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ALTE

SPANISCHE WEIHNACHTSSAGE

n der Stadt Cadiz lebte ein Mädchen, edel van Ge-
schlecht, mit Namen Jsabella, die der Mutter Gottes
von Kindheit an mit einer solchen Liebe diente, daß
sie lange Zeit daran dachte, in ein Kloster ihr zu
Ehren einzutreten. Sie wurde aber, zur Jungfrau
aufgebläht, init einem Ritter verheiratet. Lind als sie
ihr erstes Kind unter dem Herzen trug, lustwandelte
sie eines Morgens in dem Garten, der sich hinter dem Hause bis
zum Strande des Meeres hinstreckte. Da, unversehens, ehe sie
entfliehen konnte, stürzten aus zwei Korsarenschiffen, die von den
Wachen auf den Küstentürmen nicht gesichtet worden waren, Rotten
von Türken auf das Ufer. Sie plünderten das Haus, erschlugen
JsabcllaS Mann; sie selbst wurde gefangen genommen und in das
Land der Ungläubigen, in das Königreich Granada, verschleppt.

Der Tyrann, in dessen Gewalt
sic kain, achtete ihrer Schönheit
nicht. Und obwohl sie schwer ging
mit einem Kinde, ließ er sie als
Dieustmagd die niedrigsten Arbei-
ten verrichten. Sie vergoß viele
perlende Tränen, sie fand keinen
Schlaf, sie nahm keine Speise,
ihre Kräfte versiegten, — aber
niemand achtete ihrer. Nach und
nach fand sic sich in ihr Geschick.

Der Psalter Mariens, den zu lesen
sie nicht müde wurde, der Name
Mariens, den sie um Hilfe anrief
bei Tag und Nacht, goß Del auf
die Wogen ihres Schmerzes.

So vergingen die Tage, die
Wochen, so vergingen die Monate.

Als nun ihre Stunde kam, da war
eö zur heiligen Christnacht. Die
Ungläubigen kamen, rissen Jsa-
bella aus dem Lager der übrigen
Gefangenen und warfen sie in einen
Stall; da lag sie nun, sich selbst
überlassen, jung an Jahren, ohne
Erfahrung, ohne Hilfe, und ein-
sam, wie keine andere Kreatur.

Geräusche, die ihr Bangigkeit cin-
flößten, und eine Finsternis war
da, die ihr anfangs undurchdring-
lich schien. Aber bald erkannte sie
sich nahe von Tieren, von Ochsen,

Eseln und Ferkeln, die plötzlich aus
dem Schlafe gescheucht, ihr Gebrüll
erhoben. So kam der Augenblick, da sie das Kind gebären sollte.
Sie schrie gellend in den Schmerzen nach der Königin aller Gnaden.
Lind es öffnete sich die Türe, aus der hellen Tracht trat eine Frau ein,
hoch anzufchn, die übernahm schweigend das Amt der weisen Frau
und hals ihr in allen Manieren. Sie wusch das Kind und beschnitt
den Nabel und tat alle Dinge. Und sie bettete das Neugeborene auf
das Heu. Sic hatte aber die Türe offenstehn lassen, wohl aus Eile;
und so trollten sich, ehe sie dessen sich verschn, ein paar ausgelassene

Knäblein in den Stall, die waren kaum bekleidet und machten Ge-
lächter und Purzelbäume. „Gute Kinder inachcn keinen solchen Lärm",
sagte die Frau und wies auf die Wöchnerin, die noch kein Wort zu
sprechen vermochte, sich bloß über alles verwunderte und Pein und
Krankheit vergaß. Die Knäblein wurden im Augenblick sittsam, —
ja, sie kauerten sich manierlich hierhin und dorthin, auf das Gebälks
der Hütte, auf die Krippen, auf die Türschwelle, und einer sogar
schwang sich rittlings auf den Ochsen, den er mit seinen drallen
Händchen fest am Halse packte. Bald daraus begannen sie, ein
freundliches Lied anzustimmen.

Die Muttergottes aber sagte: „Siehe, Tochter, hier ist dein Sohn.
Mache dich aus mit ihm, eile au das Meer, es wird ein Schiffer
dich erwarten, und er will dich in dein Land führen." Sie neigte sich
zu ihr. Die Wöchnerin seufzte: „Wie gerne möchte ich deine Füße

küssen!" Aber die Frau lächelte
nun: „Umhalse mich mit deinen
Armen, küsse mich freundlich aus
den Mund." Jsabella umhalste
sie also mit beiden Armen, drückte
sie fest an sich, als wollte sie sich
nie mehr von ihr trennen, und
endlich, mit einer andächtigen Zag-
heit, küßte sie sie schnell auf den
Mund. „Du sollst mich wie eine
Schwester lieb haben," scherzte da
aber Maria; „und bin ich dir nicht
auch eine geschickte Hebamme ge-
wesen?" lind nun küßten sie sich
innig zum Abschied.

Jsabella nahm das Kind aus
dem Heu auf, und da merkte sie,
daß sie wieder ganz allein geblieben.
Denn die singenden Knaben schienen
verschwunden, und sie wußte in
ihrer Verwirrung nicht, ob sie mit
der Himmelskönigin fortgelaufen
oder ob sie nicht zum Dache hinauS-
geklettert ivarcn. lind da sie noch
für einen Augenblick nachdachte,
da hörte sie, wie Ochs, Esel und
Ferkel wieder schliefen. Also hüllte
sie das Kind in die Fetzen ihres
Sklavenkleides und lief hinaus und
lief in die Richtung hin, wo sie das
NLeer wußte. Es wunderte sie in
ihrer Angst sehr, daß ihr keine
Wache entgegentrat. Aber sie konnte
sich dessen nicht freuen, denn sie
hatte den Weg unterschätzt und sie fühlte mit Entsetzen, wie schnell ihr
die Kräfte schwanden; die Deine wollten den Dienst versagen, und der
Atem wurde kurz und kürzer. Da schrie daö Kind aus, ganz jämmer-
lich, und sie wußte, daß nun alles verloren war, und daß nun die
Wachen herbeilaufen und sie töten müßten. Aber seltsam, je lauter das
Kind schrie, desto schweigsamer wurde eS um sie her, und sie erreichte
den Hafen, und da lagen die großen Schiffe mit den großen Segeln,
und cs lagen die vielen Barken da, und es lungerten die Soldaten,

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Ludwig Schwerin: Zeichnung ohne Titel
Otto Zoff: Alte spanische Weihnachtssage
 
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