©epfeife — Gequietsche — Geknarre — und
immer wieder dies scheußliche, spitze Mäuse-
gepfeife! Nun sagte ein Mann in unverkenn-
bar sächsischer Mundart, daß die Wetterlage
weiterhin unbeständig bleibe. („Leipzig!" sagte
Magda.) Das ärgerte mich, denn es regnete
dvch absolut beständig!
Und so ging eS weiter — eine volle Stunde
lang! Kaum war mal etwas zu hören, was
man verstehen konnte, so wurde kurz fest-
gestellt, >vo es herkam, und — schwupp! —-
wurde weitergedreht. London kam nicht. Dafür
aber schließlicl, Paris. Und man hörte ganz
deutlich:
... d’aujourdhui. Bonne nuit, m’ssieurs
— dames —“
„Schluß!" sagte Wehmeier. „London scheint
heute nicht zu krieaen zu sein. Aber eö ist doch
fabelhaft — wie?!"
„Tja," stimmte ich zu. „Aber sag mal:
warum drehst du eigentlich immer an dem
Ding? Das Streichquartett aus Prag war
sehr nett zu hören!"
„Na ja, gewiß!" meinte Wehmeier erstaunt.
Und alle sahen mich groß an.
„Warum hört ihr denn nicht mal ruhig
zu?" fragte ich.
Allgemeines Erstaunen und Kopfschütteln.
Einige lächelten mitleidig-überlegen.
„Aber das ist doch gerade daö Schöne beim
Radio, daß man von überall her ..." erklärte
Wehmeier. „Wenn ich ein Streichquartett
hören loill, das kann ich doch auch vom
Münchener Sender und überhaupt ohne Radio
haben!"
„Das allerdings —" mußte ich kleinlaut
zugeben.
Seitdem gehe ich nur noch in antennenlosc
Häuser.-- Und wie soll daö erst werden,
wenn nun bald aud) Bilder und ganze
illustrierte Zeitschriften rundgcfunkt werden?!
Da kommt plötzlich — quietschend und pfeifend
— Chaplin als bleiches Gespenst aus einen
zu — und dann schiebt sich das langgezogene
Bein eines Tiller-Girls dazwischen — und in
die aufslatternden Tauben vom Markusplatz
zwängt sich knatternd StresemannS oder
Mussolinis Gesicht mit ossenem Redemund
— und statt der Rede hört man infolge
falscher Einstellung „La Paloma" ans Madrid
— - oder während Asta Nielsen Hedda Gabler
silint, erzählt Reimann vom Keenich Auchust
Und was wird es da erst für Neben-
geräusche geben!!
D I E PREDIGT
Der Pfarrer eines niederbaycrischen Dorfes führt
einen ständigen erbitterten Kamps gegen die Bur-
schen seiner Pfarrei und cs vergeht keine Sonn-
tagspredigt, in der er nicht gegen die ländlichen
Vergnügungen des Raufcns, Saufens, Kegelschie-
bens und Fcnstcrlps wettert. Die Antipathie ist
gegenseitig und am Kirchwcihsonntag früh ist der
mächtige Birnbaum des Pfarrers mit den herr-
lichen Winterbirnen vollständig abgelecrt.
Der Pfarrer steigt auf die Kanzel und alle wis-
sen: seht gibt« was. Geschickt lenkt er vom Sonn-
tagseoangclium weg auf den Diebstahl, drohend
grollt er, daß sich nun zur Döllerci und Unzucht
auch noch der Diebstahl in die Gemeinde ge-
schlichen habe, ja, daß sogar des Pfarrers Gut
vor räuberischen Händen nicht mehr sicher sei.
„Aber" schrie er mit donnernder Stimme, „wenn
ihr auch zusammcngcschworen seid wie Pech und
Teufel und keiner den Täter verrät, ich kenne
dich, du Kommunist!" und er hieb mit dem Eoan-
gclienbuch knallend auf den Kanzelrand, „und ich
treste dich!" und erhob abermals das Buch . . .
Da rief unten eine Stimme: „Jaikl, duck dich,
jetzt schmeißt er!"
