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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0017
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Welt und damit basta. Die Buchstaben sind
von der Höhe eines Kinderbeines, aus
weißem Porzellan gefertigt und mit Stiften
an der Mauer zu befestigen. Vorläufig liegt
noch ein großer Teil von ihnen aufgeschichtet
da, der Arbeiter ist niit den Südfrüchten
noch nicht ganz fertig geivorden, aber die
Umrisse der Buchstaben sind auf dem Rötel-
stein schon vorgezeichnet. So steht die Sache,
da Dr. Wegsam von der anderen Seite her-
überschaut und zittert.

Dieser Dr. Wegsam ist nicht der Mann,
der einen Gaumenkitzel verspürt, wenn ihm
Delikatessen mit weißen Porzellanbuchstaben
angepriescn werden. Er legt wohl im allge-
meinen überhaupt keinen Wert darauf, nur
Philipp-de-Ccmon-Sardincn oder Chmel-
Schinken zu verlangen, »veil ihn die Be-
schästigung mit den Wortwurzeln ganz in
Anspruch nimmt. Jetzt aber steuert er über
die Straße geradewegs auf Rockstroh zu,
eine eilige Kundschaft, die einen eben wahc-
genommenen Bedarf decken will.

Rockstroh stützt beide Hände auf das Der-
kaufspult, dreht die Ellenbogen nach aus-
wärts und verlegt das Körpergewicht nach
vorn wie einer, der sich zu einem Handstand
anschickt. Sein Kopf steht schief und ver-
bindlich. „Womit kann ich dienen?" fragt er.

Dr. Wegsam ist ein wenig verwirrt, das
merkt er jetzt erst, da man von ihn, osten-
sichtlich den Abschluß eines kleinen Geschäftes

erwartet, er aber von ganz anderem sprechen
will. Um Zeit zu gewinnen, wünscht er ein
Achtel Pfund Salami.

Rochslroh, dieser tüchtige Kaufmann, legt
die Salamistange vor sich hin und setzt das
Messer an. WaS glaubt man wohl, in wie-
viel Scheiben er das gewünschte Achtel Pfund
zerteilen will? An besonders guten Tagen ist
es ihm schon gelungen, zweiundzwanzig
Scheiben aus diesem Duantuni herauszu-
bringen, jede ein Hauch, zum Zerstießen auf
der Zunge geeignet. Christian ist ein Meister
im Salamischneiden.

„Sie lassen sich da eine neue Aufschrift
machen," sagte Dr. Wegsani, „jaja, sehr
hübsch, wirklich. Nein, sonst brauche ick
nichts. Aber leider ist sie falsch."

Rockstroh hat in seinem langjährigen
Kaufmannsleben vielerlei Erfahrungen ge-
sammelt, er ist im Verkehr mit Kundsckasten
bewandert und fragt daher: „Wie beliebt,
bitte sehr?"

„Es ist Ihnen, verzeihen Sie, beim Ge-
brauch der substantivischen Pluralendungen
ein kleiner Fehler unterlaufen, ein Deklina-
tionsfehler, um mich richtig auszudrücken . ."

Das einfache, aber reelle Gehirn Rock-
strohs faßte das Wort Deklination auf un-
erklärliche Weise als einen Verdacht gegen
die Richtigkeit seines Wagebalkcng auf, so
als habe er etwa gar bei dem Achtel Pfund
Salami ein falsches Gewicht-

inenden Ereignisse herausbeschworen wurden.
Er schlug die Salamischeiben in Pergament-
papier ein und sagte: „Da es Delikatesten
heißt und Kolonialwaren, so wird eö wohl
auch Südfrüchten heißen."

In dieser Erwiderung türmte sich eine
Mauer auf, ein riesenhafter Widerstand,
und Dr. Wegsam sah wohl ein, daß er hier
mit volkstümlicher Ausdrucksweise erst lang-
sain den Boden bereiten mußte. Er schaute
pfiffig um sich und zwinkerte wie ein Lause-
junge, der eine Gemeinheit zum besten gibt.
„Sie müssen nämlich wissen, daß in der
Flexion der Feminina gcgenivärtig zwei
Hauptarten zu unterscheiden sind, eine starke
und eine gemischte. Nehmen Sie zum Bei-
spiel das Femininum die Nacht. Die Nacht
ist unbedingt stark, sie endet im Plural ohne
n. Die Zunge dagegen ist gemischt, sie nimmt

3cirfni im!) von Fc. Henbiicr

„. . . . denn der Nominativ des Plurals
von Südfrucht heißt nicht Südfrüchten,
sondern Südfrüchte."

Nun hätte ja alles gut sein können, Rock-
stroh war in seiner KausmannSehre nicht
angetastet worden. Er hätte jetzt Gelegenheit
gehabt, seinen reichen kommerziellen Kennt-
nissen solche sprachlicher Natur hinzuzusügen.
Aber die wenn auch mißverständliche Ver-
dächtigung mit dem Wagebalken hatte ihn
so sehr in Bestürzung versetzt, daß er durch
starrköpsige Unnachgiebigkeit seine Recht-
schastenheit noch extra beweisen zu müssen
glaubte. Ja, es ist nicht zu leugnen, daß in
diesem Augenblick ein gewisser Hochmut sich
seiner bemächtigte, durch den allein die kom-

im Plural ein n an. Nur die Feminina mit
gemischter Flexion nehmen im Plural ein n
an, öaS stammt noch aus dem Spätmittel-
hochdeutschen her, aus der Zeit. .

Frau Rockstroh hustete, sie mußte sich ein
Taschentuch Vorhalten und war über und
über rot geworden, denn sie hatte etwas von
einer starken Nacht gehört. Er dagegen,
Christian, triumphierte, nun war er seiner
Sache ganz sicher. „Die Zunge muß nicht
unbedingt gemischt sein," sagte er. „Ich gebe
sie allerdings auf Wunsch auch gemischt ab,
ivenn es jich um einen besseren Ausschnitt
handelt, gewiß, bitte sehr, aber in der Regel
wird sie doch für sich ausgewogen, das Deka
zu acht Pfennig."

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Friedrich (Fritz) Heubner: Zeichnung ohne Titel
 
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