DER VERTAUSCHTE KOFFER
Von ZBerncr Deubel
Ein Schriftsteller, der mit beginnendem Frühjahr eine Ferienreise
unternommen hatte, sah sich, nach umständlichen Fahrten, am
Ziele, einem am Südhang der Alpen gelegenen Orte, angelangt,
vor die peinliche Ucberraschung gestellt, daß sein Gepäck, das er aus
der Heimatstation der Eisenbahn übergeben, einen falschen Weg ge-
nommen hatte und mit einem fremden Koffer, den man ihm auö-
gehändigt, vertauscht worden >var. Verzweifelt über den Verlust seines
Gepäcks, insonderheit seiner neuen dichterischen Pläne und Niederschriften,
starrte er, trostlos auf dem Bett seines neuen OuartierS hockend, auf
das halbgeöffnete,dem seinen so ähnliche Gepäckstück eines Unbekannten,
als ihm von ungefähr in den Sinn kam, dessen Inhalt genauer zu
untersuchen. Wie verwundert aber war er, als er unter Kleidern und
Wäschestücken einige Hefte fand, deren
Seiten mit einer engen, geistvollen Hand-
schrift beschrieben waren, und wie mußte
sich sein Erstaunen zur Betroffenheit, ja
zum Entsetzen steigern, da er in dem
Geschriebenen weitreichende Entwürfe er-
kannte zu Dichtungen von so neuartiger
Pracht und müheloser Sprachgewalt, daß
er, im Gedanken an die eigenen Pläne,
sich weit überflügelt fühlte.
Bebend im Fieber neidvoller Erregung
warf er plötzlich die Schriften wie einen
versengenden Feucrbrand in den Koffer
zurück, eilte zum Telegraphenamt und
jagte an alle fernen und nahen Bahn-
stationen ringsum hastige Fragen nach
seinem Gepäck, das sich indessen, wie die
einlaufenden Antworten ergaben, nirgends
wollte finden lassen. Als er bei cinfallendcr
Dunkelheit ermattet in sein Zimmer zu-
rückkehrte, konnte er keinen Schlummer
finden, da die Schriftzüge jener Manu-
skripte, die in dem fremden Koffer lagen,
durch dessen Wände zauberhaft hindurch-
zuschimmern schienen; in funkelnden Zeilenketten umtanzten sie sein
fieberndes Haupt, gaukelten ihm bald eine goldene Krone, bald die
Feuer ruhmverheißender Morgenröte vor, indes sein besseres Selbst
immer wieder des Teufelsspuks verbrecherischer Gedanken sich ver-
zweifelt zu erwehren suchte. Dieser Kamps endete damit, daß der
Gepeinigte sich hastig in die Kleider warf, und, dem verstörten Wirt
ein hochmütiges Goldstück in die Hand drückend, den fremden Koffer
am Arm, zur Bahnstation
hinüberkeuchte, um mit dem
Nachtzug, gleichviel in welcher
Richtung, davonzufahren.
Als er am nächsten Morgen
in einem völlig frcmdne Orte
ausstieg und aufs neue Ouar-
tier bezog, suchte er mit der
gleichen besessenen Hast, mit
der er zuvor nach seinem ver-
irrten Gepäck gefahndet hatte,
nunmehr jede Möglichkeit, in
dessen Besitz zu gelangen, ab-
znschnciden und seine Spur
nach Kräften zu verwischen.
Er nabm einen anderen Namen
an und pries es als glückver-
heißenden Zufall, daß die im
fremden Koffer Vorgefundene
Wäsche ihm leidlich paßte.
Erst nachdem er sich über den
übrigen Inhalt gleichfalls un-
terrichtet und sich alles ge-
wissermaßen zu eigen gemacht hatte, wagte er es, sich in Ruhe dem
Hauptschatz, den handschriftlichen Entwürfen, zuzuwendcn, und fand sie
bei gründlichem Lesen noch bedeutender und herrlicher. Als er, in einem
Triumphgefühl ohnegleichen, die Terrasse des Gaffhofs zur Abendmahl-
zeit betrat, nahm ihm gegenüber ein junger, melancholischer Mensch
von ungemein seelenvollen GesichtSzügen stumm grüßend Platz, um nach
beendetem Esten ebenso schweigend zu verschwinden, was dem Schrift-
steller, der jede Reisebekanntschaft ängstlich meiden wollte, sehr recht war.
