Die Filmschc> uspiclerin Lil Dagoocr .t^ans R
ziehen sich scheu in den Dunst zurück. Der Fluß breitet sich frei,
kaum merklich mehr begrenzt von sanft aufsteigenden weißen Wiesen.
Hier und da bricht aus ihnen ein schwarzer Acker hervor, dessen
warmes Leben — Verwesung des gestrigen Lebens iß Wärme des
heutige» — den Schnee schmelzen läßt und verschluckt.
„Ewig —" murmelt der Läufer und läßt die eisige Luft wie
einen Trunk durch die Kehle fließen und murmelt wieder: „gleiten
— gleiten — —"
Er wendet den Kopf zurück zur schwindenden Stadt:
„Da sitzen sie nun um die Tische: der Mann und die Frau, Eltern
und Kinder, junge Leute mit Mädchen, Freunde mit Freunden —
und selbst die Dirnen suchen sich heute einen, der Bleiben Vortäuschen
kann und etwas wie Liebe —. Sie trinken Wein und essen Gebäck,
und wollen das Alte abtun und das Neue beginnen —: und lügen
wie immer, nur ein klein wenig mehr und ein klein wenig schöner
als alle Tage! In der Mitte der Stadt fleht auf hohem Sockel der
eherne Löwe — wäre er doch das Sinnbild der Stadt und ihrer
Bewohner: mit offenem Ncaul und scharfen beutegierigen Zähnen,
die Lenden zitternd vor Kraft und die Schenkel straff und zum
Sprung bereit! Der ist ehrlich in seinem eisernen Schweigen — und
die warmherzig Redenden lügen. Kaum weiß ich noch, daß ich war
wie sie und unter ihnen lebte und mit ihnen log. Daß ich meinen
Eltern Ehrfurcht heuchelte, als ich mich schon klüger und stärker
fühlte als sie und sie zu lieben glaubte, als ich sie schon haßte, weil
sic mich hemmten. Daß ich die Vielen Freunde nannte, wenn eine
Flasche zwischen uns auf dem Tisch stand. Daß ich von Sehnsucht
und ewigem Suchen plärrte, wenn ich abends durch die Straßen
irrte und den Frauen in die Augen sah und aus die Füße-—
bis zu dem Tag an den „warmen Quellen" — —
Armes Mädchen, du nahmst meine blanken Lügen so
gläubig als schönste Wahrheit! Und doch belogst du dich
selbst — du Reine, du Gute —- weil du Liebe ersehntest
— du Arme, du Schwache! Sagtest du nicht, du wolltest
dich stets dieser einen Stunde freuen — auch wenn sie
Ende wäre, wie ich argwöhnte, und nicht Anfang, wie du
hosttest. — Und ich freute mich deiner Lüge, die ich so
gern glauben wollte.
Weit bin ich gegangen seit diesem Tage, an dem ich
sehend geworden zu sein wähnte! Liebe, Schönheit, Glauben,
Begeisterung, Leidenschaft und alles warme Gefühl empfand
ich als Lüge — Haß, Häßlichkeit, Zweifel, Spott, Narren-
tum und allen kalten Verstand empfand ich als Wahrheit.
Ich wurde arm und kalt, häßlich und leblos — um ehrlich
zu sein. Dis ich zu zweifeln begann, ob nicht die „Ehrlichen"
ebenso weit von der Wahrheit entfernt sind wie die
„Lügenden": nur, daß die einen zu ihrer Lust lügen und
die anderen zu ihrer Unlust. Ich war um die Lüge herum-
gelaufen und stand wieder vor ihr: und fand sie — schön.
Es gilt eine Rechnung abzuschließen und ein Stück des
Lebens — oder das ganze. Darum trieb es mich plötzlich
hierher und hinaus zu dem Platz an den „warmen Quellen"
— dort, wo ich blind und glücklich war als du-ölch^meinem
Begehren gabst, du Reine, du Gute, — dort, wo ich sehend
und unglücklich wurde, als man dich aus dem Wasser zog,
du Arme, du Schwache-"
Der Läufer gleitet nur noch langsam dahin. Fern wächst
eine Gruppe von Weiden auf. Der Mond ist ganz von
Wolken verhüllt und die Luft schmeckt nach Schnee.
„Es war ein närrischer Einfall! Wider Willen muß ich
lächeln über dag rührselige Erlebnis, das ich mir zugedacht
habe! Din ich nicht „ehrlich" geworden? Und doch hat
mir diese Nacht ein Neues gebracht: die Freude am Gleiten
über erstorbenes Leben hin — Gleiten auf der dünnen,
eben nur tragenden Decke eisigen Lächelns über den schlucken-
den Tod — Gleiten durch eigene Kraft, vorbei an den
schönen llfern, die nicht mehr locken sie zu betreten. — Wie
arm sind die Lügenden, wie arm sind die Ehrlichen: gleite
hindurch zwischen ihnen! Wie arm sind die Blinden, wie
arm sind die Sehenden: gleite hindurch zwischen ihnen!
