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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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D, dieser Gvtschecr heit seinen eigenen Ge-
dankenkreis, ans dem er sich nicht so leicht
herauslocken läßt; seine Welt hört bei der
Käserinde aus. Dr. Wegsam nimmt ihn
schonend bei der Hand und lächelt gütig, ein
Ncensch, der sich gern in Geduld saßt. Er loill
|irf) noch einfacher ausdrücken, noch volkstüm-
licher, er loill diesen speziellen Fall in aller
Schlichtheit erklären und sagt: „Auch die
Frucht, ist weiblichen Geschlechtes und slcktiert
stark, sie hat daher in der Mehrzahl am
Schluß kein n."

Frau Rockstroh schämt sich so, wenn sie
pikante Witze anhören soll, und niemand kann
wissen, ans was dieser Fremde eigentlich hin-
aus will mit der Feststellung, daß das weib-
liche Geschlecht hinten kein n hat. Sic lächelt
ein wenig, um nicht ganz dumm dazustehcn,
dann aber erinnert sie sich, daß sie Trüsfel-
wnrst vom Eiskasten holen muß und verläßt
das Geschäft.

Draußen ist der Arbeiter von der Leiter
herabgestiegen, um den nächsten Buchstaben
zu holen, eö ist das E von Südfrüchte. Es ist
ein wahres Ungetüm von einem E. weiß und
leuchtend, das wird er also jetzt mit Stiften
an der Mauer befestigen. Dr. Wegsam hat
keine Zeit mehr zu verlieren, er kann nicht in
alle Ewigkeit grammatikalische Erklärungen
abgeben. Deshalb schwingt er sich auf das
Vcrkaufspult und schreit: „Es handelt sich
darum, daß Sie das N nicht verwenden
dürfen, dieses N haben Sic zuviel. Hören
Sie? Ach dulde nicht, daß Sie schreiben
„Südfrüchten", im Namen der germanistischen
Wissenschaft fordere ich Sie auf, diesen
Fehler nicht zu begehen. Haha, was sage ich
von dulden, sagte ich dulden? Ach meine, daß
ich Sie darum bitte, ja geradezu anslche, die
richtige Mehrzahl'zu gebrauchen, weil sonst
ungeheurer Schaden entstehen kann. Schul-
kinder gehen vorüber und werden glauben,
daß dieses N doch richtig sein muß, da eö so
groß und schön dasteht, aus weißem Porzellan.
An allen Köpfen werden Sie eine heillose

Verwirrung anrichten mit Ahrem falschen 9c.
Sie verstehen doch . . ."

Aber Rockstroh verstand leider nichts, viel-
leicht wollte er auch nichts verstehen. „AG
habe das N gekauft," sagte er, „es hat mich
schweres Geld gekostet, nun soll es auch
draußen hängen. Warum mischen Sie sich in
meine Angelegenheiten? Ein Buchstabe mehr
kann nicht schaden, im Gegenteil, man wird
daraus nur ersehen, daß ich eine große Auc-
ivahl in Südfrüchten vorrätig habe, Datteln
zum Beispiel, Orangen, Kokosnüsse, Malaga-
traubcn, bitte sehr, das können Sie alles bei
mir haben."

Da flatterte Dr. Wegsam erregt und ver-
stört auf die Straße, seine Stirn war mit
Schweiß bedeckt. Der Arbeiter kam eben
wieder von seiner Leiter herunter und sagte
gemütlich: „Aetzt kommt noch das N und
dann iü Schluß für heut'."

Dr. Wegsam stand eine Weile starr und
unentschlossen, ihm war, als müßte ec weinen.
Dann bückte er sich, hob das große, milchig
schimmernde N auf und rannte damit die
Straße entlang. Hinter sich hörte er Rufe:
„Aufhalten! Ein Dieb! Aufhalten!" Er
keuchte, seine Rockschöße flogen. Das N hielt
er wie eine Nkonstcanz vor sich hin. Gellende
Stimmen umbrandeten ihn von allen Seiten,
aus den Fenstern wuchsen Trauben von
Menschenköpfen. Krampf drosselte seine Beine
und sein Atem pfiff. Vor dem Schulgebäude
sah ec sich umzingelt.