Wer beschreibt indessen sein Entsetzen, als er beim Aufschlagen
des Gästebuches in den geistvollen Zügen der letzten Eintragung, die,
wie der Wirt vcrstcherte, von eben jenem melancholischen Tischgenossen
herrührte, die Handschrift wicdererkannte, in der die Manuskripte
des fremden Kosters geschrieben waren!
Aus dem wilden Durcheinanderffuten von
Schrecken, Fluchtbereitschaft, Zweifel und
Trotz tauchte schließlich eine prickelnde
Neugier, untermischt mit einer etwas mit-
leidigen Zuneigung zu dem schönen Frem-
den, so daß er seltsamerweise beschloß,
nicht nur zu bleiben, sondern auch die
Bekanntschaft des Jünglings zu suchen.
Da der Schriftsteller in dem Ahnungs-
losen einen seines Reichtums kaum be-
wußten, phantasievollen Geist kenne»
lernte, während jener sich an den immer-
hin klugen und feinfühlenden Gefährten
erst scheu, dann bereitwillig anschloß, so
sah man beide bei AuSstügen und Mahl-
zeiten stets zusammen. Wohl war bei
ihren Unterhaltungen aus dem Munde
des Fremden auch einmal seines durch
tückischen Zufall verwechselten Koffers
Erwähnung geschehen, allein eS beruhigte
Beda Hafen unfern Schriftsteller, daß dem andern die
Vertauschung zwar ärgerlich, der Verlust
aber gerade der Papiere kaum von Wich-
tigkeit zu sein schien. Inzwischen mußte er wahrnehmen, daß er den
jungen Menschen immer mehr liebte, sobald dieser gegenwärtig war.
In Stunden indessen, da er, von dem Freunde getrennt, alle Möglich-
keiten und Gefahren überdachte, deren er sich hinfürder bei Aus-
nutzung des gefundenen Schatzes könnte zu erwehren haben, mußte
er sich stets erst willentlich vor Augen führen, daß er in dem Be-
stohlenen ja den Geliebten hintergehe und im Freunde den recht-
mäßigen Eigentümer des gei-
stigen Reichtums zu fürchten
habe. So zwischen Liebe und
Gier nach eigener Größe hin-
und hergeristen, schwankt er
dem schicksalvollcn Tage ent-
gegen, der alles mit einem
Schlage entscheiden sollte. Ans
einer Bergwanderung, da die
beiden Freunde bereits in jene
schwierigen Höhen gelangten,
in denen unter der Anstren-
gung vorsichtigen Aufwärts-
klimmenS jedes Gespräch von
selbst verstummt, geschah es,
während des einen Grübeleien
sich immer tiefer in Abgründe
verloren und bereits in einer
dumpfen Lüsternheit mit ge-
fährlichen Möglichkeiten spiel-
ten, daß der Jüngere, wie von
jähem Schwindel befallen,
plötzlich ausglitt und in die
DÜRRE STUNDE
Ziellos ward mein Wanderschritt:
Ist er Heimkehr? Ist er Reise?
Oder geh’ ich irr im Kreise? —
Nur noch Wolken ziehen mit.
Komm’ ich ohne Pfad und Pferd
Noch vor Nacht aus meiner Wüste?
Geht nicht schon der Tag zur Rüste? —
Oder mach’ ich lieber Kehrt?
Suchend irrt mein Aug’ umher,
Eisig klirrt der Wind von Norden. —
Gibt es keine Sterne mehr,
Oder bin ich blind geworden?
CHRISTBÄUME
„Ja mei, für a Mark fufzge kann i eana koane Dattelpalmen herbringa."
