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3--Jahrgang
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I N HER MARSCH
Düster ist's in der Marsch, die schwarzen Schatten der Bäume
Spiegeln gespensterhaft in den Wassern sich wider,
Grau und trübe die Welt — und wie zerrissene Träume
Tönen ganz von ferne seltsame keuchende Lieder . . .
Sterbender Tag rinnt in die Gräben zurück.
Sterbender Tag — verlorenes Sonncnglück —.
Nacht steht über der Marsch, starrt verloren und stumm in die Weite,
Droben droht der Himmel die Welt zu erschlagen.
Kauz- und Eulenschre! geben ihr dunkles Geleite,
Fern aus den Gräben der Unken trauriges Klagen .. .
Weite, die nur Nacht in den Armen hält,
Grübelt düster über den Sinn der Welt. —
Sucht wohl hier und da ein Licht die Nacht zu durchbrechen,
Die Gespenster der Weite zu überwinden.
Mächtig aber verbietet das Land sein Sprechen,
Es ist zu tief, um seinen Sinn zu ergründen.
Und der Tag, der aufs neue die Arme hebt,
Findet nur Dunkel, das er umsonst durchwebk.
Fruuz Scigebiel.
Robinson
Cornelia Zeller
« R O 8 SPÄTER H A A C K E
Von Hans Wesemann
Er war schon seit zehn Jahren gelähmt. Seit jenem Schlagansall,
der ihn mitten bei der Arbeit in seiner Schmiede ereilte, hatte er sich
von seinem Lehnstuhl ohne fremde Hilfe nicht mehr erheben können.
Grobknöchig und hager, der große Körper zusammengeschrumpft wie
eine Mumie, den Kopf zurückgelehnt und die beiden Arme mit den
mächtigen Händen auf die Stütze des Sessels haltend, so saß er,
Jahr und Tag, unbeweglich in seiner Stube. Durch das kleine Fenster
sah er den Hof mit altem Gerümpel, Eisenstangen und Wagenrädern.
^Manchmal klang von der nahen Schmiede Gehämmer und das
Schnaufen eines Blasebalges. Er kannte das alles, als verrichte er
selbst die Arbeit, und kam sein Sohn Georg mittags und abends mit
kurzem Gruß schwerfällig hereingestapft, um dann dem Alten über
die kleinen Begebenheiten des Geschäftes zu berichten, so wußte dieser
schon im voraus alles und jedes. Sprechen konnte er nicht. Ein
undeutliches qualvolles Stammeln, das sich nie zu Wort und Sinn
gestalten wollte, war alles, was ihm zur Verständigung übrig blieb.
Nur die Augen sprachen und die mächtigen Hände. Das einzige, was
er ohne fremde Hilfe bewegen konnte. Diese Hände, mit ihren ge-
krümmten Fingern und mächtigen Nägeln glichen den Klauen eines
großen Raubvogels. Geschaffen und bereit, eine lebendige Beute zu
ergreifen, zu zerdrücken und zu zerreißen. Es waren Hände von
besonderer Form und Ausdrucksfähigkeit, die ganz unabhängig von
dem Körper des Gelähmten ein eigenes Dasein zu führen schienen.
Dieses Leben zu zweien war all die Jahre ruhig dahingegangen.
Der Alte wußte, daß er noch lange leben würde, und der Sohn, ein
dumpf beschränkter Mensch, konnte sich kein anderes Dasein als das
gewohnte vorstellen. Nur manchmal nachts, wenn er erwachte und
schaudernd in der kalten stickigen Kammer Einsamkeit und Leere um
sch fühlte, faßte ihn plötzlich ein dumpfer Trieb nach menschlicher
Nähe und körperlicher Wärme. Cr wälzte sich unruhig, bis er hörte,
daß der Alte erwachte und horchte. Dann stellte er sich schlafend
und bald war alles wieder vergessen.
Aber eines Tages kam die neue Veränderung in ihr Leben. Der Pfarrer
des Dorfes hatte eine junge Waise als Mädchen ins Haus gebracht
und sie den beiden Männern, eigentlich gegen ihren Willen, als Magd
aufgenötigt. Der Alte wußte vom ersten Augenblick an, daß er dieses
junge dralle Bauernmädchen von ganzem Herzen haßte und daß vom
ersten Tage ihres Eintrittes an Unheil für ihn und feinen Sohn sich
vorbereitete. Das Mädchen aber war frisch und unbekümmert. Lief sie
am frühen Morgen mit der Milchkanne klappernd über den Hof,
so sang sie dabei, stellte sie mittags das Esten auf den Tisch, so lachte
sic den Jungen an und zeigte ihm ihre festen Zähne. Sie liebte die
Tiere, und die stummen Geschöpfe erwiderten ihre Neigung. Es war
das gesunde animalische Leben, daü mit ihr in das alte Haus ge-
kommen war. Der Junge spürte am stärksten die Veränderung. Er
sprach zwar nie davon, aber der Alte merkte eS doch. An einem
kleinen Blick, den er gelegentlich dem Mädchen nachschickte, an neuen
und ihm bislang unbekannten Bewegungen, ivcnn er aus ihrer Hand
den Teller mit der dampfenden Suppe entgegennahm und vielleicht
aus anderen, äußerlich unbemerkbaren Symptomen, die er mit dem
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Düster ist's in der Marsch, die schwarzen Schatten der Bäume
Spiegeln gespensterhaft in den Wassern sich wider,
Grau und trübe die Welt — und wie zerrissene Träume
Tönen ganz von ferne seltsame keuchende Lieder . . .
