Beim Antiquar
21. Bernstein
GEDICHTE
VON JACOB HARINGER
SEHNSUCHT!
Du sagtest, du wolltest kommen,
Gekommen bist du nicht.
Was hast du mein Ilerz dann genommen,
Wenn du’s so scherzend zerbrichst.
Da hab ich eine Andre gefunden
Und ging mit ihr ins Cafe.
Dann wandelten wir durch den Stadtpark,
Ihr Kleid war so sommerschön.
Wir lauschten den Vögeln. Und drüben
Spielten sie träumend ein Lied,
Ich hab es leis mitgepfiffen
Und die Rosen haben geblüht.
Mit der Andern bin ich gegangen
Und an dich nur hab ich gedacht,
Dann ging ich allein nach Hause
Und weinte die ganze Nacht.
KLEINES LIED
Die Abendglocken klingen,
Die Kinder gehn schon heim,
Die letzten Vögle in singen,
Ich denk an dich und wein . . .
Steh unter der rauschenden Linden —
Was hab ich geträumt und geirrtI
Laß mich eine Herberg finden,
Heilige Mutter Marie-
Meine Schuh sind lang zerrissen,
Mein Herz ist schwer und matt.
Mädchen spieln auf der Wiese —-
Drüben glänzt eine alte Stadt.
Aber Toni schüttelte halsstarrig den Kopf. Wieder stieß Jakob einen
undeutlichen Seufzer aus. Dann sagte er vorsichtig: „Er war doch
wie eine Bestie zu dir, Toni."
„Dafür ist kein Wort stark genug," gab Toni zu. „Dreimal hat er
alles hier kurz und klein geschlagen. Und als es nichts mehr zu zer-
schlagen gab, schlug er mich. ,TätowiereiP nannte er das, wenn er
betrunken war. Wenn ich daran denke, zittere ich noch."
Jakob nickte, mit einem großen Zug an seiner Pfeife, bind nach
kurzem Nachdenken sagte er zögernd:
„Wenn er nun wiederkäme?"
„DaS tut er nun doch nicht mehr," erwiderte Toni mit Ilcber-
zeugung. „Es würde auch mein llnglück sein."
„Man kann doch nicht wissen," meinte Jakob. „Einmal war er sechs
Monate weg und dann kam er zurück und erzählte, daß sie ihn zum
Vizekönig von Japan gemacht und dort festgehalten hätten. Aber zur
selben Zeit sahen Leute von hier jemand in Amslerdani in der WarmoeS-
Straße, der ihm sprechend ähnlich sah. Und das andere Mal schrieb ec
einen Brief aus der Wildnis, wo er Menschenfressern Unterricht gab
im Scheibenschießen. Aber der Poststempel war aus Antwerpen. Darum
sage ich, man kann nicht wissen. Er ist ein seltener Kauz!"
„Glaubst du denn nicht an seine zweite Stimme?" fragte Toni.
„Ja, das ist wahr," stiminte Jakob zögernd zu.
„Ja, nur zu," willigte Jakob ein. „Dreh ihn wieder mal auf."
Fast mit Ehrfurcht ging Toni zu dem Tisch am Fenster links, wo ein
mit blinkendem Trichter auSgestattetcr Apparat von der „International
Zonophone Company", der Stolz desGasthauseS „Zum Meerweibchen",
prunkte. Sic brachte eine Nadel an und legte die Platte auf, betitelt:
„English, Bass, Farwell kor ever! Sung by Mr. William Payne, with
orchestral accompaniment and bells.“ Und das Grammophon, nach
schnarrendem Rasseln, begann ein Lied zu spielen von Tränen und
Ertrinken, das letzte Lebewohl eines Steuermanns an seine Frau, bevor
das grausame, salzige Naß für immer über ihn wegging. Die Stimme
war im allgemeinen undeutlich, doch hier und da drang sie kräftig
durch, und dann erbebte Toni jedesmal. Sie zwängte sich wieder hinter
das Büfett, und, eine Hand am Strumpf, hörte sie zu, mit Tränen
im Auge. Jakob vergaß eine Weile seine Pfeife.
„Ist cr'g oder ist er's nicht?" fragte Toni dann, ihrer Sache sicher,
als das Grammophon ausgerasselt hatte.
„Ja, daS ist er," sagte Jakob, für den Moment wieder überzeugt.
„O, I see you nimmer more,“ schluchzte Toni mit dem bißchen Eng-
lisch, daS die Zonophvne-Company sie gelehrt hatte. In achtungsvoller
Stille saß Jakob beim Schmerz der „Witwe". Aber die unterbrach sie
selbst bald.
„Sieh, Jakob, das ist schön von ihm, daß er in seinem letzten Augen-
blick noch so an mich gedacht hat. DaS macht viel gut. Darum bin ich
für ewig die Seine. Wenn er wiedergekommen wäre, hätte ich für
immer mit ihm Schluß gemacht. Denn alles hier zum vierten Mal
zerschlagen zu lassen, das wäre ein Schaden, den wir nicht mehr gut-
machen könnten. Aber so ist es in Ordnung. Nun Hab' ich ihn wieder
so lieb, siehst du."
Jakob hörte eS an, mit seinem gewöhnlichen Seufzer. So'n Weib,
so'n Weib! Der Sturm in ihm begann wieder Schornsteine umzu-
werfen. Doch er beherrschte sich. Und das Glück der Selbstquälerei
beste! ihn auf's neue.
