kleidern gehe ich in kein großes Hotel.
Du weißt, Hamilkar, entweder ganz oder
gar nicht: wenn ich Wintersport treibe,
brauche ich elegante Abendtoiletten.
Hainilkar Humbler wußte das zwar,
hatte es aber übersehen, weil er ja in
erster Linie Firnschnee und Bergwind
gedacht hatte. Den wohlbegründeten
Ansichten seiner Gemahlin über Eleganz
konnte er aber nichts entgegensetzen, da
ja auch die Journale mit dem Begriff
Wintersport in Wort und Bild merk-
würdigerweise schwarzen Samt und
sandfarbigen Cröpe de Chine verbanden.
Neben etlichen Abendkleidern kaufte
man erhebliche Mengen von Wolluten-
silien ein. An Stelle seines lieben dunklen
Anzuges mußte Herr Humbler einen
Pullover anziehen, der init kindischen
Figuren durchwebt war, und um die
Mitte seines Körpers legte er einen
Ledergürtel, der wie ein Aequator Herrn
Humbler in eine nördliche und in eine
südliche Hälfte zerlegte.
Als man in dem Winterkurort an-
kam, regnete es in Strömen, und Herr
Humbler bedauerte, keinen Regenschirm
mitgenommen zu haben. Seine Frau
aber zeigte auf die vielen Berliner, die
alle in sachgemäßen Wollpackungen auf
dem Bahnhofplatz standen, auch ohne
jeden Regenschirm und bis an die Knie
im Dreck. Sie warteten auf die Neu-
angekommenen Berliner Zeitungen und
zogen wie Schwämme die Feuchtigkeit
von oben und unten in ihre Wolle.
Herr Humbler nahm eine ordentliche
Lunge voll Benzingas, das den warten-
den Hotelautobussen in reichem Maße
entströmte und sagte: „Aber die Luft
ist herrlich, wie Sekt."
Man gewöhnte sich an den orts-
üblichen Wintersport. Morgens sah
man nach, wie weit das Barometer
gefallen war, dann watete man etwas
im Schlamm der Dorfstraße umher,
wozu man sich aber nicht der Gummi-
schuhe bedienen durfte >vie die Einge-
borenen. Diese unterschieden sich von
den winterlichen Kurgästen dadurch, daß
sie wie andere vernünftige Menschen
der nördlich gemäßigten Zone angezogen
waren, Wintermäntel trugen und über-
haupt durch ihre Kleidung gegen den
unaufhörlich herabströmcnden Regen
geschützt waren.
Herr Humbler beneidete sie, er mußte
immer in seinem läppischen Pullover
herumlaufen und konnte sich nur noch
dunkel erinnern, wie schön trockene Füße
waren. Nur ganz selten noch sagte er
Bergwind und Firnschnee und blickte
träumerisch aus die bunten Ansichts-
karten, aus denen zu ersehen war, daß
der Ort mitten im Gebirge lag und
nicht in einer Kiste mit grauer Watte.
Die sportliche Hauptbctätigung be-
stand in dem Marsch zum Bahnhof,
wo man die Zeitungen kaufte. Dort
stand nian dann ein halbes Stündchen
un abgrundtiefen Modder und freute
sich, daß es die anderen auch nicht besser
hatten. Wenn man den vorgeschriebenen
Feuchtigkeitsgehalt erreicht hatte, durfte
man wieder ins Hotel, und dann kam
der Abend, dieser herrliche Bergwinter-
abend, wo man die europäischen Kleider
anziehen durste und bei den Klängen
einschmeichelnder Charlestons sich lang-
sam auftauen fühlte.
Dann war der Herr Direktor fast
glücklich und Lissy ganz, weil der ele-
ganteste Kavalier des Hotels, der fabel-
hafte Sportsmann Herr v. Karwendcl
für Frau Lissy und deren Toiletten
Interesse und Verständnis zeigte. Be-
sondere Bewunderung zollte er der wert-
vollen Perlenkette.
So wäre dieser Winterausenthalt
ganz normal verlaufen, und man hätte,
nach Berlin zurückgekehrt, von den herr-
lichen Bergfahrten, ja sogar von Firn-
schnee und dem Zauber der ewigen Berge
berichten können, wenn nicht infolge
einer unglücklichen Depression über Ir-
land in einer Nacht plötzlich der Dauer-
regen in Schnee übergegangen wäre,
so daß man am nächsten Tage infolge
des meterhohen Schnees sogar den Gang
zum Bahnhof unterlassen mußte. Jetzt
wurde die Sache ernst, jetzt hatte der
anstrengendere Teil des Wintersports
einzusetzen.
