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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 31.1926, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 40
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https://doi.org/10.11588/diglit.6658#0271
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Ich hörte ihr Herz klopfen — und da ich doch etwas tun mußte, strich
>ch ihr still übers Haar.

Es war, als wollte eins den andern trösten, weil wir uns doch noch
immer so fremd blieben.

Und stets hörte ich ihr Herz klopfen.

Ich hätte darüber wohl schweigen sollen, doch ich sagte: „Wie dein
Herz klopft."

Und dann — schämte sie sich deswegen? — Genug — Eli schlug mir
plötzlich mit der Faust ins Gesicht.

Dies hatte ich nicht erwartet. Es war zu stark für meine Zärtlichkeit.
Zornig sprang ich auf.

Eli erwartete einen Angriff.

Ja, sie stellte sich vor mich, als würde sie zwar meinen Schlag abwehren,
aber als möchte sie ihn doch erhalten.

Nein, ich schlug sie nicht, aber ich warf ihr vor, daß sie kein Herz habe.

„Du hast kein Herz!" schrie ich ihr zu, wandte mich ab und lief auf dem
schmalen Pfad in das Feld hinein.

Sie kam mir nun weinend nach. Ich drehte mich kein einzigesmal um.
Ich war wirklich beleidigt.

Aber als es dann hinter mir stille wurde und nur die Halme rauschten,
blieb ich doch stehen.

Da fühlte ich mich plötzlich von weichen Armen umschlungen. Eli zog
mich nieder und ich ließ es geduldig geschehen. Daß sie kein Herz haben
sollte, kränkte sie sehr.

Ob ich ihr Herz vielleicht sehen wolle?

Ich befürchtete eine neue Teufelei und wehrte ab.

Jetzt aber riß sich das Mädchen das Kleid von den Schultern und zeigte
mir ihre Brust.

Damit ich ihr Herz sehen sollte, zeigte mir Eli die Brust.

Ich empfand mehr als ich dachte — wunderbar war dieses Mädchen
hier in den Halmen.

Oh, ich begriff gar nichts.

Mit offenem Mund starrte ich Eli an. Sie wollte mir wohl eine Freude
machen?

Ich war damals dreizehn Jahre alt, und noch nie hatte ich die Brust
eines Mädchens erblickt.

Vielleicht wollte mir Eli ihre Seele zeigen? Vielleicht wünschte sie mich
anders, als ich war.

Offenbar war sie mit mir nicht zufrieden, denn fast unwillig zog sie das
Kleid wieder hoch.

„Hast du nun mein Herz gesehen?" fragte sic.

„Ja," antwortete ich, obwohl ich ihr Herz nicht gesehen haben konnte.

Dann blieben wir noch eine Weile im Felde zwischen den Halmen
sitzen und lachten über unser dummes Spiel.

Fast jeden Nachmittag ging ich dann mit dem Zigeunermädchen hinaus
in die Felder. Immer wollte ich ihr Herz sehen, doch Eli zeigte mir nur
ihre Brust.

An einem Morgen reisten die Zigeuner ab. Im letzten Wagen saß Eli.
Ich lief lange aus der staubigen Landstraße mit, schließlich mußte ich
Zurückbleiben.

Auf einmal, der Wagen fuhr schon bald draußen im Walde, auf einmal
war es, als wollte mir Eli wiederum ihr Herz zeigen, aber sie bekam das
Kleid an den Schultern nicht los.

Oder wollte sie sich im letzten Augenblick nicht auf der Landstraße ent-
blößen, oder hatte sie ihr Herz nicht mit.

Vielleicht hatte sie überhaupt kein Herz.

Vielleicht hatte sie die Seele gemeint.

Ach, ich war damals noch so jung und töricht.

Dann wurde alles klein und winzig, und der Wagen entschwand unter
den Bäumen des Waldes.

CHARLESTON

Ja, fürwahr, er war zum Greinen,
War ein Tanz am Narrenseil:

Dieses Boxen mit den Beinen
Und auch mit dem Hinterteil!

's war das reinste Wadenmorden,
Blaugesleckt kam man nach Haus!
Wie ein Pferd, das scheu geworden,
Schlug man mit den Haxen aus!

Nein, der Tanz mit dem verkehrten
Körperteil war eine Pein!

Auch die hohen Tanzgelehrten
Englands sahen's endlich ein,

Und sie haben uns verständigt:
„Dieser Quark ist ausgequarkt,

Einen Charleston, der gebändigt,
Werfen wir nun auf den Markt!

Nicht, als ob der Floh sie jucke,

Tanzt nunmehr der Damenflor.

Flott zwar, aber nicht meschucke
Ist der Charleston junior!"

Dieser Weg erscheint mir gangsam
Für den neuen Tanz zu sein.

Nach der Tobsucht tritt hübsch langsam
Nun der stille Wahnsinn ein!

Karlchen

Zeichnung von Julius Diez

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Register
Julius Diez: Bitte um Feuer!
Karlchen: Charleston
 
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