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21. Bernstein
GEDICHTE
VON JACOB HARINGER
SEHNSUCHT!
Du sagtest, du wolltest kommen,
Gekommen bist du nicht.
Was hast du mein Ilerz dann genommen,
Wenn du’s so scherzend zerbrichst.
Da hab ich eine Andre gefunden
Und ging mit ihr ins Cafe.
Dann wandelten wir durch den Stadtpark,
Ihr Kleid war so sommerschön.
Wir lauschten den Vögeln. Und drüben
Spielten sie träumend ein Lied,
Ich hab es leis mitgepfiffen
Und die Rosen haben geblüht.
Mit der Andern bin ich gegangen
Und an dich nur hab ich gedacht,
Dann ging ich allein nach Hause
Und weinte die ganze Nacht.
KLEINES LIED
Die Abendglocken klingen,
Die Kinder gehn schon heim,
Die letzten Vögle in singen,
Ich denk an dich und wein . . .
Steh unter der rauschenden Linden —
Was hab ich geträumt und geirrtI
Laß mich eine Herberg finden,
Heilige Mutter Marie-
Meine Schuh sind lang zerrissen,
Mein Herz ist schwer und matt.
Mädchen spieln auf der Wiese —-
Drüben glänzt eine alte Stadt.
Aber Toni schüttelte halsstarrig den Kopf. Wieder stieß Jakob einen
undeutlichen Seufzer aus. Dann sagte er vorsichtig: „Er war doch
wie eine Bestie zu dir, Toni."
„Dafür ist kein Wort stark genug," gab Toni zu. „Dreimal hat er
alles hier kurz und klein geschlagen. Und als es nichts mehr zu zer-
schlagen gab, schlug er mich. ,TätowiereiP nannte er das, wenn er
betrunken war. Wenn ich daran denke, zittere ich noch."
Jakob nickte, mit einem großen Zug an seiner Pfeife, bind nach
kurzem Nachdenken sagte er zögernd:
„Wenn er nun wiederkäme?"
„DaS tut er nun doch nicht mehr," erwiderte Toni mit Ilcber-
zeugung. „Es würde auch mein llnglück sein."
„Man kann doch nicht wissen," meinte Jakob. „Einmal war er sechs
Monate weg und dann kam er zurück und erzählte, daß sie ihn zum
Vizekönig von Japan gemacht und dort festgehalten hätten. Aber zur
selben Zeit sahen Leute von hier jemand in Amslerdani in der WarmoeS-
Straße, der ihm sprechend ähnlich sah. Und das andere Mal schrieb ec
einen Brief aus der Wildnis, wo er Menschenfressern Unterricht gab
im Scheibenschießen. Aber der Poststempel war aus Antwerpen. Darum
sage ich, man kann nicht wissen. Er ist ein seltener Kauz!"
„Glaubst du denn nicht an seine zweite Stimme?" fragte Toni.
„Ja, das ist wahr," stiminte Jakob zögernd zu.
„Ja, nur zu," willigte Jakob ein. „Dreh ihn wieder mal auf."
Fast mit Ehrfurcht ging Toni zu dem Tisch am Fenster links, wo ein
mit blinkendem Trichter auSgestattetcr Apparat von der „International
Zonophone Company", der Stolz desGasthauseS „Zum Meerweibchen",
prunkte. Sic brachte eine Nadel an und legte die Platte auf, betitelt:
„English, Bass, Farwell kor ever! Sung by Mr. William Payne, with
orchestral accompaniment and bells.“ Und das Grammophon, nach
schnarrendem Rasseln, begann ein Lied zu spielen von Tränen und
Ertrinken, das letzte Lebewohl eines Steuermanns an seine Frau, bevor
das grausame, salzige Naß für immer über ihn wegging. Die Stimme
war im allgemeinen undeutlich, doch hier und da drang sie kräftig
durch, und dann erbebte Toni jedesmal. Sie zwängte sich wieder hinter
das Büfett, und, eine Hand am Strumpf, hörte sie zu, mit Tränen
im Auge. Jakob vergaß eine Weile seine Pfeife.
„Ist cr'g oder ist er's nicht?" fragte Toni dann, ihrer Sache sicher,
als das Grammophon ausgerasselt hatte.
„Ja, daS ist er," sagte Jakob, für den Moment wieder überzeugt.
„O, I see you nimmer more,“ schluchzte Toni mit dem bißchen Eng-
lisch, daS die Zonophvne-Company sie gelehrt hatte. In achtungsvoller
Stille saß Jakob beim Schmerz der „Witwe". Aber die unterbrach sie
selbst bald.
„Sieh, Jakob, das ist schön von ihm, daß er in seinem letzten Augen-
blick noch so an mich gedacht hat. DaS macht viel gut. Darum bin ich
für ewig die Seine. Wenn er wiedergekommen wäre, hätte ich für
immer mit ihm Schluß gemacht. Denn alles hier zum vierten Mal
zerschlagen zu lassen, das wäre ein Schaden, den wir nicht mehr gut-
machen könnten. Aber so ist es in Ordnung. Nun Hab' ich ihn wieder
so lieb, siehst du."
Jakob hörte eS an, mit seinem gewöhnlichen Seufzer. So'n Weib,
so'n Weib! Der Sturm in ihm begann wieder Schornsteine umzu-
werfen. Doch er beherrschte sich. Und das Glück der Selbstquälerei
beste! ihn auf's neue.
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