liebe Eisenwaren-
geschäfte so sehr, weil da nur rationell-praktische
Gegenstände ausgestellt sind! — und kaufte mir
schließlich ein Paar schwere Schneider-Bügeleisen
und eine Rolle Draht.
Da einige Häuser weiter ein Kaffeehaus lag,
in dem ich vor zwei Jahren mal ein wirklich ent-
zückendes junges Mädchen — auch an einem
regnerischen Montag — vergeblich zum Rendez-
vous erwartet hatte, trank ich dort noch einen
Doppelkognak und begab mich mit Draht und
Bügeleisen zum See. Kein Mensch weit und
breit! Die Dielen des Landungsstegs der
Dampfer quiekten glitschend unter meinen Füßen.
Und vorn, wo ich früher — ohne Fische ernstlich
zu gefährden — so gern stundenlang geangelt
hatte, setzte ich mich neben einem der schweren
Stützbalken einfach ins Nasse und wollte gerade
die Bügeleisen auspacken, um sie mir mittels des
Drahtes an die Füße zu binden-als ich
eine Frau am Seeufer sah. Sie strebte offensicht-
lich auch dem Landungssteg zu — aber dann
blieb sie wie erschreckt stehen, ging zurück, setzte
sich auf eine Bank und fuhr mit der Hand unter
ihren Umhang, wo sie mir rätselhafte Manipu-
lationen vornahm.
Ich wartete still hinter dem Pfeiler verborgen.
— -Ist es nicht eigentlich göttliche Gerechtig-
keit — dachte ich, um mir die Zeit zu vertreiben
— daß ich nun — mit Bügeleisen beschwert auf
dem Seegrund stehend — den Fischen zur Nah-
rung dienen werde, die ich früher mit tückisch
vorgehaltenen Köder aus dem ihnen eigenen Ele-
ment hervorzuholen gedachte, damit sie mir zur
Nahrung dienten —?
Aber mein Denken wurde
durch das glitschende Quieken
der Holzdielen unterbrochen —:
die Frau hatte sich mit jähem
Ruck erhoben und kam näher.
Und kurz ehe sie mich entdecken
konnte, hielt sie inne — ich sah,
sie weinte — und schälte aus
ihrem Umhang einen jungen,
gelb-wolligen Hund, dem sie
mit einer Schnur einen dicken
Stein ans Halsband gebunden
hatte.
„Halt!" schrie ich — und
machte dabei eine so heftige Be-
wegung, daß der Draht und
das eine Bügeleisen ins Wasser
plumpste —: „Was wollen Sie
da tun?"
Die Frau erschrak:
„Was ich tun will? Sie
sehen es doch: unsern „Bella"
ersäufen! Wer nimmt heute
einen jungen Hund auch nur
geschenkt? Morgen müßte ich
ihn zur Steuer anmelden —
und der zweite kostet fünfzig
Mark! Mein Mann ist Schnei-
der — Ernte und Fremden-
saison ist verregnet — wer läßt
sich da etwas machen? Mein
Mann schlüge mich tot, müßte
er fünfzig Mark für das kleine
Vieh bezahlen —: also ersäuf
ich's!" Und zum Hunde ge-
wandt: „Nicht wahr, Bellochen,
das verstehst du? Oder wollen
Z e i di nu n g von R. v. Hoerschelmann
Courkoisie.
„Gestatten Sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache: Ihre Kleidung ist nicht ganz in Ordnung."
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