DIE REBRUK
Von Hans Reiser
Nicht alle Lehrer sind gleich. Da habe ich
einen gehabt, der war ein großartiger
Kerl. Daß er mich jeden Dag mindestens
einmal verhauen hat, war ich gewöhnt; ich
verbiß daS Lachen dabei, solang eS ging, und
war schon so ein Lümmel und entsetzlicher
Lauökcrl, daß es wohl notwendig gewesen sein
wird, mich zu versohlen. Aber ich Hab mich
auch gerächt. Beim Schneeballengefecht, bei
„Erstürmung der Burg Wetterstein", habe ich
ihm wie aus Versehen einen nassen, ganz
harten Schneeball mit aller Wucht mitten aus
die Nase gepfessert, der Zwicker war hin, die
Nase vierzehn Tage lang geschwollen wie eine
Blutwurst. Es hat mich mächtig gefreut und
ich habe natürlich so getan, als täte cs mir
sehr leid, daß ich ihn zufällig so ungeschickt
getroffen habe. Aber mein Kamerad ivar er
trotzdem, und wie er sich bei einer kleinen
Liebesgeschichte von mir benommen hat, daS
vergesse ich ihm nicht. Es hat mir damals
schon unendlich wohlgetan, aber viel später
erst habe ich ihn ganz verstanden —.
Da war also die Gustl, in die ich mich ver-
liebt hatte, Sie war, nach meinen Begriffen,
die Schönste von allen. Später habe ich sie
einmal wiedcrgesehen, sie war vielleicht schon
sechzehn oder siebzehn, und ich war recht ent-
täuscht. Aber damals als Schuljunge erschien
sie mir unsäglich schön, überirdisch und engel-
haft. Beim Schlittschuhlaufen blieb ich vor ihr
stehen. Ich wollte sie einmal ganz nah und
lang anschaucn.
„Was schaugff denn?" meinte sie.
„Wells d' mir g'sallst!"
Wochenlang dachte ich nichts anderes mehr
als an dieses unser (etwas kurzes) Zwie-
gespräch. Es war etwas geschehen, ich hatte
ihr gestanden, daß ich sie liebe, und jetzt wußte
sie es also! Kein Dag, an dem ich nicht vor
der Schule wartete, bis sie vorbeiging, mor-
gens, mittags, nachmittags und abends.
Es wurde Soinmer. Irgendwer hatte mir
zehn Pfennige geschenkt. Ich kaufte ein kleines
Bukett Veilchen und als sie daherkam, gab ich
eg ihr. Wieder eine Dat, auf die ich mir aller-
hand einbildete. Ich war gespannt, was jetzt
kommen werde! Jetzt mußte sich doch irgend
etwas ereignen!
Es ereignete sich vorläusig nur, daß auf
einmal die Dür zum Klassenzimmer ausffog,
als würde Old Shatterhand mit einer Schar
todesmutiger Angreifer eine Bresche in den
Pallissadenwall einer Jndianerfestung hauen
— eine ältliche Lehrerin ffürzte aufgeregt, mit
blutunterlaufenen Augen, herein, wir meinten,
es ist Feuer ausgebrochen.
„Denken Sie sich, Herr Kollege," schnaufte
sie wie ein Pferd, „was passiert ist."
Der Lehrer führte sie gleich sachte aus dem
Zimmer, leider, wir hätten zu gern gewußt,
was da los war. Er hat es mir hernach
erzählt: sie fand es unerhört, unglaublich,
empörend, daß ein Junge einem Mädchen
ihrer Klaffe ein Veilchensträußchen geschenkt
habe.
„Ich verstehe Sie nicht," sagte er, „das ist
doch sehr nett von dem Burschen! Meine
Buben sind ehrliche Kerls, bei denen gibt cs
keine Heimlichkeiten, das werden Sie gleich
sehen, kommen Sie nur herein!"
Sie kamen herein.
„Paßt mal auf, Buben, hat da einer von
euch einem Mädchen ein Deilchenstränßchen
gegeben?"
Ich rumpelte auf: „Ich, ich!!" schrie ich
triumphierend.
„Na also, sehen Sie —"
Die alte Ziege war beschämt und ging.
Nach der Schule begleitete ich meinen
Lehrer. Als wir unö trennten, hielt er meine
Hand etwas länger fest —- „Gefällt sie dir?
Hast du sic gern?"
.Ja!"
