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JUGEND

31-jajihgang Sonderheft „Verboten“ NR':n

MAN SOLL IN LAUEN SOMMERNÄCHTEN NICHT DEN
TORGAUER MARSCH SPIELEN

VON WALTER FOITZICK

Paul Adam Kanisper war nicht nur ein sehr wohlhabender Mann,
sondern auch ein guter Staatsbürger, zwei Eigenschasten, die man häufig
in einer Person vereinigt findet, und die anscheinend einen gewissen
Zusammenhang miteinander haben, besonders wenn die Wohlhabenheit die
primäre Eigenschaft ist.

Da er seine Steuern, die Gas- und Telephonrechnung pünktlich be-
zahlte und auch ordnungsgemäß Krankenkassenmarken für seine Ange-
stellten klebte, hatte er nie Gelegenheit gehabt, die Gewalt des Staates
in ihrer ganzen Strenge zu spüren. Denn für einen Junggesellen, der
über ein so großes Vermögen verfügte, war die Versuchung, silberne
Söffet zu stehlen oder im Freien zu nächtigen, kaum vorhanden, und,
um auf der Trambahn schwarz zu fahren, jenem Deliktsport wohl-
habender Leute, dazu fehlte es Herrn Kanisper an der nötigen Phantasie.

Irgendwelche geheime Leidenschaften, die einen Zusammenstoß mit
dem Strafgesetz hätten bringen können, besaß er nicht, wenigstens traten
sie nicht hervor bis zu einem gewissen Tage.

Er lebte unter dem freiesten der Völker, wie er glaubte, als ein
vollkommen Freier und Unabhängiger. So wäre er wohl auch am
Ende seines Lebens geehrt und nachberufen von den einschlägigen
Lokalblättern der Stadt in ein Grab erster Klasse gesunken, wenn nicht
— ja wenn ihn nicht an jenem schwülen Iuliabend die Lust ange-

kommen wäre, den Torgauer Marsch auf dem Klavier zu spielen und
dabei den Takt mit beiden Füßen zu treten. Das war gewiß etwas
durchaus Harmloses, und ein Unbefangener wird sich dabei kaum etwas
denken, wenigstens Herr Kanisper dachte sich nichts dabei.

Und doch von den Rhythmen dieses altpreußischen Marsches her
datiert die Wandlung in Paul Adam Kanispers Leben. Es mochte so
zwischen elf und zwölf Uhr nachts gewesen sein, als er seinem musika-
lischen Bedürfnis tönenden Ausdruck verlieh. Wohlig strömten die lauen
Benzinschwaden der Großstadtsommernacht durch das weitgeöfsnete Fenster
herein, während die Töne des Torgauer Marsches hinausströmten. Das
eben aber war es. Den Tonwellen, die sich nach bestimmten, aber von
Herrn Kanisper nicht in Betracht gezogenen physikalischen Gesetzen nach
allen Seiten gleichmäßig verbreiteten, war von dem Musikanten der Weg
in die Sommernacht nicht versperrt worden.

Das war der Grund, weswegen nach einigen Tagen ein Schutzmann
im Hause Kanisper erschien und ein Papier überreichte. Niemals hatte
ein Schutzmann bisher die Schwelle dieses Bürgerheims betreten. Schutz-
leute kannte Herr Kanisper überhaupt nur aus Gerichlssaalberichten und
in Form von Gymnastik treibenden Verkehrswerkzeugen an den Straßen-
ecken. Das Papier, das ihm der Schutzmann überreichte, war ein Straf-
mandat. Darin stand geschrieben, Herr Kanisper habe in der Nacht vom

Zeichnung von Fr. Heubner

»Das Liegen auf Bänken ist verboten! Runter von der Bank, ich bin Kriminalbeamter!" —
„Das geht Sie gar nichts an! Ich bin Bankbeamter!"

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Register
Friedrich (Fritz) Heubner: Zeichnung ohne Titel
Walter Foitzick: Man soll in lauen Sommernächten nicht den Torgauer Marsch spielen
 
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