Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Tiefe sank, wobei er im Rücklingssturze
noch den Freund mit einem Blick ent-
setzter Ahnung und hellsichtiger Anklage
anslarrte. Der aber, von dämonischem
Jubel und Grausen zugleich gepackt,
wandte sich.hastig und rannte, der Ab-
gründe nicht achtend, dem Tale zu.

Nur wenige Jahre waren vergangen,
als die Welt, beglückt von den herrlichen
Werken, mit denen er sie aus dem schein-
bar unerschöpflichen Schatze seines Ge-
nies überschüttete, zu seinen Füßen lag.

So lebte er inmitten seiner bewun-
dernden Nation, von Gattin, Kindern
und Enkeln umgeben, in ein ehrenvolles
Greisenalter hinein. Bis eines Tages
der Familienjüngste, ein Student, wäh-
rend der Ferien ans den Landsitz des
Alten eingeladen, fröhlich dort anlangtc
und, den Großvater begrüßend, sein
Gepäck schnell abstcllte, — einen zer-
schundenen, ersichtlich oft ausgebesserten
Koffer, bei dessen Anblick jedoch der
Greis, an Beherrschung gewöhnt, durch
nichts verriet, daß er ihm ausfällig oder-
bekannt sei. Wer beschreibt aber die
Aufregung, als am andern Morgen der
alte Herr verschwunden war und man
nach langwierigen Erkundigungen an der
nächsten Bahnstation erfuhr, daß ec in
später Nachtstunde unter Mitnahme
eines einzigen verschlissenen Koffers den
Zug nach dem Süden bestiegen hätte!

Wenige Tage danach langten aus
einem kleinen Orte jenseits der Alpen

NORDISCHE BALLADE

Der alte Kelle Stand bei grimmer Kalle
der Westwind wehte wüst durch Wies’ und Watt —
mit seinem Hund, der bellte, an dem Belte,
und starrte still und stumm ins Kattegat.

Zum Strand, enllaucht dem tiefen Tal der Wellen,
ein Seehund schwamm mit silbergrauem Bauch.
Gelocket durch des Landhunds lieblich Bellen,
klomm er zum Kliff' empor und kläffte auch.

Hoch hob ein Hinterbein der Hund am Lande
zum grauen Runenstein auf gras’gem Grund.

Der Seehund schaut’s, es schien ihm Schimpf und Schande,
daß er, was jener Hund verstund, nicht kunnt’.

Die Dämm’rung fiel und deckte Deich und Dünen
nebst Watt und Wiesenflächen fern und nah;
in Finsternis lag Seeland und auch Fünen
gespenstisch-spukhaft eingesponnen da.

Der alle Kette klagte laut: „Hier zieht is!“
und stützte schwer sich auf sein scharfes Schwert.
Von Brustkatarrh bedroht und von Bronchitis,
kehrt hüstelnd er zum heimatlichen Herd.

Hier wärmt’ er sich in weichen Filzpantoffeln,
vergaß des Tages Müh’ und Qual beim Mahl,
indes der Dunst von dampfenden Kartoffeln
sich heimlich in das Herz des Hünen stahl.

Wo brausend sich der Brandung Wucht gebrochen,
noch eine Stunde stund des Kelten Hund,
hat rings am Riff die Runenschrift berochen
und kratzte kräftig, nieste und verschwund.

Waldemar Schmidt

Nachrichten an, denen zufolge ein Greis
mit dem Namen des Gesuchten aus dem
Dorssriedhof tot ansgefunden worden
sei, und zwar neben einem alten, nichts
als einige unleserliche Papiere enthal-
tenden Koffer, der unter den Efeu eines
unbekannten Grabes geschoben war, das
er noch Tags zuvor von allen Spuren
der Verwilderung säubern und mit
einem Stein habe versehen laßen, der
die Inschrift trug: „Franziskus 2)., der

bcgnadete Schöpfer von.* und

hier waren die unsterblichen Titel seiner-
eigenen Werke aufgcführt. Die Familie
des Verstorbenen setzte den Leichnam des
Gefeierten unter Anteilnahme des ganzen
Volkes in der Heimat bei und ver-
mochte sich übrigens das seltsame. Ende
des Verstorbenen nur mit der Annahme
jäher Geistesverwirrung zu erklären,
eine Nteinung, die alsbald die allge-
meine wurde und in der sich auch
niemand irremachen ließ, als aus eben
jenem südlichen Alpcnort eine Kunde
drang, die man sich in der Heimat des
großen Dichters einige Zeit lang als
romantische Merkwürdigkeit von dunk-
lem Sinn erzählte und bald vergaß —
daß nämlich eine uralte Frau jenes
Dorfes beim Anblick des Entseelten die
Worte gesprochen habe:

„Die Lebenden wandeln sich schnell
und haben einen kurzen Blick, aber
die Toten haben ein langes Gedächt-
nis!"

Zeichnung von Fr. Heubner

„Du hast’s gut, Kleiucr! Vielleicht frißt dich ein Fuchs, dann kriegst du
auch noch eine warme Stube!"

1038
Index
Friedrich (Fritz) Heubner: Zeichnung ohne Titel
Waldemar Schmidt: Nordische Ballade
 
Annotationen