„Die Magd des Herrn . . .!" unterbrach er sie verständnisvoll nnd zog
ein Aufnahmeformular aus dein Schubfach.
Dann suchte er Pupillen, Schleimhaut und Sehnen nach Reflexen ab und
fragte noch dies und da», indessen ste schon wieder zu summen begann:
„La—ßt uns das Kindlcin wie—icgcn . .
„Za, wo haben Sie denn das Kindlein . . .?"
„Hier liegts doch, hier auf meinem Arm • . .! Hier wiege ich das goldene
Zesulein . . • Eia popeia . . .!"
„Und wie lange schon wissen Sie, meine Maria, davon?"
„Zuerst da klopfte cs an die Türe • . . mit Händchen und mit Füßchen.
Es wisperte vor den, Fenster, cg lachte durch die Wand, cs krabbelte über
der Decke — an dem Fensterglas zeigte es seine strohgelben Locken . . ."
„Uni? wie kam es auf Zhre Hand?"
„Zch roch den Duft des heiligen Geistes ... Es duftete die ganze Näh-
stube. Lieblicher als wie die Friseurstuben, wenn sich feine Damen die Haare
waschen lassen . . ."
„Za, aber dann?"
„Za — und bald darauf wurde ich vom heiligen Geist gebissen. Und eg tat
gar nicht weh . . .! Goldene Sonnenkronen sielen in mein Haar ... Und der
himmlische Geist schüttelte meinen Leib. Da nahm das Zesulein von meinem
Arm Besitz . . . Und jetzt muß ich es wiegen . . . Singen Sie doch auch mit,
schöner, schwarzer Herr . . .!"
„Aber ich seh doch gar kein Zesulein aus ihrem Arm. Das bilden Sie sich
nur ein und . . ."
„Selig sind die, welche nicht sehen und doch glauben."
„Aber meine liebe Maria, warum wollte gerade das Zesulciu auf Zhrem
Arm zu liegen gekommen sein . . .?"
„Bei Gott ist kein Ding unmöglich!"
Da sah sich der Assistenzarzt auf eine kleine Weile allen Widerspruchs cnt-
kräftigt. Und es war ihm, als wäre der Zauber dieser Nacht, in den auch er
schon gesunken war, jener Maria oerschwistert zur Seite getreten, um, ihr
helfend, sich gegen seine ätzende Diagnose auszubäumen. Und alle wissenschaft-
lichen Perspektiven traten in ihm zurück. Bewährte Theorien und Schlag-
wörter, die sonst wie in einem Schubfach in ihm bereit lagen, um als Etikette
den kranken Seelen aufgcklebt werden zu können, bogen sich widerspenstig
gegen sich selbst. Des Arztes und der Heiligen Seele standen sich einsam in
dem wissenschaftlich kalten Raum gegenüber. Nur ein leises Knistern funkte
durch die heilige Stille der geweihten Nacht zwischen den beiden hin und her.
Und seine Hand schrieb wie im entrücktesten Traum auf den Fragebogen
nur die Worte:
„MARIA IMMACULATA“
Dann führte er die Kranke in den Saal, der über dem Dauerbad lag.
Warm überschneit stand Bett an Bett. Eine Manische sprach im Schlaf.
Zn der Saalecke lag die Blitzdichterin Maja, die mit Vitriol gurgelte. Neben
sie hatte man eine siebzigjäh-
rige Zcikungsträgerin gebettet,
die sich als Köchin der heili-
gen Anna ausgab und bei den
schlafenden Züngern am Oel-
berg Zugehfrau war. Auf
ihrem Nachtkästchc» lag noch
das Weihnachtsgeschenk der
Klinik: drei Aepfel mit Leb-
kuchen und Briefpapier . . .
Maria hielt sich, da die
Schwestern sie ins Bad brach-
ten, von Engeln bedient. —
Ueberall um sie her ge-
wahrte sic streichelnde Hände.
Der Wasterhahn der Bade-
wanne sang mit zu ihrer seli-
gen Kunde.
Noch immerzu wiegte sic
ihr Zesulein mit Eia popeia
vor sich her. Die Wände des
Saales wurden zu Glas, da
sie sitzend im Bette um sich
sah. Aus den Nachtlampen
stoß Himmclsblut. Ueber ihrem
Haupte bekam die Decke des
Raumes ein lichtgerändertes
Loch, von dem aus ein leuch-
tender Schacht aufsticg- schnur-
gerade in den Himmel hinein.
Und ein goldener Regen kam
auf sie herab und sic hörte
Stimmen. Die riefen wie aus
Posaunen „Heilig, heilig, hei-
lig", in ihr Dhr.
Und wie ein Denkmal er-
hob sie sich ihren Kissen und
sang aus ihrer letzten Tiefe
über die Betten hin:
„Fürchtet euch nicht, . . .
ich verkünde euch eine große
Freude . . .! Heute Nacht
habe ich euch den Heiland ge-
boren . .. Eia popeia!" Traum-
schwer hoben sich einige Köpfe
zu ihr empor. Marias Singen
brachte diesen Seelen das Glän-
zen des Weihnachtsbaumeg nah,
den ihre Blicke vor etlichen
Stunden aus dem Theatersaal
der Klinik zu sich hinein ge-
nommen hatten. Einige hörten
wieder das Harmonium sum-
men, das der Oberarzt der
Die Wcihnachtsstnbc
Hugo Kunz
1005
ein Aufnahmeformular aus dein Schubfach.