Wie arm sind die Lebenden, wie arm sind die Toten: gleite
hindurch zwischen ihnen —! Wohin? Ohne Ziel — zum Neuen und
Ewig-Alten — zum Ende ohne traumhaftes Märchen von lohnender
Ewigkeit. Spüre den Tod unter der tragenden Decke, damit du dein
Leben spürst — Gleitender! Gleiten: ruhende Bewegung, wachendes
Träunien, schmerzliche Freude, wahre Lüge — Tanz zwischen Leben
und Tod und letzte Erlösung!"
Rauschend ergießt sich aus der Ferne die schwere Flutwelle der
Glocken. Schüsse, Lärmen und Schreien! Der einsame Läufer lächelt:
„Wie fern bin ich alledem — heute und morgen und alle Tage!
Wie fern bin ich dem Getöse des Tat-vortänschenden Lebens! Läutet,
Glocken, ich gleite lächelnd in eurem Takt — um euch zu engleiten.
Da —: das Weidengebüsch, die Hütte am User — das war mein
Ziel. Ich wollte die Stelle sehen, wo einst mein Leben versank —
nun will ich cö nicht mehr, Ich gleite vorüber — über dich hinlveg,
du Tote, die du längst nichts mehr bist als sanfte, traumverzierte
Erinnerung — mich trägt die Decke deg eisigen Lächelns — ich gleite —*
Er legt den Kopf ganz tief in den Nacken und saust klingend dahin
mit weitausholendem Schwung. Das Weidengestrüpp wächst — steigt
hoch auf — schwarz ausgreifend wie mit Armen. — Plötzlich ist
Rauschen um ihn — und dann das Schwarze — Kalte — Strömende:
Angst, oh du Herz? Vor dem Gleiten und Strömen zum Ende —?
Ein spitzer Schrei versinkt in der glockcnfrohen Nacht. Viele Rufe tönen
aus der Ferne zurück mit Schüssen vermischt — fern aus der anderen
Welt. —
„— — Wartest du, Mädchen? Und hast auf mich gewartet all
die Zeit? Ja, ich vergaß die Liebe —! Und dennoch fühlte ich dein
Sehnen nach mir in der Wüste der großen Stadt. Darum fuhr ich
zu dir am letzten Tage des Jahres. Hast du die Schlittschuhe in das
Schaufenster des großen Ladens gelegt, daß ich sie sehen mußte, als
ü
ziehen sich scheu in den Dunst zurück. Der Fluß breitet sich frei,
kaum merklich mehr begrenzt von sanft aufsteigenden weißen Wiesen.
Hier und da bricht aus ihnen ein schwarzer Acker hervor, dessen
warmes Leben — Verwesung des gestrigen Lebens iß Wärme des
heutige» — den Schnee schmelzen läßt und verschluckt.
„Ewig —" murmelt der Läufer und läßt die eisige Luft wie
einen Trunk durch die Kehle fließen und murmelt wieder: „gleiten
— gleiten — —"
Er wendet den Kopf zurück zur schwindenden Stadt:
„Da sitzen sie nun um die Tische: der Mann und die Frau, Eltern
und Kinder, junge Leute mit Mädchen, Freunde mit Freunden —
und selbst die Dirnen suchen sich heute einen, der Bleiben Vortäuschen
kann und etwas wie Liebe —. Sie trinken Wein und essen Gebäck,
und wollen das Alte abtun und das Neue beginnen —: und lügen
wie immer, nur ein klein wenig mehr und ein klein wenig schöner
als alle Tage! In der Mitte der Stadt fleht auf hohem Sockel der
eherne Löwe — wäre er doch das Sinnbild der Stadt und ihrer
Bewohner: mit offenem Ncaul und scharfen beutegierigen Zähnen,
die Lenden zitternd vor Kraft und die Schenkel straff und zum
Sprung bereit! Der ist ehrlich in seinem eisernen Schweigen — und
die warmherzig Redenden lügen. Kaum weiß ich noch, daß ich war
wie sie und unter ihnen lebte und mit ihnen log. Daß ich meinen
Eltern Ehrfurcht heuchelte, als ich mich schon klüger und stärker
fühlte als sie und sie zu lieben glaubte, als ich sie schon haßte, weil
sic mich hemmten. Daß ich die Vielen Freunde nannte, wenn eine
Flasche zwischen uns auf dem Tisch stand. Daß ich von Sehnsucht
und ewigem Suchen plärrte, wenn ich abends durch die Straßen
irrte und den Frauen in die Augen sah und aus die Füße-—
bis zu dem Tag an den „warmen Quellen" — —
Armes Mädchen, du nahmst meine blanken Lügen so
gläubig als schönste Wahrheit! Und doch belogst du dich
selbst — du Reine, du Gute —- weil du Liebe ersehntest
— du Arme, du Schwache! Sagtest du nicht, du wolltest
dich stets dieser einen Stunde freuen — auch wenn sie
Ende wäre, wie ich argwöhnte, und nicht Anfang, wie du
hosttest. — Und ich freute mich deiner Lüge, die ich so
gern glauben wollte.