DAS GOLIATH-SALZ
von Josef Ludwig mit Zeichnungen von G u g a
Mein Freund Emil war kein Riese, nein,
OaS konnte man wirklich nicht behaupten,
im Gegenteil, er war ziemlich klein und dünn
wie eine gemästete Mittellinie. Sein größter
Kummer war sein faltenreiches, gramdurch-
furchtcS Gesid)t. Alles wäre anders gekom-
men, hätte er nicht diesen leidenden, dulden-
den und duldsamen GesichtSauSdruck gehabt.
Es passierte ihm glatt, daß fremde Leute
ihm auf der Straße plötzlich ihr heftigstes
Beileidausdrückten. Emil war hieran schließ-
lid) so gewöhnt, daß er meist tief erschüttert
dankte. Kein Wunder also, daß er stets den
Prügelknaben absetzte für alles Unangenehme, das anderen Leuten
passierte. Emil war grundsätzlich an allem schuld. Sah er zum Beispiel
sd)on von weitem einer Keilerei zu, so hatte er, der absolut unpar-
teiische und harmloseste Mensch, seine Haue weg, ehe er sich dessen
versah. Wiederholt war er zwangsweise als Zeuge ausgetreten. Stets
verließ er nach der ersten Vernehmung das Zimmer als Haupt-
angeklagter. Infolge feines Stotterns war er meist verurteilt, ehe er
mit seiner Verteidigungsrede zu Ende war.
Wag Wunder also, daß er bei dieser
Veranlagung auch bei dem schönen Ge-
schlecht wenig Glück hatte. Hier und da
hatte, and) er mal versud)t, anzubändcln,
gedost) stets ohne Erfolg. Als er aber beim
ersten größeren Versuch seiner Partnerin
klar machen wollte, daß alles nid)t so ernst
gemeint wäre, war er, ehe er mit seinen
stotternden Erklärungen zu Ende war, ver-
heiratet, und nun hatte er überhaupt nichts
mehr zu sagen.
In stiller Ergebenheit stoß sein Leben
dahin und selbst sein Hund, der liebe
Mungo, merkte, daß sein Herr von neben-
sächlicher Bedeutung war. Da •— — —
Eines Tages fiel sein Blick
aus eine Reklame-Anzeige,
übcrsd)rieben mit:
„Goliath-Salz.
Goliath-Salz erzeugt un-
geahnte Kräfte, eö macht
dich zu einem energiestrotzen-
den Urmenschen der Tat, es
wird mit Begeisterung ge-
braucht von fast sämtlichen
Berufsboxern undPreisring-
kämpfern. Erfolg bereits
nach achttägigem Gebraud)
bemerkbar. Täglich eine
Prise genügt."
Emil stutzte, staunte und bestellte. Nad) acht Tagen stng es an.
Der liebe Mungo war das erste Opfer. Er bekam plötzlich früh
morgens einen Tritt vor das Gefäß, weil er, wie sonst üblich, die
Pantostcln seines Herrn überall herumsd)leppte. Beim Kasseetrinken
machte seine Frau, die ihm uni diese Zeit die sonst üblichen Ver-
haltungsmaßregeln für den Tag erteilte, unter anderem eine abfällige
Denierkung über die Behandlung des Hundes. Emil sprang auf,
reckte sich und schrie: „Da da das hö hört auf, i ich schaf, i schaf
schaffe OOOrönung." BumS, stog die Kaffeekanne durch dag Fenster.
„Vo von Heu heute ab w wo wollen wir se sehen, w wer Herr hi
hier i i im Hause ist." Mit diesen Worten schlug er die Tür zu,
schnauzte im Vorübergehen das Dienstmädchen an, weil eS, wie üblich,
nur sehr langsam zur Seite trat und sauste im Geschwindschritt zum
Büro. Während er sonst heimlich und geräuschlos auf seinen Platz
schlich, sd)rie er, nod) die Tür in der Hand: „M Mo Morgen!"
Alles war so sprad)loS, daß keine Antwort erfolgte. Emil schrie
nochmals: „Ja ja jawohl, mo morgen m m meine Heren!" Sein
Vorgesetzter, der schon beim Frühstück war, aß aus Verivirrung dag
Butterbrotpapier mit und trank ein Fläschd)en Pelikantinte. „F §
Fenster z zu!" brüllte Emil den Laufjungen an. Als ihm dies zu
langsam ging, haute ihm Emil eine Ohrfeige herunter. Der Junge
989
immer wieder dies scheußliche, spitze Mäuse-
gepfeife! Nun sagte ein Mann in unverkenn-
bar sächsischer Mundart, daß die Wetterlage
weiterhin unbeständig bleibe. („Leipzig!" sagte
Magda.) Das ärgerte mich, denn es regnete
dvch absolut beständig!