Dann suchte er Pupillen, Schleimhaut und Sehnen nach Reflexen ab und
fragte noch dies und da», indessen ste schon wieder zu summen begann:
„La—ßt uns das Kindlcin wie—icgcn . .
„Za, wo haben Sie denn das Kindlein . . .?"
„Hier liegts doch, hier auf meinem Arm • . .! Hier wiege ich das goldene
Zesulein . . • Eia popeia . . .!"
„Und wie lange schon wissen Sie, meine Maria, davon?"
„Zuerst da klopfte cs an die Türe • . . mit Händchen und mit Füßchen.
Es wisperte vor den, Fenster, cg lachte durch die Wand, cs krabbelte über
der Decke — an dem Fensterglas zeigte es seine strohgelben Locken . . ."
„Uni? wie kam es auf Zhre Hand?"
„Zch roch den Duft des heiligen Geistes ... Es duftete die ganze Näh-
stube. Lieblicher als wie die Friseurstuben, wenn sich feine Damen die Haare
waschen lassen . . ."
„Za, aber dann?"
„Za — und bald darauf wurde ich vom heiligen Geist gebissen. Und eg tat
gar nicht weh . . .! Goldene Sonnenkronen sielen in mein Haar ... Und der
himmlische Geist schüttelte meinen Leib. Da nahm das Zesulein von meinem
Arm Besitz . . . Und jetzt muß ich es wiegen . . . Singen Sie doch auch mit,
schöner, schwarzer Herr . . .!"
„Aber ich seh doch gar kein Zesulein aus ihrem Arm. Das bilden Sie sich
nur ein und . . ."
„Selig sind die, welche nicht sehen und doch glauben."
„Aber meine liebe Maria, warum wollte gerade das Zesulciu auf Zhrem
Arm zu liegen gekommen sein . . .?"
„Bei Gott ist kein Ding unmöglich!"
Da sah sich der Assistenzarzt auf eine kleine Weile allen Widerspruchs cnt-
kräftigt. Und es war ihm, als wäre der Zauber dieser Nacht, in den auch er
schon gesunken war, jener Maria oerschwistert zur Seite getreten, um, ihr
helfend, sich gegen seine ätzende Diagnose auszubäumen. Und alle wissenschaft-
lichen Perspektiven traten in ihm zurück. Bewährte Theorien und Schlag-
wörter, die sonst wie in einem Schubfach in ihm bereit lagen, um als Etikette
den kranken Seelen aufgcklebt werden zu können, bogen sich widerspenstig
gegen sich selbst. Des Arztes und der Heiligen Seele standen sich einsam in
dem wissenschaftlich kalten Raum gegenüber. Nur ein leises Knistern funkte
durch die heilige Stille der geweihten Nacht zwischen den beiden hin und her.
Und seine Hand schrieb wie im entrücktesten Traum auf den Fragebogen
nur die Worte:
„MARIA IMMACULATA“
Dann führte er die Kranke in den Saal, der über dem Dauerbad lag.
Warm überschneit stand Bett an Bett. Eine Manische sprach im Schlaf.
Zn der Saalecke lag die Blitzdichterin Maja, die mit Vitriol gurgelte. Neben
sie hatte man eine siebzigjäh-
rige Zcikungsträgerin gebettet,
die sich als Köchin der heili-
gen Anna ausgab und bei den
schlafenden Züngern am Oel-
berg Zugehfrau war. Auf
ihrem Nachtkästchc» lag noch
das Weihnachtsgeschenk der
Klinik: drei Aepfel mit Leb-
kuchen und Briefpapier . . .
Maria hielt sich, da die
Schwestern sie ins Bad brach-
ten, von Engeln bedient. —
Ueberall um sie her ge-
wahrte sic streichelnde Hände.
Der Wasterhahn der Bade-
wanne sang mit zu ihrer seli-
gen Kunde.
Noch immerzu wiegte sic
ihr Zesulein mit Eia popeia
vor sich her. Die Wände des
Saales wurden zu Glas, da
sie sitzend im Bette um sich
sah. Aus den Nachtlampen
stoß Himmclsblut. Ueber ihrem
Haupte bekam die Decke des
Raumes ein lichtgerändertes
Loch, von dem aus ein leuch-
tender Schacht aufsticg- schnur-
gerade in den Himmel hinein.
Und ein goldener Regen kam
auf sie herab und sic hörte
Stimmen. Die riefen wie aus
Posaunen „Heilig, heilig, hei-
lig", in ihr Dhr.
Und wie ein Denkmal er-
hob sie sich ihren Kissen und
sang aus ihrer letzten Tiefe
über die Betten hin:
„Fürchtet euch nicht, . . .
ich verkünde euch eine große
Freude . . .! Heute Nacht
habe ich euch den Heiland ge-
boren . .. Eia popeia!" Traum-
schwer hoben sich einige Köpfe
zu ihr empor. Marias Singen
brachte diesen Seelen das Glän-
zen des Weihnachtsbaumeg nah,
den ihre Blicke vor etlichen
Stunden aus dem Theatersaal
der Klinik zu sich hinein ge-
nommen hatten. Einige hörten
wieder das Harmonium sum-
men, das der Oberarzt der
Die Wcihnachtsstnbc
Hugo Kunz
1005