VON DER TURMUHR
DIE ZU SYLVESTER NICHT
12 SCHLAGEN WOLLTE
Groteske von H. 2L ThieS
Wenn der Winter kam, wurde die Turmuhr
nervös. Nicht als ob ihr Schnee und Kälte etwas
getan hätten; aber \ie war eine intellektuelle Turm-
uhr und hie wurde unruhig von dem dunklen Vor-
gefühl, daß jetzt bald 'diese sonderbare Nacht
kommen würde, wo zu ihren zwölf Glocken-
schlägen die Leute in ein unbegreifliches Schreien
tind jubeln auözubrechen pflegten. Es würde ihr
nicht unsympathisch gewesen sein, wenn man in
jeder Nacht und an jedem Tag diese Kraftlcislung
des Zwölfuhr-SchlageS mit lautem Heil begrüßt
hätte; aber dies unsinnigerweise ein einziges Mal
im ^alirc zu tun, das schien ihr absurd, um nicht
zu sagen dämlich. Schließlich gewöhnte einen doch
der Weltlauf daran, vornehni seine Pflicht zu tun
und aus Dank nicht zu rechnen. Was sollten Fest-
lichkeiten! — sie änderten an dem alten Hott und
Trott doch nichts. Narren, die sich darüber Illu-
sionen hingeben! „Des Dienstes ewig gleichgestellte
Uhr", die hielt sie mit Schiller und Moltke für
den einzigen Barbestand in dieser Welt des faulen
Zaubers — nein, sie verzichtete auf Ovationen!
Aber eines Nachts wurde ihr deutlich, daß man
abermals Vorbereitungen zu dieser unliebsamen
Feier traf. Sie zog sich mürrisch ihre Schneekappe
über und dachte: Feiert nur! ich werde tun, als
ob mich das alles nichts anginge!
Lind je lustiger die Leute wurden, die auö Türen
und Fenstern nach ihr schauten, ein um so ab-
lehnenderes und gelangweiltereö Gesicht machte
die Turmuhr. Nein, sic wollte sich nicht darum
kümmern.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Wie wäre es,
wenn sie überhaupt nicht zwölf schlüge? Ha, sich
einmal eine bequeme Nacht machen und noch dazu
diese Narren ärgern! Sie sollten sehen, was es
hieß, eine intellektuelle Turmuhr in ihren törichten
Rummel hineinziehcn zu wollen.
Kaum hatte sie diesen Entschluß gefaßt, als sie
ganz fröhlich wurde und sich voll Selbstgefühl
den Heidenspaß ausmalte, wie eö wirken würde,
wenn sie sich ganz anders als die andern, ja, in
bewußtem Gegensatz zu ihnen aufführen würde.
Lind wie die Freude redselig macht, so ging eö
auch ihr. Sie zog sich ihre Schneekappc ein wenig
über den Augen weg und blinzelte zum Mond
hinauf, der gerade durch die Wolken trat: „Ah,
schall, guten Abend, Herr Kollege, sind Sie auch
da?" sagte sie, „Sie wollen wohl auch diesen
Schwindel mitmachen? Na, wissen Sie, was mich
betrifft, so bin ich alt und vernünftig genug ge-
worden, um das ewige Einerlei des Daseins in
reifer Weisheit anzuerkennen und mich in Gottes
Namen darein zu fügen. Eigentlich sollten S i e
in Ihrem Alter und Ihrer Stellung ja längst zu
ähnlichen Ansichten gekommen sein — aber wie
es schon ist: nur die wenigen Intellektuellen wider-
stehen der Massensuggestion!"
Unter ihr hatten sich bereits einige Herren ver-
sammelt, die ihre Taschenuhren gezogen hatten
und laut zu ihr hinausriefen: „Aber eö ist doch
schon eine halbe Minute nach zwölf! Was ist
denn mit der da oben IvS?"
Ja, redet nur, dachte die Turmuhr, auf mich
könnt ihr lange warten!
Da hörte sic, »vic der Mond ihr antwortete:
„Ja, wissen Sie, eigentlich sind Sie mir ja viel
zu inferior, als daß ich mich gegen Ihre abge-
schmackten und beleidigenden Ansichten verteidigen
sollte. Nur eines will ich Ihnen andeuten: eö
geht hier um höhere Dinge, als Sie ahnen können.
Diese Feier der Menschen stndet uns, der Sonne
und niir, zu Ehren statt, die wir heute gerade eine
Art von Geburtstag feiern. Sie, Sie geht das
nichts, aber auch gar nichts an!"
„W a s? M i ch nichts an?" rief empört
die Turmuhr, „na, da soll aber doch gleich-!"
Und eins, zwei, drei-bis zwölf warf sie
ihre Glockenschläge in die Menge, und zwar mit
dem ganzen Metall und Nachdruck ihrer Stimme.
Und so hatte auch die intellektuelle Turmuhr
Sylvester mitgefeiert.
BRÜDERLICH
„Hnns, kannst du mir deinr Feder leihen?"
„Freilich."
„Hast du einen Bogen Papier?"
„Glaube schon."
„Kommst du au der Post vorbei, wenn du ausgehst?"
„O mei!"
„Warte doch einen Augenblick, bis ich fertig bin, ja?"
„Also gut."
„Hast du eine Marke?"
„Da."
„Danke. Und nun sag mir noch wie die Adresse deiner
Freundin ist?"
Jannings, der moderne Mephistodarsteller hat „Schönberger Cabinet" <D_e^r deutsche Sekt —Mainz)
als den einzig wahren Zauhertrank, der Jugendlust und Lebensfreude bringt, erkannt.
