sagte er traurig,
„Kälte und Hunger, das
ist nicht das Acrgste, da
Hilst schon irgend jemand.
Aber eS gibt noch andere
Arten von Unglück.
Schau mich an, — ich
bin häßlich —"
„Häßlich?" sagte das
Mädchen unschuldig,,,das
sind wir alle, Herr!"
„Ja, das sagst du,
aber es ist nicht so. Ich
bin häßlich, würdest du
mich küssen mögen? —
Nein, sage nichts, dn ver-
stehst das nicht. Siehst
du, cs kann nicht allen
Menschen gut gehen, das
stimmt, man plagt sich
und leidet sein Teil, ist S
nun viel oder wenig. Aber
warum muß ich häßlich
sein? Warum muß ich
ausschen wie ein Naub-
mörder? Es ist nicht
schön, wenn ich eS sage:
Ich bin ein guter Kerl.
Ich bin vielleicht wirklich
kein schlechter Mensch,
nein. Wer hat mich so
gezeichnet? Wer lügt da
auS meinem Gesicht?
Niemand liebt mich, sie
ivollen nicht einmal, daß
ich gut zu ihnen bin ..."
Josef merkte plötzlich,
daß daS Mädchen ein-
gcschlafen war. „Nun,
freilich," dachte er bitter,
„es ist ja langweilig,
mein Gejammer." Er
rückte sich zurecht, um eS
ihr bequemer zu machen
und schwieg. Sie atmete
sanft, die laue Wärme
ihres Leibes strömte auf ihn über. Wie wird das nun sein, dachte
er, fast ein wenig ärgerlich, — da schläft sie, mit meinen Pelzstiefeln!
Es blieb wohl nichts übrig, als sie zu wecken. Er regte den Arm,
sie lächelte im Schlaf. Josef zog das Tuch fester um ihre Schultern
und dabei streifte seine Hand an etwas Kaltes, das auf der Bank lag.
Es waren die alten Schuhe, zusammengeschrumpft und steifgefroren.
Nein, da war wohl
nichts zu ändern, mochte
in Gottes Namen alles
seinen Lauf nehmen. Es
war vielleicht am besten,
wenn er einfach wcg-
ging, ehe sie aufwachte.
Er löste sich vorsichtig
von ihr und lehnte ihren
Kopf an den Baum ne-
ben der Bank. Sic seufzte
nur ein wenig und er-
wachte nicht. — Josef
nahm die Schachtel und
ging ruhig fort. Sein
Kopf war seltsam leer
und nüchtern. Im Vor-
beigehen steckte er den
Karton durch ein Keller-
gitter.
Ein Wachmann kam
ihm entgegen. „Nein,"
dachte Josef und bog in
eine Seitengasse. Da
schlug die Uhr auf der
Marienkirche. Acht!
Josef besann sich einen
Augenblick, dann kehrte
er um und lief dem Wach-
mann nach, der langsam
durch die leere Straße
schleuderte.
„Verzeihen Sie," sagte
Josef atemlos zu ihm,
„ich glaube. Sie werden
mich verhaften müssen!"
Der Wachmann aber
musterte ihn verblüfft.
„Was denn — —"
„Ja, die Sache ist so:
Ich habe etwas gestoh-
len."
„Wissen Sie," sagte
der Wachmann ärger-
lich, „Sie sind einfach
besoffen. Gehen Sic
nach Hause, rate ich Ihnen!"
„Nein, glauben Sic mir, ich habe etwas gestohlen! Ein Paar Pelz-
sticfcl, Herr Wachmann!"
„Kommen Sie mit!"
„Es ist nämlich heiliger Abend", sagte Josef sinnlos und lächelte ...
Karl Blochercr
DAS PASSENDE GESCHENK
Von Walter Foitzick
Dollkomnien unbeschäftigt und mit beiden Händen in den Mantel-
taschen promenierte Hamilkar Meier in den Geschäftsstraßen der
großen Stadt. Es war drei Tage vor Weihnachten und es herrschte
infolgedessen das richtige Weihnachtswetter, wie es immer um diese
Jahreszeit ist, wie es aber noch nicht zur Kenntnis der Ansichtspost-
kartenmaler gelangt ist, das heißt, es regnete nur ganz sachte, was
aber genügte, um mit Hilfe der reichlichen Schneereste einen schönen,
gleichmäßigen, glänzenden Breiüberzug auf die Straße zu zaubern.
