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seiner bisherigen DerständigungSversuche verzichtete, gewöhnten sich
sein Sohn und die Frau bald an diese neue Art und ließen den Alten
sür sich gewähren, so das er beinahe noch bei Lebzeiten vergessen war
und -ivie ein altes Gerät, das zu nichts mehr dient, ans seinem Platze
blieb. Aber seine LebcnSkrast war gesammelter und stärker als je
zuvor. Er wußte, daß sich etwas vorbereitete. Und so vernahm er
dann auch, Wie etwas längst Erwartetes, als eines Nachmittags das
Geräusch zweier Stimmen in seiner Nähe laut wurde. Auch ohne die
Augen zu öffnen, wußte er, daß die Frau mit einem fremden Manne
sprach, und ebenso instinktiv hatte er die Erkenntnis, daß sich hier
etwas Ehebrecherisches vollzog. Das wiederholte sich seht öfter. Er
wußte es immer im voraus, zu welcher Stunde der fremde Mann
kommen würde. Es war, als ob ihm eine innere Stimme dag Geheim-
nis der beiden verraten hätte. Er sah den jungen Mann in Iägcrtracht
so deutlich vor sich, als ob er ihn seit fahren gekannt hätte. Er wußte
um die ganze Entwicklung dieser Liebesaffäre. Er hörte jedes geflüsterte
Wort. Er wußte um das leichte, unverfängliche Gespräch am ersten
Tage bis zum Geständnisse schamloser, süßer Vertraulichkeiten zu

Nk arianne

späterer Zeit. Er kannte die verstohlenen Umarmungen, die ehe-
brecherischen Küsse. Er fühlte, wie die beiden verstohlen und gierig
hinter der angelehnten Tür sich einer ersten wilden Umarmung Hin-
gaben. Und es brannte in ihm eine kalte, grausame Freude, wenn er
an den Schlußakt dieser Geschichte dachte, denn er wußte, daß sie ihm
endgültig Genugtuung verschaffen würde. Zu seinem Sohn äußerte er
in keiner Weise etwas über seine Mitwisserschaft und selbst, als die
junge Frau eines Tages in jähem Mißtrauen ihn wieder beschimpfte,
ja selbst, als sie im höhnischen Trotz ihm das Geständnis ihrer Schuld
ins Gesicht warf, rührte er sich nicht. Er war seiner Sache zu sicher.
Aber eines Tages geschah etwas, das ihn emporschreckte und aus seiner
vermeintlichen Sicherheit in tiefste Ohnmacht stürzte. Er vernahm, wie
die beiden einen Fluchtplan verabredeten. Die junge Frau wehrte sich,
ihren Mann zurückzulassen. Der andere sprach dagegen, drängte, bat,
und schließlich kam ein Vorschlag, den Ehemann aus dem Wege zu
räumen. Wenn er nach seiner Gewohnheit mittags nach dem Esten in
den Keller Hinabstieg, sollte er aus der engen, steilen Treppe auögleiten
und im Sturze sich den Hals brechen. Der Alte war bei den ersten
Worten des Gesprächs zusammengefahren.
Die Erregung war urplötzlich so stark in
ihn hineingefahren, daß er zu schreien ver-
suchte. Aber es kam kein Laut heraus und
so blieb er unbeweglich sitzen und horchte.
Ec hörte, wie der Mann die Treppe hin-
unterslieg, wie man sich im Keller zu schaf-
fen machte, eine Säge wurde ganz leise
durch das Holz gezogen, dann ein Klirren
mit Weinstaschen. Er wußte, jetzt war es
getan. Und jetzt zum ersten Male seit
langer Zeit wieder öffnete er die Augen
und sah die Frau mit dem fremden Mann
für einen Augenblick, wie sie an der offenen
Küchentür zärtlichen Abschied voneinander
nahmen.

An diesem Mittag versuchte er vergeb-
lich, seinem Sohn alles klar zu machen. Es
war eine qualvolle Anstrengung, ein schreck-
liches Stöhnen, ein Hervorwürgen von ein-
zelnen Lauten, das wie ein schweres Aechzen
klang. Der Alte versuchte das mahnende
Wort hinauszustoßen. Sein Sohn gab ihm
einen gutmütigen Klapps auf die Schulter,
ergriff dann den Weinkrug und ging nach
der Kellertür. Den Alten durchfuhr ein so
heftiger Schmerz in diesem Augenblick, daß
er glaubte, das Herz müsse ihm springen.
Und plötzlich fühlte er, wie seine Hände
lebendig wurden. Er konnte sie öffnen und
schließen. Es war mit einem Male die alte
Stärke wieder in ihnen, obwohl der Körper
selber wie gelähmt zurückblieb. Und dann
in einem Zustande der stärksten Spannung
wartete er auf seinen Augenblick. Denn
jetzt klang mit einem Poltern und Krachen
ein Schrei seines Sohnes aus dem Keller,
und auch ohne das nervös triumphierende
Lachen der Frau wußte er, daß sein Sohn
tot war. Aber als dann das Weib in eineni
Anfall von Raserei und höhnendem Ueber-
mut ans ihn losstürzte, hoben sich plötzlich
seine beiden Arme gegen die Erschreckte.
Die mächtigen Greifhände schlugen wie
Zangen in den Hals der Frau und ehe noch
das Röcheln der Ueberraschten aus der
Kehle herausgekommen war, hing sie ent-
seelt in den furchtbaren Griffen.

Als man nach mehreren Stunden die
Tragödie entdeckte, war der Alte tot, man
mußte seine Hände aufschneiden, um sie von
A. Burkart dem Halse der Frau zu lösen.

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Albert Burkart: Marianne
 
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