Zeichnung von M. Schwarzer
DAS ENTZÜCKENDE GESCHENK
DIE VERBORGENE
Hans Friedrich Blunck
Als letzte stieg eine eilte Frau aus dem Weihnachtsfährbook. Die
anderen Fahrgäste eilten voraus, an der Steglaterne vorbei, um die
der Schnee tanzte und wirbelte, dann an der hellerleuchteten Scheibe
des Brückenhauses entlang, in dem die Leute des Dampfers die halbe
Stunde bis zur Rückfahrt warteten. Die Frau ging zögernd hinter
den Eilenden her. Sie wich der
Laterne aus und gab Acht, daß
niemand ihr unter die alte,
hängende Haube blicken konnte.
Dabei waren es jetzt schon zehn
fgahre her, daß sie den Fischerort
zuletzt gesehen hatte, lange genug,
daß niemand sie rasch erkannte. Aber
die Furcht verließ sie nicht, daß einer
sie anhaltcn und erstaunt fragen
würde: „Rrcin Gott, Anna Roos,
bist du's wirklich? Wir dachten, du
ivärest damals niit der ,Altcn Liebe'
umgekomnicn!"
Rein, das durfte nicht sein, Grund
genug, sich am Brückengeländer ent-
rang zu drücken. Denn der Ewer
„'Alte Liebe" war verschollen, —
hört, — verschollen! llnö die beiden
Alten, die darauf gewesen waren, —
ja, — erst hatten sie heimkehren und
den Dersicherungsleuten eine grausige llntergangSgeschichte vvrlügen
wollen. Wunderschön hatten sie sich'ö ausgedacht, wie sie dag Gold
ein stecken und auf ihre alten Tage hinter m Fenster warten ivollten,
bis der f^uug mit dem neuen Schiff zurückkam. Aber noch ein wenig
nach Ladung Umschau halten wollte der Mann, war er erst die „Alte
Liebe" los! Aber als das Schiff
drüben unredlich verhandelt war,
hatten sie beide den Mut verloren,
heimzukehren und vor den Herren
vom Anit die betrügerische Der-
klarung abzulegcn. Sic verbargen
sich, als das Schiff verschollen galt.
Der Schnee fuhr kreuz und gucr
in Wirbeln vor den Fenstern der
Weihnachtshäuser des Dorfes. Ueber
den Bäumen und über der Straße
lag er in mattem Grau, hell war
er selbst in der Nacht. Und wo ein
Lichtschein darüber hinglitt, funkelte
und glitzerte es, als sei ihm selbst
eine Verkündung geworden und er
wollte sein mildes Gewand gleich
fröhlich aufheben.
Die alte Frau eilte rascher die
Dünenstraße hinauf. Ihr Fuß
knirschte, frierend zog sie den
tu WKIHNACHTEJf
Die Tannen wandern nach der Stadt in Scharen,
Das alte Wintermärchen neu zu raunen
Von Licht und Liebe, großem Kinderstaunen
Und mildem Leuchten aus versunkncn Jahren.
Doch eh sie ganz das Gleichnis offenbaren
Vom Sieg der Stille über die Posaunen
Und wunder Herzen über Schicksalslaunen,
Ist schon die Träumerstunde hingefahren.
Still fällt der Schnee, wenn frohe Kerzen schimmern,
Still fällt der Schnee beim Tod des letzten Lichts,
Wenn die beraubten Aeste brechend wimmern.
Das ist das Ende jeglichen Gedichts:
Still fällt der Schnee — aus Urweltkälte flimmern
Die bleichen Sterne fiihllosen Gesichts.
E m i 1 Hadina
1009
DAS ENTZÜCKENDE GESCHENK
DIE VERBORGENE
Hans Friedrich Blunck
Als letzte stieg eine eilte Frau aus dem Weihnachtsfährbook. Die
anderen Fahrgäste eilten voraus, an der Steglaterne vorbei, um die
der Schnee tanzte und wirbelte, dann an der hellerleuchteten Scheibe
des Brückenhauses entlang, in dem die Leute des Dampfers die halbe
Stunde bis zur Rückfahrt warteten. Die Frau ging zögernd hinter
den Eilenden her. Sie wich der
Laterne aus und gab Acht, daß
niemand ihr unter die alte,
hängende Haube blicken konnte.
Dabei waren es jetzt schon zehn
fgahre her, daß sie den Fischerort
zuletzt gesehen hatte, lange genug,
daß niemand sie rasch erkannte. Aber
die Furcht verließ sie nicht, daß einer
sie anhaltcn und erstaunt fragen
würde: „Rrcin Gott, Anna Roos,
bist du's wirklich? Wir dachten, du
ivärest damals niit der ,Altcn Liebe'
umgekomnicn!"
Rein, das durfte nicht sein, Grund
genug, sich am Brückengeländer ent-
rang zu drücken. Denn der Ewer
„'Alte Liebe" war verschollen, —
hört, — verschollen! llnö die beiden
Alten, die darauf gewesen waren, —
ja, — erst hatten sie heimkehren und
den Dersicherungsleuten eine grausige llntergangSgeschichte vvrlügen
wollen. Wunderschön hatten sie sich'ö ausgedacht, wie sie dag Gold
ein stecken und auf ihre alten Tage hinter m Fenster warten ivollten,
bis der f^uug mit dem neuen Schiff zurückkam. Aber noch ein wenig
nach Ladung Umschau halten wollte der Mann, war er erst die „Alte
Liebe" los! Aber als das Schiff
drüben unredlich verhandelt war,
hatten sie beide den Mut verloren,
heimzukehren und vor den Herren
vom Anit die betrügerische Der-
klarung abzulegcn. Sic verbargen
sich, als das Schiff verschollen galt.
Der Schnee fuhr kreuz und gucr
in Wirbeln vor den Fenstern der
Weihnachtshäuser des Dorfes. Ueber
den Bäumen und über der Straße
lag er in mattem Grau, hell war
er selbst in der Nacht. Und wo ein
Lichtschein darüber hinglitt, funkelte
und glitzerte es, als sei ihm selbst
eine Verkündung geworden und er
wollte sein mildes Gewand gleich
fröhlich aufheben.
Die alte Frau eilte rascher die
Dünenstraße hinauf. Ihr Fuß
knirschte, frierend zog sie den
tu WKIHNACHTEJf
Die Tannen wandern nach der Stadt in Scharen,
Das alte Wintermärchen neu zu raunen
Von Licht und Liebe, großem Kinderstaunen
Und mildem Leuchten aus versunkncn Jahren.
Doch eh sie ganz das Gleichnis offenbaren
Vom Sieg der Stille über die Posaunen
Und wunder Herzen über Schicksalslaunen,
Ist schon die Träumerstunde hingefahren.
Still fällt der Schnee, wenn frohe Kerzen schimmern,
Still fällt der Schnee beim Tod des letzten Lichts,
Wenn die beraubten Aeste brechend wimmern.
Das ist das Ende jeglichen Gedichts:
Still fällt der Schnee — aus Urweltkälte flimmern
Die bleichen Sterne fiihllosen Gesichts.
E m i 1 Hadina
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