Und er setzte mit Macht ein. Herr
Humbler sehnte sich nach den schönen
Tagen der nassen Füße, denn jetzt war
das Wasser in seinen Schuhen gefroren,
und das hatte der Herr Direktor gar
nicht gern. Ja, und Lissy und Herr
von Karwendel hatten eine Bobsährt
beschlossen, natürlich zu dreien.
Man stand oben, am Anfang der
Bobbahn, und auch der Bobsleigh stand
da. Herr Humbler konnte diesem Gerät
sein Mißtrauen nicht verhehlen; da war
keinKühler,da waren keine Schutzbleche,
und da war nicht einmal eine Karosserie,
nur so ein Brett und einige harte Cisen-
teile, und vorne eine geradezu lächerliche
Steuerung wie bei einem Kinderspiel-
zeug. Herr von Karwendel machte eine
einladende Handbewegung: „Rückwärts
Sie, Herr Direktor, dann die gnädige
Frau, und ich am Steuer. Die Stellung,
die man einnahm, fand Herr Humbler
höchst ungewöhnlich, so setzte man sich
in höheren Finanzkreisen nicht hin.
Zwischen seinen Knien saß Lissy; das
ging schließlich noch. Aber dann schwang
sich Herr von Karwendel zwischen die
Knie seiner Frau. Zu einem Protest
konnte er nicht mehr kommen, denn
irgend jemand schrie schon: „Bob loö!"
und Herrn Humbler blieb die Luft weg.
Er preßte angstvoll seine Knie zusam-
men, bis ihm Lissy einen kräftigen Puff
mit dem Ellbogen gegen die hartge-
frorene Nasegab und nach hinten zischte:
Philosophie „Jammerlappen!"
Das Schifahren is wie ne Schmie- Jammerlappen?
germutter, man freut sich immer auf Was bildete sich
die „Abfahrt". diese Person eigent-
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Du weißt, Hamilkar, entweder ganz oder
gar nicht: wenn ich Wintersport treibe,
brauche ich elegante Abendtoiletten.
Hainilkar Humbler wußte das zwar,
hatte es aber übersehen, weil er ja in
erster Linie Firnschnee und Bergwind
gedacht hatte. Den wohlbegründeten
Ansichten seiner Gemahlin über Eleganz
konnte er aber nichts entgegensetzen, da
ja auch die Journale mit dem Begriff
Wintersport in Wort und Bild merk-
würdigerweise schwarzen Samt und
sandfarbigen Cröpe de Chine verbanden.
Neben etlichen Abendkleidern kaufte
man erhebliche Mengen von Wolluten-
silien ein. An Stelle seines lieben dunklen
Anzuges mußte Herr Humbler einen
Pullover anziehen, der init kindischen
Figuren durchwebt war, und um die
Mitte seines Körpers legte er einen
Ledergürtel, der wie ein Aequator Herrn
Humbler in eine nördliche und in eine
südliche Hälfte zerlegte.
Als man in dem Winterkurort an-
kam, regnete es in Strömen, und Herr
Humbler bedauerte, keinen Regenschirm
mitgenommen zu haben. Seine Frau
aber zeigte auf die vielen Berliner, die
alle in sachgemäßen Wollpackungen auf
dem Bahnhofplatz standen, auch ohne
jeden Regenschirm und bis an die Knie
im Dreck. Sie warteten auf die Neu-
angekommenen Berliner Zeitungen und
zogen wie Schwämme die Feuchtigkeit
von oben und unten in ihre Wolle.
Herr Humbler nahm eine ordentliche
Lunge voll Benzingas, das den warten-
den Hotelautobussen in reichem Maße
entströmte und sagte: „Aber die Luft
ist herrlich, wie Sekt."
