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Ich muß gestehen — auf die Gefahr hi», als ein reaktionär-ver-
biefierter Mensch zu gelten —, daß ich vor acht Tagen zum erstenmal
„Radio gehört" habe! Freilich war ich schon vor etwa anderthalb
Jahren Zeuge, wie man in einem kleinen Weinrestaurant, in dem ich
inanchnial einen Schoppen trank, einen solchen Apparat aufbaute und
ausprvbiecte. Aber als sich dann dem schwarzen Trichter eine halbe
Stunde lang ein unsagbar scheußliches Gekrächze entrang, floh ich.
Das kann man doch nicht „Radio hören" nennen, meine ich. Wenn
auch dies Erlebnis der eigentliche Grund meiner skeptischen Einstellung
dieser epochalen Erfindung gegenüber ist.

Und wenn mir auch mein Freund Sepp Wehmeicr, der ein anerkannt
großer Radio-Bastler ist, allwöchentlich ans der Kegelbahn schwärmend
erzählt, loie er sich auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege die
erlesensten musikalischen und anderen Genüsse aus Rom, Wien, London
und Budapest verschafft —: ich
lächle nur eisig und abweisend.

Vielmehr: ich habe das bisher
getan. Bis mich Wehmeier vor
acht Tagen zu einer Pfirsichbowle
aus schwerem Rheinwein einlud.

Pfirsichbowlen gehen mir lieb-
lich ein, weil sie im allgemeinen
ohne störende Nebengeräusche sind.

Ich ging ahnungslos hin. klnd
siehe da: sie war gut und groß!

Und da noch drei Geladene, die als
kräftige Trinker bekannt waren,

in letzter Stunde abgesagt hatten, waren alle Voraussetzungen für
einen Abend nach meinem Geschmack gegeben. Aber als ich mich gerade
am allerwohlsten fühlte, stand Sepp Wehmeier auf und ging auf ein
mit einem Tuch verdecktes Gestell zu, das ich für eine harmlose Näh-
oder Schreibmaschine gehalten hatte.

„Zehn Uhr!" sagte er, „da schweigt der Münchener Sender und
man könnte versuchen, London zu kriegen!" Und was er enthüllte, war
ein Radio-Apparat. Ich erschrak. Aber die anderen nahmen das alle
als eine gewohnte Begleiterscheinung von Abendunterhaltungen hin —:
eS erhob sich nicht der geringste Widerspruch. Und ich bin leider ein
wohlerzogener und äußerst höflicher Mensch. Und wenn ich ganz ehrlich
sein soll —: im Innersten war ich doch ein bißchen neugierig.

Also, Sepp Wehmeier setzte sich hin und drehte. Zuerst an zwei
schwarzen Knöpfen — dann abwechselnd an größeren Scheiben —
und wieder an anderen Knöpfen — und dann steckte er kleine Kontakte
in viele Löcher eines kleinen, schwarzen Kastens — und drehte und
schraubte wieder, wobei verschiedene kleine Glühlampen bald hell, bald

dunkler ausglühten. Das war
ganz lustig — aber dann begann
es plötzlich ganz spitz und krei-
schend zu pfeifen — und nun
gurgelte es im Lautsprecher. Ich
wollte gerade fragen, ob sich da
einer in London die Zähne putze,
als eS ganz gräßlich zu rasseln
anfing und Wehmeier spitz den
Zeigefinger hob:

„Italienisch! Rom oder Mai-
land! Sieh mal nach, Magda, waS
Rom bringt!" Magda blätterte

A X EINEN DICHTER

Wie uns als Knaben aus dem breiten Strom des Sonnenlichts

Ein Strahl auf eine Scherbe Glases fiel

Und rückgewandt aufflirrte ins geklärte Nichts —

So treiben wir noch heut das gleiche Knabenspiel:

Wir sind, von einer strenger» Sonne übergrellt,

Hilflos und heiß ins weiße Licht gestellt.

Doch in der Scherbe spiegelt sich die Welt.

Robert Nennrau»

Bauernhof Rad ierungvouE. Zerbst

986
Register
E. Zerbst: Bauernhof
Robert Neumann: An einen Dichter
Karl Kinndt: Radio
 
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