1037
Von ZBerncr Deubel
Ein Schriftsteller, der mit beginnendem Frühjahr eine Ferienreise
unternommen hatte, sah sich, nach umständlichen Fahrten, am
Ziele, einem am Südhang der Alpen gelegenen Orte, angelangt,
vor die peinliche Ucberraschung gestellt, daß sein Gepäck, das er aus
der Heimatstation der Eisenbahn übergeben, einen falschen Weg ge-
nommen hatte und mit einem fremden Koffer, den man ihm auö-
gehändigt, vertauscht worden >var. Verzweifelt über den Verlust seines
Gepäcks, insonderheit seiner neuen dichterischen Pläne und Niederschriften,
starrte er, trostlos auf dem Bett seines neuen OuartierS hockend, auf
das halbgeöffnete,dem seinen so ähnliche Gepäckstück eines Unbekannten,
als ihm von ungefähr in den Sinn kam, dessen Inhalt genauer zu
untersuchen. Wie verwundert aber war er, als er unter Kleidern und
Wäschestücken einige Hefte fand, deren
Seiten mit einer engen, geistvollen Hand-
schrift beschrieben waren, und wie mußte
sich sein Erstaunen zur Betroffenheit, ja
zum Entsetzen steigern, da er in dem
Geschriebenen weitreichende Entwürfe er-
kannte zu Dichtungen von so neuartiger
Pracht und müheloser Sprachgewalt, daß
er, im Gedanken an die eigenen Pläne,
sich weit überflügelt fühlte.
Bebend im Fieber neidvoller Erregung
warf er plötzlich die Schriften wie einen
versengenden Feucrbrand in den Koffer
zurück, eilte zum Telegraphenamt und
jagte an alle fernen und nahen Bahn-
stationen ringsum hastige Fragen nach
seinem Gepäck, das sich indessen, wie die
einlaufenden Antworten ergaben, nirgends
wollte finden lassen. Als er bei cinfallendcr
Dunkelheit ermattet in sein Zimmer zu-
rückkehrte, konnte er keinen Schlummer
finden, da die Schriftzüge jener Manu-
skripte, die in dem fremden Koffer lagen,
durch dessen Wände zauberhaft hindurch-
zuschimmern schienen; in funkelnden Zeilenketten umtanzten sie sein
fieberndes Haupt, gaukelten ihm bald eine goldene Krone, bald die
Feuer ruhmverheißender Morgenröte vor, indes sein besseres Selbst
immer wieder des Teufelsspuks verbrecherischer Gedanken sich ver-
zweifelt zu erwehren suchte. Dieser Kamps endete damit, daß der
Gepeinigte sich hastig in die Kleider warf, und, dem verstörten Wirt
ein hochmütiges Goldstück in die Hand drückend, den fremden Koffer
am Arm, zur Bahnstation
hinüberkeuchte, um mit dem
Nachtzug, gleichviel in welcher
Richtung, davonzufahren.
Als er am nächsten Morgen
in einem völlig frcmdne Orte
ausstieg und aufs neue Ouar-
tier bezog, suchte er mit der
gleichen besessenen Hast, mit
der er zuvor nach seinem ver-
irrten Gepäck gefahndet hatte,
nunmehr jede Möglichkeit, in
dessen Besitz zu gelangen, ab-
znschnciden und seine Spur
nach Kräften zu verwischen.
Er nabm einen anderen Namen
an und pries es als glückver-
heißenden Zufall, daß die im
fremden Koffer Vorgefundene
Wäsche ihm leidlich paßte.
Erst nachdem er sich über den
übrigen Inhalt gleichfalls un-
terrichtet und sich alles ge-
wissermaßen zu eigen gemacht hatte, wagte er es, sich in Ruhe dem
Hauptschatz, den handschriftlichen Entwürfen, zuzuwendcn, und fand sie
bei gründlichem Lesen noch bedeutender und herrlicher. Als er, in einem
Triumphgefühl ohnegleichen, die Terrasse des Gaffhofs zur Abendmahl-
zeit betrat, nahm ihm gegenüber ein junger, melancholischer Mensch
von ungemein seelenvollen GesichtSzügen stumm grüßend Platz, um nach
beendetem Esten ebenso schweigend zu verschwinden, was dem Schrift-
steller, der jede Reisebekanntschaft ängstlich meiden wollte, sehr recht war.
