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wohin fie nur blickte, und es brannten
in den Schuppen die Lichter der Küsten-
wächtec. Und da schrie das Kind in ihren
Armen wie am Spieße. Jsabella dachte,
daß nun ihre letzte Stunde gekommen sei,
und dachte noch das andere: „Gebcnedeite
Mutter, so werde ich dich also Wieder-
sehen, schon morgen, du meine liebste
Freundin in der weiten Welt." Und selt-
sam, sie schritt zwischen allen Wachen
ungesehen und ungehört durch. Sie er-
blickte zu ihren Füßen ein Boot. Sie
erkannte einen Schisser, der darin saß,
der trug einen Hut mit breiter Krempe
und hielt die Hände an die Ruder. Und
wie er nun sein Angesicht ihr entgegenhob
und wie dieses unaussprechlich Oon Klarheit war, da zögerte sie nicht
mehr länger und sie sprang in das Book. Es verließen sie die Sinne.

Wie erstaunte sie, als sie in ihrer Heimatstadt Cadiz erwachte, im
Garten ihres Hauses, im strahlenden Morgen und umgeben von ihrer
Mutter, ihren Verwandten und Freunden! Man hatte sie in schöne
Gewänder gekleidet, gewaschen und gepslegt, und nun wollte sie es nicht

glauben, daß diese Rückkehr Wahrheit
und kein Traum wäre. Dann aber wieder
dachte sie, die Leiden so vieler Monate
und die Wunder der Nacht, diese wären
ein Traum gewesen! Und während sie sich
nicht zurechtfand, trat ihre Mutter an sie
heran und legte ihr das Knäblein in die
Arme, das sogleich nach ihren Brüsten
verlangte. Zwischen Staunen und Zweifel,
zwischen ^subel und Betäubung vermochte
sie nicht die Zunge zu lösen. Aber nun
erzählte man ihr, daß sie bei Sonnen-
aufgang ein Schisser in seinem Boote ge-
bracht, daß er sie aus den Sand gebettet,
und daß er, ehe die Herbeigelaufenen zu
begreifen und zu fragen vermocht, schon
wieder sortgerudcrt und entschwunden wäre. Also konnte niemand sagen,
wer es gewesen. Die einen behaupteten, er müßte, der Tracht nach, ein
Mann aus Granada gewesen sein; die andern aber erklärten, sie
hätten gesehen, daß es Christus selber gewesen, denn er hatte Zeichen
an Händen und Füßen wie die Wundmale des Gekreuzigten und ein
wundersames Leuchten strahlte von ihnen aus.

In Holstein Andreas Schmidt

EIA P O P EIA

E i n e W c i h n a ch t s g e s ch i ch t c von Ernst Hoferichter.

Schnee fiel als weißer, weicher Brief vom Himmel. In die schwarze,
dicke Nacht hinein.

Alles Laute lief auf schweigsamen Gunimisohlen durch die Straßen und
nur der Droschkengäule Geklingel sang durch die wirbelnden Flocken.

. Der Portier der Psychiatrischen Klinik lag mit dem einen Ohr auf seinem
Biccps und breitete über einem Stoß alter Krankengeschichten silberhellen
Christbaumschmuck aus. Ueber dem Aktcnbündcl eines Epileptikers kugelten
goldbrouzierte Nüsse und auf dem Gewichtsdiagranuu eines Melancholischen
stuketc leuchtendes Engelshaar.

Aus dem elektrischen Wecker fielen in dünnen Tropfen die Sekunden und
müde klappten dann und wann die Umstecker des Haustelephons hinein.
Und da der Pförtner eben die regenbogenfarbige Christbaumspitze aus ihrem
Seidcnpapier hob — läutete die Nachtglockc des Einfahrttores und in die
Signalbirne hüpfte ein veilchenblauer Schein.

Und aus des Portiers Augen siel auf eine kleine Weile der weihnacht-
liche Schimmer in die Pappschachtel zurück und nur die glitzernde Spitze
blieb noch im Hintergrund seines Blickes
haften, da er durch den milchhcllcn Gang
dem Tore zuging.

Draußen sang es. Das war ihm nichts
Sonderbares. Gewöhnlich war es ein Sin-
gen, Lallen und Kreischen oder Fluchen,
mit dem die Gäste dieses Hauses Einzug
hielten. Alles, was da diese Seelen aus sich
heraustönen ließen, war gewöhnlich so weit
den gesund umgrenzten Sphären des An-
staltspersonals entlegen, so ohne jede sinn-
volle Berührung mit ihrem festoerankertcn
Alltag, daß der Kranken Schreie und Ge-
bärden, ohne Verwandtes zu treffen, sich in
fremden Regionen verloren.