Man gewöhnte sich an den orts-
üblichen Wintersport. Morgens sah
man nach, wie weit das Barometer
gefallen war, dann watete man etwas
im Schlamm der Dorfstraße umher,
wozu man sich aber nicht der Gummi-
schuhe bedienen durfte >vie die Einge-
borenen. Diese unterschieden sich von
den winterlichen Kurgästen dadurch, daß
sie wie andere vernünftige Menschen
der nördlich gemäßigten Zone angezogen
waren, Wintermäntel trugen und über-
haupt durch ihre Kleidung gegen den
unaufhörlich herabströmcnden Regen
geschützt waren.
Herr Humbler beneidete sie, er mußte
immer in seinem läppischen Pullover
herumlaufen und konnte sich nur noch
dunkel erinnern, wie schön trockene Füße
waren. Nur ganz selten noch sagte er
Bergwind und Firnschnee und blickte
träumerisch aus die bunten Ansichts-
karten, aus denen zu ersehen war, daß
der Ort mitten im Gebirge lag und
nicht in einer Kiste mit grauer Watte.
Die sportliche Hauptbctätigung be-
stand in dem Marsch zum Bahnhof,
wo man die Zeitungen kaufte. Dort
stand nian dann ein halbes Stündchen
un abgrundtiefen Modder und freute
sich, daß es die anderen auch nicht besser
hatten. Wenn man den vorgeschriebenen
Feuchtigkeitsgehalt erreicht hatte, durfte
man wieder ins Hotel, und dann kam
der Abend, dieser herrliche Bergwinter-
abend, wo man die europäischen Kleider
anziehen durste und bei den Klängen
einschmeichelnder Charlestons sich lang-
sam auftauen fühlte.
Dann war der Herr Direktor fast
glücklich und Lissy ganz, weil der ele-
ganteste Kavalier des Hotels, der fabel-
hafte Sportsmann Herr v. Karwendcl
für Frau Lissy und deren Toiletten
Interesse und Verständnis zeigte. Be-
sondere Bewunderung zollte er der wert-
vollen Perlenkette.
So wäre dieser Winterausenthalt
ganz normal verlaufen, und man hätte,
nach Berlin zurückgekehrt, von den herr-
lichen Bergfahrten, ja sogar von Firn-
schnee und dem Zauber der ewigen Berge
berichten können, wenn nicht infolge
einer unglücklichen Depression über Ir-
land in einer Nacht plötzlich der Dauer-
regen in Schnee übergegangen wäre,
so daß man am nächsten Tage infolge
des meterhohen Schnees sogar den Gang
zum Bahnhof unterlassen mußte. Jetzt
wurde die Sache ernst, jetzt hatte der
anstrengendere Teil des Wintersports
einzusetzen.
Und er setzte mit Macht ein. Herr
Humbler sehnte sich nach den schönen
Tagen der nassen Füße, denn jetzt war
das Wasser in seinen Schuhen gefroren,
und das hatte der Herr Direktor gar
nicht gern. Ja, und Lissy und Herr
von Karwendel hatten eine Bobsährt
beschlossen, natürlich zu dreien.
Man stand oben, am Anfang der
Bobbahn, und auch der Bobsleigh stand
da. Herr Humbler konnte diesem Gerät
sein Mißtrauen nicht verhehlen; da war
keinKühler,da waren keine Schutzbleche,
und da war nicht einmal eine Karosserie,
nur so ein Brett und einige harte Cisen-
teile, und vorne eine geradezu lächerliche
Steuerung wie bei einem Kinderspiel-
zeug. Herr von Karwendel machte eine
einladende Handbewegung: „Rückwärts
Sie, Herr Direktor, dann die gnädige
Frau, und ich am Steuer. Die Stellung,
die man einnahm, fand Herr Humbler
höchst ungewöhnlich, so setzte man sich
in höheren Finanzkreisen nicht hin.
Zwischen seinen Knien saß Lissy; das
ging schließlich noch. Aber dann schwang
sich Herr von Karwendel zwischen die
Knie seiner Frau. Zu einem Protest
konnte er nicht mehr kommen, denn
irgend jemand schrie schon: „Bob loö!"
und Herrn Humbler blieb die Luft weg.
Er preßte angstvoll seine Knie zusam-
men, bis ihm Lissy einen kräftigen Puff
mit dem Ellbogen gegen die hartge-
frorene Nasegab und nach hinten zischte:
Philosophie „Jammerlappen!"
Das Schifahren is wie ne Schmie- Jammerlappen?
germutter, man freut sich immer auf Was bildete sich
die „Abfahrt". diese Person eigent-
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