Wer beschreibt indessen sein Entsetzen, als er beim Aufschlagen
des Gästebuches in den geistvollen Zügen der letzten Eintragung, die,
wie der Wirt vcrstcherte, von eben jenem melancholischen Tischgenossen
herrührte, die Handschrift wicdererkannte, in der die Manuskripte
des fremden Kosters geschrieben waren!
Aus dem wilden Durcheinanderffuten von
Schrecken, Fluchtbereitschaft, Zweifel und
Trotz tauchte schließlich eine prickelnde
Neugier, untermischt mit einer etwas mit-
leidigen Zuneigung zu dem schönen Frem-
den, so daß er seltsamerweise beschloß,
nicht nur zu bleiben, sondern auch die
Bekanntschaft des Jünglings zu suchen.
Da der Schriftsteller in dem Ahnungs-
losen einen seines Reichtums kaum be-
wußten, phantasievollen Geist kenne»
lernte, während jener sich an den immer-
hin klugen und feinfühlenden Gefährten
erst scheu, dann bereitwillig anschloß, so
sah man beide bei AuSstügen und Mahl-
zeiten stets zusammen. Wohl war bei
ihren Unterhaltungen aus dem Munde
des Fremden auch einmal seines durch
tückischen Zufall verwechselten Koffers
Erwähnung geschehen, allein eS beruhigte
Beda Hafen unfern Schriftsteller, daß dem andern die
Vertauschung zwar ärgerlich, der Verlust
aber gerade der Papiere kaum von Wich-
tigkeit zu sein schien. Inzwischen mußte er wahrnehmen, daß er den
jungen Menschen immer mehr liebte, sobald dieser gegenwärtig war.
In Stunden indessen, da er, von dem Freunde getrennt, alle Möglich-
keiten und Gefahren überdachte, deren er sich hinfürder bei Aus-
nutzung des gefundenen Schatzes könnte zu erwehren haben, mußte
er sich stets erst willentlich vor Augen führen, daß er in dem Be-
stohlenen ja den Geliebten hintergehe und im Freunde den recht-
mäßigen Eigentümer des gei-
stigen Reichtums zu fürchten
habe. So zwischen Liebe und
Gier nach eigener Größe hin-
und hergeristen, schwankt er
dem schicksalvollcn Tage ent-
gegen, der alles mit einem
Schlage entscheiden sollte. Ans
einer Bergwanderung, da die
beiden Freunde bereits in jene
schwierigen Höhen gelangten,
in denen unter der Anstren-
gung vorsichtigen Aufwärts-
klimmenS jedes Gespräch von
selbst verstummt, geschah es,
während des einen Grübeleien
sich immer tiefer in Abgründe
verloren und bereits in einer
dumpfen Lüsternheit mit ge-
fährlichen Möglichkeiten spiel-
ten, daß der Jüngere, wie von
jähem Schwindel befallen,
plötzlich ausglitt und in die
DÜRRE STUNDE
Ziellos ward mein Wanderschritt:
Ist er Heimkehr? Ist er Reise?
Oder geh’ ich irr im Kreise? —
Nur noch Wolken ziehen mit.
Komm’ ich ohne Pfad und Pferd
Noch vor Nacht aus meiner Wüste?
Geht nicht schon der Tag zur Rüste? —
Oder mach’ ich lieber Kehrt?
Suchend irrt mein Aug’ umher,
Eisig klirrt der Wind von Norden. —
Gibt es keine Sterne mehr,
Oder bin ich blind geworden?
CHRISTBÄUME
„Ja mei, für a Mark fufzge kann i eana koane Dattelpalmen herbringa."
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