Ein Polizist brachte ihn zur Wachkstubc.

DER N II

Wenn man gar nie an ihn denkt, dann
kommt er am häufigsten. Steht da, lacht und
freut sich darüber, daß man in der Patsche
sitzt. Das ist der Nu.

Was für ein einschmeichelnd lieber Geselle
ist dagegen der Augenblick.

An schtvülen, heißen Sommernächten, wenn
der Mond durch die Baumkronen silbert, das

Herz einem pocht inid immer höher schlägt,
dann kommt der liebe Augenblick. Schleicht
leise herbei, lächelt verführerisch, verscheucht
alles Hemmende, umgibt dich mit einem
Ncantel des WeltvergesfcnS und in seinem
Schutz küßt du die Lippen des Mädchens, das
sich eng, heiß und bebend an dich drückt.

Aber des Augenblicks Zwillingsbruder ist ein
schielender, hämischer Kerl. Das ist der Nu.

Der haßt, wo sein Bruder liebt. Und tritt
dazwischen, >vo der andere eint.

Er ist eö, der mit der segenbereiten Hand
der Mutter kommt, wenn du iin unbewachten
Augenblick das Haustöchtcrlein umarmtest.

Er ist eS, der dich am Traualtar das jahre-
lange,^«" sprechen läßt. Am Nu verschwindet
der schöne Augenblick, wenn die eifersüchtige
Gattin öazwischenfährt, wo du nur bewundern
wolltest.

Ach hasse den Nu, wie ich den Augenblick
liebe.

Ach fürchte diesen überrumpelnden 92u, wie
ich den weichen, sanften Augenblick liebe.

Denn der Augenblick ist die Liebe, der Nu
ist die Ehe.

Der Augenblick gibt mir den Einfall, bringt
mir den Erfolg. Der 9ut läßt mich meinem
Gläubiger auf der Straße begegnen und mich
beim Aufspringen auf die Straßenbahn ab-
rutschen.

Der Augenblick schenkt mir das Glück. Und
der Nu nimmt mir allen Glauben.

Und darum liebe ich den Augenblick, und
darum baffe ich den neidischen, erbärmlichen
Nu.

Am Augenblick träume ich von meiner
Äugend, von Rosenlippen und Goldhaaren,
von Seligkeit und Frühlingslust und im Nu
erinnert mich meine Frau daran, daß die Anti-
gichttabletten zu Ende Ivären und ich welche
kaufen möge, daß sie ihren Bubikopf färben
wolle, und daß es notwendig sei, noch Aäger-
wäsche zu tragen, da das Wetter unbeständig
wäre und im Nu wechsle.

Hannes Ungcrsbach

Zeichnung von Chatham

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Mensch, Aüstav, du säufst wirklich, daß man dich doppelt sicht!

NEUJAHRS-

KOMPROMISS

Ach hatte da beim heißen Dampf
Des Punsches und der Bowle
Mit meiner Seele einen Kampf
lind mit dem Alkohole.

Die crst're schimpfte mörderisch. —
Ich aber dachte: schrei nur!

Der letzt're warf mich untern Tisch
Nach Mitternacht um ein Uhr.

Und dennoch rief ich: „Heil und Sieg!
Jetzt kämpf' ich forsch, wie Blücher:
Seitdem ich auf dem Boden lieg',
Ast meine Basis sicher!"

Ach griff die beiden schneidig an
An höchster Sclbstcrgrinuuung
Und stellte siegreich meinen Manu
Trotz aller Katcrstimmuug.

Und der, der untern Tisch mich schmiß.
Beschloß mit meiner Seele
Das allerschönste Kompromiß
Zum Frommen meiner Kehle.

Die Seele selbst entwarf den Text,
Und beide unterschrieben.

Ach Hab' mich unter sie geklext. —
Er lautet so, ihr Lieben:

„Hab' Alkohol jedweden Typs
Zu jeder Zeit in petto!

Erscheint derselbe nur als Schwips,

Verzicht' ich auf mein Veto!"

Beda Hafen

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Register
Hannes Ungersbach: Der Nu
Beda Hafen: Neujahrs-Kompromiss
Gösta Harald Chatham: Zeichnung ohne Titel
 
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