Es klang sehr stolz, dieses Ja, aber daß ich
(Fortsetzung S. 1043)
10.39
Von Hans Reiser
Nicht alle Lehrer sind gleich. Da habe ich
einen gehabt, der war ein großartiger
Kerl. Daß er mich jeden Dag mindestens
einmal verhauen hat, war ich gewöhnt; ich
verbiß daS Lachen dabei, solang eS ging, und
war schon so ein Lümmel und entsetzlicher
Lauökcrl, daß es wohl notwendig gewesen sein
wird, mich zu versohlen. Aber ich Hab mich
auch gerächt. Beim Schneeballengefecht, bei
„Erstürmung der Burg Wetterstein", habe ich
ihm wie aus Versehen einen nassen, ganz
harten Schneeball mit aller Wucht mitten aus
die Nase gepfessert, der Zwicker war hin, die
Nase vierzehn Tage lang geschwollen wie eine
Blutwurst. Es hat mich mächtig gefreut und
ich habe natürlich so getan, als täte cs mir
sehr leid, daß ich ihn zufällig so ungeschickt
getroffen habe. Aber mein Kamerad ivar er
trotzdem, und wie er sich bei einer kleinen
Liebesgeschichte von mir benommen hat, daS
vergesse ich ihm nicht. Es hat mir damals
schon unendlich wohlgetan, aber viel später
erst habe ich ihn ganz verstanden —.
Da war also die Gustl, in die ich mich ver-
liebt hatte, Sie war, nach meinen Begriffen,
die Schönste von allen. Später habe ich sie
einmal wiedcrgesehen, sie war vielleicht schon
sechzehn oder siebzehn, und ich war recht ent-
täuscht. Aber damals als Schuljunge erschien
sie mir unsäglich schön, überirdisch und engel-
haft. Beim Schlittschuhlaufen blieb ich vor ihr
stehen. Ich wollte sie einmal ganz nah und
lang anschaucn.
„Was schaugff denn?" meinte sie.
„Wells d' mir g'sallst!"
Wochenlang dachte ich nichts anderes mehr
als an dieses unser (etwas kurzes) Zwie-
gespräch. Es war etwas geschehen, ich hatte
ihr gestanden, daß ich sie liebe, und jetzt wußte
sie es also! Kein Dag, an dem ich nicht vor
der Schule wartete, bis sie vorbeiging, mor-
gens, mittags, nachmittags und abends.
Es wurde Soinmer. Irgendwer hatte mir
zehn Pfennige geschenkt. Ich kaufte ein kleines
Bukett Veilchen und als sie daherkam, gab ich
eg ihr. Wieder eine Dat, auf die ich mir aller-
hand einbildete. Ich war gespannt, was jetzt
kommen werde! Jetzt mußte sich doch irgend
etwas ereignen!
Es ereignete sich vorläusig nur, daß auf
einmal die Dür zum Klassenzimmer ausffog,
als würde Old Shatterhand mit einer Schar
todesmutiger Angreifer eine Bresche in den
Pallissadenwall einer Jndianerfestung hauen
— eine ältliche Lehrerin ffürzte aufgeregt, mit
blutunterlaufenen Augen, herein, wir meinten,
es ist Feuer ausgebrochen.
„Denken Sie sich, Herr Kollege," schnaufte
sie wie ein Pferd, „was passiert ist."
Der Lehrer führte sie gleich sachte aus dem
Zimmer, leider, wir hätten zu gern gewußt,
was da los war. Er hat es mir hernach
erzählt: sie fand es unerhört, unglaublich,
empörend, daß ein Junge einem Mädchen
ihrer Klaffe ein Veilchensträußchen geschenkt
habe.
„Ich verstehe Sie nicht," sagte er, „das ist
doch sehr nett von dem Burschen! Meine
Buben sind ehrliche Kerls, bei denen gibt cs
keine Heimlichkeiten, das werden Sie gleich
sehen, kommen Sie nur herein!"
Sie kamen herein.
„Paßt mal auf, Buben, hat da einer von
euch einem Mädchen ein Deilchenstränßchen
gegeben?"
Ich rumpelte auf: „Ich, ich!!" schrie ich
triumphierend.
„Na also, sehen Sie —"
Die alte Ziege war beschämt und ging.
Nach der Schule begleitete ich meinen
Lehrer. Als wir unö trennten, hielt er meine
Hand etwas länger fest —- „Gefällt sie dir?
Hast du sic gern?"
.Ja!"
Es klang sehr stolz, dieses Ja, aber daß ich
(Fortsetzung S. 1043)
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