Und so ging eS weiter — eine volle Stunde
lang! Kaum war mal etwas zu hören, was
man verstehen konnte, so wurde kurz fest-
gestellt, >vo es herkam, und — schwupp! —-
wurde weitergedreht. London kam nicht. Dafür
aber schließlicl, Paris. Und man hörte ganz
deutlich:
... d’aujourdhui. Bonne nuit, m’ssieurs
— dames —“
„Schluß!" sagte Wehmeier. „London scheint
heute nicht zu krieaen zu sein. Aber eö ist doch
fabelhaft — wie?!"
„Tja," stimmte ich zu. „Aber sag mal:
warum drehst du eigentlich immer an dem
Ding? Das Streichquartett aus Prag war
sehr nett zu hören!"
„Na ja, gewiß!" meinte Wehmeier erstaunt.
Und alle sahen mich groß an.
„Warum hört ihr denn nicht mal ruhig
zu?" fragte ich.
Allgemeines Erstaunen und Kopfschütteln.
Einige lächelten mitleidig-überlegen.
„Aber das ist doch gerade daö Schöne beim
Radio, daß man von überall her ..." erklärte
Wehmeier. „Wenn ich ein Streichquartett
hören loill, das kann ich doch auch vom
Münchener Sender und überhaupt ohne Radio
haben!"
„Das allerdings —" mußte ich kleinlaut
zugeben.
Seitdem gehe ich nur noch in antennenlosc
Häuser.-- Und wie soll daö erst werden,
wenn nun bald aud) Bilder und ganze
illustrierte Zeitschriften rundgcfunkt werden?!
Da kommt plötzlich — quietschend und pfeifend
— Chaplin als bleiches Gespenst aus einen
zu — und dann schiebt sich das langgezogene
Bein eines Tiller-Girls dazwischen — und in
die aufslatternden Tauben vom Markusplatz
zwängt sich knatternd StresemannS oder
Mussolinis Gesicht mit ossenem Redemund
— und statt der Rede hört man infolge
falscher Einstellung „La Paloma" ans Madrid
— - oder während Asta Nielsen Hedda Gabler
silint, erzählt Reimann vom Keenich Auchust
Und was wird es da erst für Neben-
geräusche geben!!
D I E PREDIGT
Der Pfarrer eines niederbaycrischen Dorfes führt
einen ständigen erbitterten Kamps gegen die Bur-
schen seiner Pfarrei und cs vergeht keine Sonn-
tagspredigt, in der er nicht gegen die ländlichen
Vergnügungen des Raufcns, Saufens, Kegelschie-
bens und Fcnstcrlps wettert. Die Antipathie ist
gegenseitig und am Kirchwcihsonntag früh ist der
mächtige Birnbaum des Pfarrers mit den herr-
lichen Winterbirnen vollständig abgelecrt.
Der Pfarrer steigt auf die Kanzel und alle wis-
sen: seht gibt« was. Geschickt lenkt er vom Sonn-
tagseoangclium weg auf den Diebstahl, drohend
grollt er, daß sich nun zur Döllerci und Unzucht
auch noch der Diebstahl in die Gemeinde ge-
schlichen habe, ja, daß sogar des Pfarrers Gut
vor räuberischen Händen nicht mehr sicher sei.
„Aber" schrie er mit donnernder Stimme, „wenn
ihr auch zusammcngcschworen seid wie Pech und
Teufel und keiner den Täter verrät, ich kenne
dich, du Kommunist!" und er hieb mit dem Eoan-
gclienbuch knallend auf den Kanzelrand, „und ich
treste dich!" und erhob abermals das Buch . . .
Da rief unten eine Stimme: „Jaikl, duck dich,
jetzt schmeißt er!"