1061
„Kälte und Hunger, das
ist nicht das Acrgste, da
Hilst schon irgend jemand.
Aber eS gibt noch andere
Arten von Unglück.
Schau mich an, — ich
bin häßlich —"
„Häßlich?" sagte das
Mädchen unschuldig,,,das
sind wir alle, Herr!"
„Ja, das sagst du,
aber es ist nicht so. Ich
bin häßlich, würdest du
mich küssen mögen? —
Nein, sage nichts, dn ver-
stehst das nicht. Siehst
du, cs kann nicht allen
Menschen gut gehen, das
stimmt, man plagt sich
und leidet sein Teil, ist S
nun viel oder wenig. Aber
warum muß ich häßlich
sein? Warum muß ich
ausschen wie ein Naub-
mörder? Es ist nicht
schön, wenn ich eS sage:
Ich bin ein guter Kerl.
Ich bin vielleicht wirklich
kein schlechter Mensch,
nein. Wer hat mich so
gezeichnet? Wer lügt da
auS meinem Gesicht?
Niemand liebt mich, sie
ivollen nicht einmal, daß
ich gut zu ihnen bin ..."
Josef merkte plötzlich,
daß daS Mädchen ein-
gcschlafen war. „Nun,
freilich," dachte er bitter,
„es ist ja langweilig,
mein Gejammer." Er
rückte sich zurecht, um eS
ihr bequemer zu machen
und schwieg. Sie atmete
sanft, die laue Wärme
ihres Leibes strömte auf ihn über. Wie wird das nun sein, dachte
er, fast ein wenig ärgerlich, — da schläft sie, mit meinen Pelzstiefeln!
Es blieb wohl nichts übrig, als sie zu wecken. Er regte den Arm,
sie lächelte im Schlaf. Josef zog das Tuch fester um ihre Schultern
und dabei streifte seine Hand an etwas Kaltes, das auf der Bank lag.
Es waren die alten Schuhe, zusammengeschrumpft und steifgefroren.
Nein, da war wohl
nichts zu ändern, mochte
in Gottes Namen alles
seinen Lauf nehmen. Es
war vielleicht am besten,
wenn er einfach wcg-
ging, ehe sie aufwachte.
Er löste sich vorsichtig
von ihr und lehnte ihren
Kopf an den Baum ne-
ben der Bank. Sic seufzte
nur ein wenig und er-
wachte nicht. — Josef
nahm die Schachtel und
ging ruhig fort. Sein
Kopf war seltsam leer
und nüchtern. Im Vor-
beigehen steckte er den
Karton durch ein Keller-
gitter.
Ein Wachmann kam
ihm entgegen. „Nein,"
dachte Josef und bog in
eine Seitengasse. Da
schlug die Uhr auf der
Marienkirche. Acht!
Josef besann sich einen
Augenblick, dann kehrte
er um und lief dem Wach-
mann nach, der langsam
durch die leere Straße
schleuderte.
„Verzeihen Sie," sagte
Josef atemlos zu ihm,
„ich glaube. Sie werden
mich verhaften müssen!"
Der Wachmann aber
musterte ihn verblüfft.
„Was denn — —"
„Ja, die Sache ist so:
Ich habe etwas gestoh-
len."
„Wissen Sie," sagte
der Wachmann ärger-
lich, „Sie sind einfach
besoffen. Gehen Sic
nach Hause, rate ich Ihnen!"
„Nein, glauben Sic mir, ich habe etwas gestohlen! Ein Paar Pelz-
sticfcl, Herr Wachmann!"
„Kommen Sie mit!"
„Es ist nämlich heiliger Abend", sagte Josef sinnlos und lächelte ...
Karl Blochercr
DAS PASSENDE GESCHENK
Von Walter Foitzick
Dollkomnien unbeschäftigt und mit beiden Händen in den Mantel-
taschen promenierte Hamilkar Meier in den Geschäftsstraßen der
großen Stadt. Es war drei Tage vor Weihnachten und es herrschte
infolgedessen das richtige Weihnachtswetter, wie es immer um diese
Jahreszeit ist, wie es aber noch nicht zur Kenntnis der Ansichtspost-
kartenmaler gelangt ist, das heißt, es regnete nur ganz sachte, was
aber genügte, um mit Hilfe der reichlichen Schneereste einen schönen,
gleichmäßigen, glänzenden Breiüberzug auf die Straße zu zaubern.
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