Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 31.1926, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI issue:
Nr. 42
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.6658#0307
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DER PRIVAT-SEKRETÄR

VON CATHERINA GODWIN

Ich bin im Sanatorium interniert, lebenslänglich. Sanatorium ist ein
milder Ausdruck für die Stätte, in die man mich verbannte. Ich habe
Schweres erlitten: Emen mysteriösen Raub-Ueberfall, der mich „unzu-
rechnungsfähig" macht und von dem die Zeitungen in breiten Spalten
berichteten.

Aber ich habe weit mehr noch erlitten als die Oeffentlichkeit ahnt. Ich
weiß nicht, ob Sie meinen Fall tragisch oder komisch finden — prüfen
Sie selbst!

Doch Sie möchten zuvor wissen, wer ich bin?

Sehen Sie, solch ein Kerl bin ich: rücksichtslos an der Front, weil das
heute so sein muß, dekorative Fassade, prima Schneider und die Allüren
der Macht. Das Geschäft ist schon halb gewonnen. Ich versichere Sie,
auch Sie gäben meiner Erscheinung Kredit.

Kurz und gut: ich kann mich sehen lassen. Ich ließ mich aber nicht
sehen, sondern verleugnen. — Der Weg, um sich heute populär zu machen,
ist sich abzuschließen und den Prominenten zu markieren. Privatbüro mit
Dienerschaft, gepolsterten Doppeltüren usw. waren natürlich vorhanden.
Dann mein Privat-Sekretär. Auch ihn kennen Sie nicht. Herr Orland
ist ein Genie der Unnahbarkeit, ein Mann mit bezwingend ablehnender
Geste. Er sieht — ich gebe es zu — noch weit vorteilhafter aus als ich.
Seinen eigentlichen Beruf möchte ich mit „Kunsttrainer" bezeichnen. Der
Rührige hat mich kreiert, noch ehe ich das Mindeste zu Papier brachte.
Ich vergaß es Ihnen zu sagen, daß ich Schriftsteller bin. Meine wahren
Qualitäten habe ich erst aus der Presse erfahren: Herr Orland hat meinen
Lebenslauf, meine Weltreisen und meine Weltauffassung erfunden, zweifel-
los liegt auch bereits mein Nekrolog parat. Er hat Anekdoten über mich
erdacht, die einzig in ihrer Art sind, Indiskretionen aus meinem Privat-
leben, die mich selbst aufs höchste gespannt machten und dazu veranlaßten,

die Feder unternehmend in die Tinte zu tauchen, um endlich mit meinem
großen Roman zu beginnen. Sie haben jedoch die unsäglich müde Geste
nicht gesehen, mit der mein 8 Sprachen beherrschender General-Sekretär
mir abwinkte: „verfrüht!"

Er war der Meinung, man müsse das Interesse des Publikums und der
Verleger noch weit höher schüren, nicht durch das, was ich publiziere,
sondern durch das, was ich verschweige. Er vertrat die Ansicht, daß jeder
schriftlich festgelegte Standpunkt heute gefährde und jeder politische oder
geistige Führer ein kompromittierter Mann sei.

Nun — eigentlich hat mich sein« Regie auch ostmals verdrossen. Wenn
Sie die Anzüge, Stiefel, Gamaschen und Seiden-Taschentücher meines
feudalen Sekretärs gesehen hätten, wäre auch Ihnen die Frage auf-
gestiegen, welcher Autor sich einen solchen Privat-Sekretär leisten könne.

Ich ahne nicht, wo Herr Orland die Gelder hernahm, um mich zu
finanzieren. Zweifellos hat sein Auftreten uns den nötigen Kredit ver-
schafft. Ich verbrachte die Tage wie ein echter Dichter, lagerte auf der
Ottomane, träumte von Ruhm und Lorbeeren und führte wie alle großen
Herren ein Privatleben privater Natur. Mit einem Worte: ich nahm mir
als Lebemann die Früchte meines Ruhmes vorweg.

Herr Orland jedenfalls hat mich als unwiderstehlichen Don Juan
gestempelt. Ich habe ihn und die Presse reden lassen. Auch weiß ich nicht,
was er Fräulein Serana in die Maschine diktierte. Die beiden versandten
täglich Dutzende Briefe, stündlich liefen Telegramme ein, Herr Orland
korrespondierte mit allen maßgeblichen illustrierten Blättern der Erde.
Denn er machte mich vor allem durch das Bild populär. Das heißt,
niemals veröffentlichte er mein Porträt, er verstand es, die Neugierde des
Publikums zu wecken, er zeigte zum Beispiel meinen imposanten Rücken
im Automobil auf Sumatra, zeigte mein verlorenes Profil bei einer

Zeichnung von Julius Diez

FRÜH

IM HERBST

Dies ist die Zeit der halbzerstörten Gärten.

Sie liegen starr in schattenloser Helle,

Bon einem Ungeheuerlichen überwältigt,

Das sie im ersten Reis der Nächte angerührt.

An ihrem angstvoll angehaltnen Atem
Zerbricht der Stunden gläsern ferner Schlag,
Zersplittert dieser Tage trübe Welle.

Die Farben haben sich verhundertfältigt.

Sie sind mit keinem Namen mehr zu nennen,

Sie sind auf einer scheuen Flucht
Und wollen nicht mehr angerufen sein.

Nur ein paar frühe Astern sind verführt.

Doch ihrer Sterne gelb und roter Schein
Ist einer Totenkerze flackernd Brennen.

Die Laute sind zu ungewiß, um sie zu sagen:

Ein fernes Bellen und ein nahes Rascheln,

Wenn sich ein Blatt im Schlaf zusammenrollt,
Wenn eine Frucht ihr matt gehämmert Gold
Dem Reifsein ..d der Schwere überläßt.

Und immer dieses kleinen Vogels Ruf,

Der klagend um e n wenig Sonne wirbt
In einer dumpfen, unverstandnen Not.

O starrer Garten — —

O bunte Täuschung, naher Tod-

So leis ist alles nur, wo etwas stirbt.

Lina S ta a b

830
Index
Julius Diez: Mode-Blüthen
Lina Staab: Früh im Herbst
Katharina (Catherina) Godwin: Der Privat-Sekretär
 
Annotationen