Sterbender Tag rinnt in die Gräben zurück.
Sterbender Tag — verlorenes Sonncnglück —.
Nacht steht über der Marsch, starrt verloren und stumm in die Weite,
Droben droht der Himmel die Welt zu erschlagen.
Kauz- und Eulenschre! geben ihr dunkles Geleite,
Fern aus den Gräben der Unken trauriges Klagen .. .
Weite, die nur Nacht in den Armen hält,
Grübelt düster über den Sinn der Welt. —
Sucht wohl hier und da ein Licht die Nacht zu durchbrechen,
Die Gespenster der Weite zu überwinden.
Mächtig aber verbietet das Land sein Sprechen,
Es ist zu tief, um seinen Sinn zu ergründen.
Und der Tag, der aufs neue die Arme hebt,
Findet nur Dunkel, das er umsonst durchwebk.
Fruuz Scigebiel.
Robinson
Cornelia Zeller
« R O 8 SPÄTER H A A C K E
Von Hans Wesemann
Er war schon seit zehn Jahren gelähmt. Seit jenem Schlagansall,
der ihn mitten bei der Arbeit in seiner Schmiede ereilte, hatte er sich
von seinem Lehnstuhl ohne fremde Hilfe nicht mehr erheben können.
Grobknöchig und hager, der große Körper zusammengeschrumpft wie
eine Mumie, den Kopf zurückgelehnt und die beiden Arme mit den
mächtigen Händen auf die Stütze des Sessels haltend, so saß er,
Jahr und Tag, unbeweglich in seiner Stube. Durch das kleine Fenster
sah er den Hof mit altem Gerümpel, Eisenstangen und Wagenrädern.
^Manchmal klang von der nahen Schmiede Gehämmer und das
Schnaufen eines Blasebalges. Er kannte das alles, als verrichte er
selbst die Arbeit, und kam sein Sohn Georg mittags und abends mit
kurzem Gruß schwerfällig hereingestapft, um dann dem Alten über
die kleinen Begebenheiten des Geschäftes zu berichten, so wußte dieser
schon im voraus alles und jedes. Sprechen konnte er nicht. Ein
undeutliches qualvolles Stammeln, das sich nie zu Wort und Sinn
gestalten wollte, war alles, was ihm zur Verständigung übrig blieb.
Nur die Augen sprachen und die mächtigen Hände. Das einzige, was
er ohne fremde Hilfe bewegen konnte. Diese Hände, mit ihren ge-
krümmten Fingern und mächtigen Nägeln glichen den Klauen eines
großen Raubvogels. Geschaffen und bereit, eine lebendige Beute zu
ergreifen, zu zerdrücken und zu zerreißen. Es waren Hände von
besonderer Form und Ausdrucksfähigkeit, die ganz unabhängig von
dem Körper des Gelähmten ein eigenes Dasein zu führen schienen.
Dieses Leben zu zweien war all die Jahre ruhig dahingegangen.
Der Alte wußte, daß er noch lange leben würde, und der Sohn, ein
dumpf beschränkter Mensch, konnte sich kein anderes Dasein als das
gewohnte vorstellen. Nur manchmal nachts, wenn er erwachte und
schaudernd in der kalten stickigen Kammer Einsamkeit und Leere um
sch fühlte, faßte ihn plötzlich ein dumpfer Trieb nach menschlicher
Nähe und körperlicher Wärme. Cr wälzte sich unruhig, bis er hörte,
daß der Alte erwachte und horchte. Dann stellte er sich schlafend
und bald war alles wieder vergessen.
Aber eines Tages kam die neue Veränderung in ihr Leben. Der Pfarrer
des Dorfes hatte eine junge Waise als Mädchen ins Haus gebracht
und sie den beiden Männern, eigentlich gegen ihren Willen, als Magd
aufgenötigt. Der Alte wußte vom ersten Augenblick an, daß er dieses
junge dralle Bauernmädchen von ganzem Herzen haßte und daß vom
ersten Tage ihres Eintrittes an Unheil für ihn und feinen Sohn sich
vorbereitete. Das Mädchen aber war frisch und unbekümmert. Lief sie
am frühen Morgen mit der Milchkanne klappernd über den Hof,
so sang sie dabei, stellte sie mittags das Esten auf den Tisch, so lachte
sic den Jungen an und zeigte ihm ihre festen Zähne. Sie liebte die
Tiere, und die stummen Geschöpfe erwiderten ihre Neigung. Es war
das gesunde animalische Leben, daü mit ihr in das alte Haus ge-
kommen war. Der Junge spürte am stärksten die Veränderung. Er
sprach zwar nie davon, aber der Alte merkte eS doch. An einem
kleinen Blick, den er gelegentlich dem Mädchen nachschickte, an neuen
und ihm bislang unbekannten Bewegungen, ivcnn er aus ihrer Hand
den Teller mit der dampfenden Suppe entgegennahm und vielleicht
aus anderen, äußerlich unbemerkbaren Symptomen, die er mit dem
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