Die verzerrten Sehnsüchte gingen, mit
einer Diagnose versehen, au ihrem Aug
und Ohr vorbei — ohne Widerhall. Und
man gewöhnte sich auch an das Unglaub-
liche und ließ es in einem Bogen ohne Er-
leben um die gesunde Seele kreisen. All-
täglich wurde das Seltsame.

Aber wag jetzt da draußen sang — das
war nicht dies 2llltäglichc. Es war nicht
abgerückt von den Regungen der Portier-
secle und von den Seelen aller. Uebcrall
knisterte cs in der Luft vom Zauber der
Weihnachtsstuben und aller Augen erwar-
teten aus jeder Ecke und von jedem Tür-

spalt her eine Helle und Leuchte warmer Kerzeubrände. Nicht abgcrückt und
nicht ver — rückt, und den Freuden einer ganzen Menschlichkeit gleich.

Denn die Stimme sang oon dem, daß allen eine große Freude nahe sei,
daß Gottes Sohn auf den. Weg zur Erde sei — und daß des Friedens kein
Ende sein würde....

Und da der Pförtner die Türe nach innen zog, kam ihm gestockter Schnee,
dünner Wind und eine segnende Hand entgegen. Aus jungfräulichem Mund
tönte cs lippenwarm:

„La—ßt uns das Kindlein wie—gen —

Das Herz zum Kripplein bie—legen . .. Eia popeia."

Und es war mit einemmal, als wäre ein frierender Weihnachtsengel vor
das Tor gestogcn gekommen. Aber neben der singenden Gestalt stand ein
schnaufender Schutzmann mit überschneitem Vollbart, der mit seiner stach-
ligen Hclmspitze alle himmlische Botschaft wie ein Blitzableiter oon ihr abzog.

Auf seinem abendlichen Dicnstgang stürzte ihm aus einem Hausstur der
Kutscher eines Brotfuhrwerks entgegen: „Wachtmeister, bei mir im Stall

liegt ein Frauenzimmer aufm Stroh
zwischen zwei brennenden Kerzcnlichkcn . . .
schon zweimal kam sic auf unsere Küchen-
türschwelle und kündigte die Geburt des
Mcnschcnsohncs an, den sie gebären wird!"
Er lief mit dem Kutscher in den Stall —
da stand die Futterkrippe schon in Hellen
Flammen. Er löschte das Feuer mit seinem
Mantel.. . während das Frauenzimmer auf
dem Fensterbrett stand und mit geweiteten
Armen in den Hof hinaussang: „Ich ver-
kündige euch eine große Freude . . .!"

Da nahm er das Weib und brachte es
hierher. Und der Pförtner der Klinik führte
die Singende zum Assistenzarzt, der heute
den Nachtdienst hatte.

In dem engwandigen Sprechzimmer roch
cs nach gebratenen Aepfcln, angcbranntem
Tannengrün und tropfendem Wachs. Der
Doktor klopfte eben mit dem Perkussions-
Hammer einige Mandeln auf, als die beiden
eintrateu.

„. . . Ich verkündige euch eine große
Freude! Heute nacht.... !

„Wie heißen Sie mein Kind . .. ?"
„Maria".

„Und wer sind Sie?"

„Ich bin die Magd des Herrn! Heute
Ilseheutholä nacht!..."

MARIA

Maria geht im Himmelsland

Und trägt in ihrer schlohweißen Hand

Einen blühenden Dornenrosenzweig.

— Maria, wo ist dein lieber Sohn? —
„Er trägt des Himmels Ehr’ und Krön’.“

— Maria, wo sind die Jünger sein? —
„Auch sie zogen in den Himmel ein.“

— Maria, und wir Sünder, wir armen? —
Maria lächelt voll Erbarmen.

„Und sind euere Sünden noch so schwer,
Sie all zusammen wiegen nicht mehr,
Als dieser einzige, kleine Zweig.“

Maria geht im Himmelsland

Und trägt in ihrer schlohweißen Hand

Einen blühenden Dornenrosenzweig.

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Register
Ernst Hoferichter: Eia Popeia
Ilse Leuthold: Maria
Andreas Schmidt: In Holstein
 
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