DAS GOLIATH-SALZ
von Josef Ludwig mit Zeichnungen von G u g a
Mein Freund Emil war kein Riese, nein,
OaS konnte man wirklich nicht behaupten,
im Gegenteil, er war ziemlich klein und dünn
wie eine gemästete Mittellinie. Sein größter
Kummer war sein faltenreiches, gramdurch-
furchtcS Gesid)t. Alles wäre anders gekom-
men, hätte er nicht diesen leidenden, dulden-
den und duldsamen GesichtSauSdruck gehabt.
Es passierte ihm glatt, daß fremde Leute
ihm auf der Straße plötzlich ihr heftigstes
Beileidausdrückten. Emil war hieran schließ-
lid) so gewöhnt, daß er meist tief erschüttert
dankte. Kein Wunder also, daß er stets den
Prügelknaben absetzte für alles Unangenehme, das anderen Leuten
passierte. Emil war grundsätzlich an allem schuld. Sah er zum Beispiel
sd)on von weitem einer Keilerei zu, so hatte er, der absolut unpar-
teiische und harmloseste Mensch, seine Haue weg, ehe er sich dessen
versah. Wiederholt war er zwangsweise als Zeuge ausgetreten. Stets
verließ er nach der ersten Vernehmung das Zimmer als Haupt-
angeklagter. Infolge feines Stotterns war er meist verurteilt, ehe er
mit seiner Verteidigungsrede zu Ende war.
Wag Wunder also, daß er bei dieser
Veranlagung auch bei dem schönen Ge-
schlecht wenig Glück hatte. Hier und da
hatte, and) er mal versud)t, anzubändcln,
gedost) stets ohne Erfolg. Als er aber beim
ersten größeren Versuch seiner Partnerin
klar machen wollte, daß alles nid)t so ernst
gemeint wäre, war er, ehe er mit seinen
stotternden Erklärungen zu Ende war, ver-
heiratet, und nun hatte er überhaupt nichts
mehr zu sagen.
In stiller Ergebenheit stoß sein Leben
dahin und selbst sein Hund, der liebe
Mungo, merkte, daß sein Herr von neben-
sächlicher Bedeutung war. Da •— — —
Eines Tages fiel sein Blick
aus eine Reklame-Anzeige,
übcrsd)rieben mit:
„Goliath-Salz.
Goliath-Salz erzeugt un-
geahnte Kräfte, eö macht
dich zu einem energiestrotzen-
den Urmenschen der Tat, es
wird mit Begeisterung ge-
braucht von fast sämtlichen
Berufsboxern undPreisring-
kämpfern. Erfolg bereits
nach achttägigem Gebraud)
bemerkbar. Täglich eine
Prise genügt."
Emil stutzte, staunte und bestellte. Nad) acht Tagen stng es an.
Der liebe Mungo war das erste Opfer. Er bekam plötzlich früh
morgens einen Tritt vor das Gefäß, weil er, wie sonst üblich, die
Pantostcln seines Herrn überall herumsd)leppte. Beim Kasseetrinken
machte seine Frau, die ihm uni diese Zeit die sonst üblichen Ver-
haltungsmaßregeln für den Tag erteilte, unter anderem eine abfällige
Denierkung über die Behandlung des Hundes. Emil sprang auf,
reckte sich und schrie: „Da da das hö hört auf, i ich schaf, i schaf
schaffe OOOrönung." BumS, stog die Kaffeekanne durch dag Fenster.
„Vo von Heu heute ab w wo wollen wir se sehen, w wer Herr hi
hier i i im Hause ist." Mit diesen Worten schlug er die Tür zu,
schnauzte im Vorübergehen das Dienstmädchen an, weil eS, wie üblich,
nur sehr langsam zur Seite trat und sauste im Geschwindschritt zum
Büro. Während er sonst heimlich und geräuschlos auf seinen Platz
schlich, sd)rie er, nod) die Tür in der Hand: „M Mo Morgen!"
Alles war so sprad)loS, daß keine Antwort erfolgte. Emil schrie
nochmals: „Ja ja jawohl, mo morgen m m meine Heren!" Sein
Vorgesetzter, der schon beim Frühstück war, aß aus Verivirrung dag
Butterbrotpapier mit und trank ein Fläschd)en Pelikantinte. „F §
Fenster z zu!" brüllte Emil den Laufjungen an. Als ihm dies zu
langsam ging, haute ihm Emil eine Ohrfeige herunter. Der Junge
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