DerApfel Ludwig von Zumbusdi (Mündien)
DAS VERBOTENE GLÜCK
VON RICHARD RIESS
Der Kreis der Leidtragenden war nur klein gewesen. Nun sah
Wladimir Kanzoff, der russische Dichter, der seit Jahren in der Schweizer
Pension lebte, wieder droben in seiner Atelier-Mansarde, die er nun
allein bewohnte. In dem kleinen Nebenzimmer war Olgas Bettstatt
bereits abgedeckt, wie ein Hotelbett nach der Abreise des Gastes. Durch
das Fenster schlug der Zugwind, der frisch und jung von den Bergen kam.
Lm Atelier aber, wo es noch süßlich nach jenen Blumen roch, die
hier einen Tag lang auf dem Sarge gelegen hatten, saß Wladimir, und
sein Schmerz hatte keine Tränen mehr. Er, der sooft Menschenschicksal
gesehen und in seinen Romanen geschildert hatte, stand starr vor dem
Erlebnis. Er begriff einfach nicht. Krankheit . . . gewiß. Monatelang
hatte Olga in ihren Kissen gelegen, immer schwächer werdend, aber
doch ha. Aber doch mit ihm verbunden: durch das .gemeinsame Dach,
auch durch die Anteilnahme am Fortschritt des neuen Werkes. Sie
war krank, aber sie war doch noch. Und er begriff auch dies: das
Schweigen des Todes. Denn Tod und Schlaf sind Brüder. Und auch
als Olga in ihrem Sarge lag, aufgebahrt inmitten des Ateliers, in dem
sie so oft die Hausfrau gespielt und den Samowar bedient hatte, auch
dann noch war sie ihrem Genossen nicht fern. Aber nun-
Als die Erdschollen über den im Boden des Friedhofs versunkenen
Sarg sielen, da erst hatte Kanzoff gewußt, daß die Gefährtin ihm
verloren war. Unter ihrem Leben stand da erst jenes „finis“, mit dem
er so oft ein Werk beendet, das ihn eine Zeitlang als Teil seines Selbst
begleitet hatte. Aber das Werk, das hier zu Ende gekommen, sollte
eine Nachfolge nicht, nicht eine Wiederaufstehung finden.
Der alte Dichter fuhr aus seinem dumpfen Brüten auf. Man hatte
geklapst. Wladimir riß seine Hand aus dcm weißen Haarschopf und
blickte zur Tür.
„Ich wollte ein bißchen nach Ihnen sehen", sagte der Gast: Dr. Wende,
der schlanke deutsche Gelehrte, der seine kranke Lunge nun schon jahre-
lang in den Schweizer Bergen pflegte.
Wladimir schwieg. Aber er war dcm Fremden dankbar. Nur nicht
einsam sein . . .
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DAS VERBOTENE GLÜCK
VON RICHARD RIESS
Der Kreis der Leidtragenden war nur klein gewesen. Nun sah
Wladimir Kanzoff, der russische Dichter, der seit Jahren in der Schweizer
Pension lebte, wieder droben in seiner Atelier-Mansarde, die er nun
allein bewohnte. In dem kleinen Nebenzimmer war Olgas Bettstatt
bereits abgedeckt, wie ein Hotelbett nach der Abreise des Gastes. Durch
das Fenster schlug der Zugwind, der frisch und jung von den Bergen kam.
Lm Atelier aber, wo es noch süßlich nach jenen Blumen roch, die
hier einen Tag lang auf dem Sarge gelegen hatten, saß Wladimir, und
sein Schmerz hatte keine Tränen mehr. Er, der sooft Menschenschicksal
gesehen und in seinen Romanen geschildert hatte, stand starr vor dem
Erlebnis. Er begriff einfach nicht. Krankheit . . . gewiß. Monatelang
hatte Olga in ihren Kissen gelegen, immer schwächer werdend, aber
doch ha. Aber doch mit ihm verbunden: durch das .gemeinsame Dach,
auch durch die Anteilnahme am Fortschritt des neuen Werkes. Sie
war krank, aber sie war doch noch. Und er begriff auch dies: das
Schweigen des Todes. Denn Tod und Schlaf sind Brüder. Und auch
als Olga in ihrem Sarge lag, aufgebahrt inmitten des Ateliers, in dem
sie so oft die Hausfrau gespielt und den Samowar bedient hatte, auch
dann noch war sie ihrem Genossen nicht fern. Aber nun-
Als die Erdschollen über den im Boden des Friedhofs versunkenen
Sarg sielen, da erst hatte Kanzoff gewußt, daß die Gefährtin ihm
verloren war. Unter ihrem Leben stand da erst jenes „finis“, mit dem
er so oft ein Werk beendet, das ihn eine Zeitlang als Teil seines Selbst
begleitet hatte. Aber das Werk, das hier zu Ende gekommen, sollte
eine Nachfolge nicht, nicht eine Wiederaufstehung finden.
Der alte Dichter fuhr aus seinem dumpfen Brüten auf. Man hatte
geklapst. Wladimir riß seine Hand aus dcm weißen Haarschopf und
blickte zur Tür.
„Ich wollte ein bißchen nach Ihnen sehen", sagte der Gast: Dr. Wende,
der schlanke deutsche Gelehrte, der seine kranke Lunge nun schon jahre-
lang in den Schweizer Bergen pflegte.
Wladimir schwieg. Aber er war dcm Fremden dankbar. Nur nicht
einsam sein . . .
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