Weit bin ich gegangen seit diesem Tage, an dem ich
sehend geworden zu sein wähnte! Liebe, Schönheit, Glauben,
Begeisterung, Leidenschaft und alles warme Gefühl empfand
ich als Lüge — Haß, Häßlichkeit, Zweifel, Spott, Narren-
tum und allen kalten Verstand empfand ich als Wahrheit.
Ich wurde arm und kalt, häßlich und leblos — um ehrlich
zu sein. Dis ich zu zweifeln begann, ob nicht die „Ehrlichen"
ebenso weit von der Wahrheit entfernt sind wie die
„Lügenden": nur, daß die einen zu ihrer Lust lügen und
die anderen zu ihrer Unlust. Ich war um die Lüge herum-
gelaufen und stand wieder vor ihr: und fand sie — schön.
Es gilt eine Rechnung abzuschließen und ein Stück des
Lebens — oder das ganze. Darum trieb es mich plötzlich
hierher und hinaus zu dem Platz an den „warmen Quellen"
— dort, wo ich blind und glücklich war als du-ölch^meinem
Begehren gabst, du Reine, du Gute, — dort, wo ich sehend
und unglücklich wurde, als man dich aus dem Wasser zog,
du Arme, du Schwache-"
Der Läufer gleitet nur noch langsam dahin. Fern wächst
eine Gruppe von Weiden auf. Der Mond ist ganz von
Wolken verhüllt und die Luft schmeckt nach Schnee.
„Es war ein närrischer Einfall! Wider Willen muß ich
lächeln über dag rührselige Erlebnis, das ich mir zugedacht
habe! Din ich nicht „ehrlich" geworden? Und doch hat
mir diese Nacht ein Neues gebracht: die Freude am Gleiten
über erstorbenes Leben hin — Gleiten auf der dünnen,
eben nur tragenden Decke eisigen Lächelns über den schlucken-
den Tod — Gleiten durch eigene Kraft, vorbei an den
schönen llfern, die nicht mehr locken sie zu betreten. — Wie
arm sind die Lügenden, wie arm sind die Ehrlichen: gleite
hindurch zwischen ihnen! Wie arm sind die Blinden, wie
arm sind die Sehenden: gleite hindurch zwischen ihnen!
Wie arm sind die Lebenden, wie arm sind die Toten: gleite
hindurch zwischen ihnen —! Wohin? Ohne Ziel — zum Neuen und
Ewig-Alten — zum Ende ohne traumhaftes Märchen von lohnender
Ewigkeit. Spüre den Tod unter der tragenden Decke, damit du dein
Leben spürst — Gleitender! Gleiten: ruhende Bewegung, wachendes
Träunien, schmerzliche Freude, wahre Lüge — Tanz zwischen Leben
und Tod und letzte Erlösung!"
Rauschend ergießt sich aus der Ferne die schwere Flutwelle der
Glocken. Schüsse, Lärmen und Schreien! Der einsame Läufer lächelt:
„Wie fern bin ich alledem — heute und morgen und alle Tage!
Wie fern bin ich dem Getöse des Tat-vortänschenden Lebens! Läutet,
Glocken, ich gleite lächelnd in eurem Takt — um euch zu engleiten.
Da —: das Weidengebüsch, die Hütte am User — das war mein
Ziel. Ich wollte die Stelle sehen, wo einst mein Leben versank —
nun will ich cö nicht mehr, Ich gleite vorüber — über dich hinlveg,
du Tote, die du längst nichts mehr bist als sanfte, traumverzierte
Erinnerung — mich trägt die Decke deg eisigen Lächelns — ich gleite —*
Er legt den Kopf ganz tief in den Nacken und saust klingend dahin
mit weitausholendem Schwung. Das Weidengestrüpp wächst — steigt
hoch auf — schwarz ausgreifend wie mit Armen. — Plötzlich ist
Rauschen um ihn — und dann das Schwarze — Kalte — Strömende:
Angst, oh du Herz? Vor dem Gleiten und Strömen zum Ende —?
Ein spitzer Schrei versinkt in der glockcnfrohen Nacht. Viele Rufe tönen
aus der Ferne zurück mit Schüssen vermischt — fern aus der anderen
Welt. —
„— — Wartest du, Mädchen? Und hast auf mich gewartet all
die Zeit? Ja, ich vergaß die Liebe —! Und dennoch fühlte ich dein
Sehnen nach mir in der Wüste der großen Stadt. Darum fuhr ich
zu dir am letzten Tage des Jahres. Hast du die Schlittschuhe in das
Schaufenster des großen Ladens gelegt, daß ich sie sehen mußte, als
ü