Hei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen
1063
1926/JUGEND Nr. 52
DIE ZU SYLVESTER NICHT
12 SCHLAGEN WOLLTE
Groteske von H. 2L ThieS
Wenn der Winter kam, wurde die Turmuhr
nervös. Nicht als ob ihr Schnee und Kälte etwas
getan hätten; aber \ie war eine intellektuelle Turm-
uhr und hie wurde unruhig von dem dunklen Vor-
gefühl, daß jetzt bald 'diese sonderbare Nacht
kommen würde, wo zu ihren zwölf Glocken-
schlägen die Leute in ein unbegreifliches Schreien
tind jubeln auözubrechen pflegten. Es würde ihr
nicht unsympathisch gewesen sein, wenn man in
jeder Nacht und an jedem Tag diese Kraftlcislung
des Zwölfuhr-SchlageS mit lautem Heil begrüßt
hätte; aber dies unsinnigerweise ein einziges Mal
im ^alirc zu tun, das schien ihr absurd, um nicht
zu sagen dämlich. Schließlich gewöhnte einen doch
der Weltlauf daran, vornehni seine Pflicht zu tun
und aus Dank nicht zu rechnen. Was sollten Fest-
lichkeiten! — sie änderten an dem alten Hott und
Trott doch nichts. Narren, die sich darüber Illu-
sionen hingeben! „Des Dienstes ewig gleichgestellte
Uhr", die hielt sie mit Schiller und Moltke für
den einzigen Barbestand in dieser Welt des faulen
Zaubers — nein, sie verzichtete auf Ovationen!
Aber eines Nachts wurde ihr deutlich, daß man
abermals Vorbereitungen zu dieser unliebsamen
Feier traf. Sie zog sich mürrisch ihre Schneekappe
über und dachte: Feiert nur! ich werde tun, als
ob mich das alles nichts anginge!
Lind je lustiger die Leute wurden, die auö Türen
und Fenstern nach ihr schauten, ein um so ab-
lehnenderes und gelangweiltereö Gesicht machte
die Turmuhr. Nein, sic wollte sich nicht darum
kümmern.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Wie wäre es,
wenn sie überhaupt nicht zwölf schlüge? Ha, sich
einmal eine bequeme Nacht machen und noch dazu
diese Narren ärgern! Sie sollten sehen, was es
hieß, eine intellektuelle Turmuhr in ihren törichten
Rummel hineinziehcn zu wollen.
Kaum hatte sie diesen Entschluß gefaßt, als sie
ganz fröhlich wurde und sich voll Selbstgefühl
den Heidenspaß ausmalte, wie eö wirken würde,
wenn sie sich ganz anders als die andern, ja, in
bewußtem Gegensatz zu ihnen aufführen würde.
Lind wie die Freude redselig macht, so ging eö
auch ihr. Sie zog sich ihre Schneekappc ein wenig
über den Augen weg und blinzelte zum Mond
hinauf, der gerade durch die Wolken trat: „Ah,
schall, guten Abend, Herr Kollege, sind Sie auch
da?" sagte sie, „Sie wollen wohl auch diesen
Schwindel mitmachen? Na, wissen Sie, was mich
betrifft, so bin ich alt und vernünftig genug ge-
worden, um das ewige Einerlei des Daseins in
reifer Weisheit anzuerkennen und mich in Gottes
Namen darein zu fügen. Eigentlich sollten S i e
in Ihrem Alter und Ihrer Stellung ja längst zu
ähnlichen Ansichten gekommen sein — aber wie
es schon ist: nur die wenigen Intellektuellen wider-
stehen der Massensuggestion!"
Unter ihr hatten sich bereits einige Herren ver-
sammelt, die ihre Taschenuhren gezogen hatten
und laut zu ihr hinausriefen: „Aber eö ist doch
schon eine halbe Minute nach zwölf! Was ist
denn mit der da oben IvS?"
Ja, redet nur, dachte die Turmuhr, auf mich
könnt ihr lange warten!
Da hörte sic, »vic der Mond ihr antwortete:
„Ja, wissen Sie, eigentlich sind Sie mir ja viel
zu inferior, als daß ich mich gegen Ihre abge-
schmackten und beleidigenden Ansichten verteidigen
sollte. Nur eines will ich Ihnen andeuten: eö
geht hier um höhere Dinge, als Sie ahnen können.
Diese Feier der Menschen stndet uns, der Sonne
und niir, zu Ehren statt, die wir heute gerade eine
Art von Geburtstag feiern. Sie, Sie geht das
nichts, aber auch gar nichts an!"
„W a s? M i ch nichts an?" rief empört
die Turmuhr, „na, da soll aber doch gleich-!"
Und eins, zwei, drei-bis zwölf warf sie
ihre Glockenschläge in die Menge, und zwar mit
dem ganzen Metall und Nachdruck ihrer Stimme.
Und so hatte auch die intellektuelle Turmuhr
Sylvester mitgefeiert.
BRÜDERLICH
„Hnns, kannst du mir deinr Feder leihen?"
„Freilich."
„Hast du einen Bogen Papier?"
„Glaube schon."
„Kommst du au der Post vorbei, wenn du ausgehst?"
„O mei!"
„Warte doch einen Augenblick, bis ich fertig bin, ja?"
„Also gut."
„Hast du eine Marke?"
„Da."
„Danke. Und nun sag mir noch wie die Adresse deiner
Freundin ist?"
Jannings, der moderne Mephistodarsteller hat „Schönberger Cabinet" <D_e^r deutsche Sekt —Mainz)
als den einzig wahren Zauhertrank, der Jugendlust und Lebensfreude bringt, erkannt.
Hei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen
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1926/JUGEND Nr. 52