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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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Nr. 5
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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0122
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Sekretär — — — seine Amtstätigkeit wird augenblicklich nicht er-
fordert. Und in dieser Sache, Herr Doktor, wohl überhaupt nicht
mehr, wie ich meinen möchte."

Denn eben hatte Hedwig Spoer das Zimmer verlassen, von dem
Herrn Buchhalter Nippold geleitet, der ihr sacht die Tür öffnete und
dann die Treppe hinunter vorlief, eilfertig den Kutscher anzurufcn,
der auch sofort abfahren mußte. Auf den Onkel Lorenz wartete Hedwig
nicht; sie wußte, er würde ihr das nicht übelnehmen und mit seinen
herzlichen Wünschen diese Flucht begleiten, aus der sic, alö der Wagen
das nicht gerade vorzügliche Pflaster ZülkenhagenS verlassen hatte,
nach einem herzhaften Aufatmen und einem resoluten: „Gott sei Dank!"
eine erfrischende Spazierfahrt machte.-

Als nachher Dr. Viktor Stechert in der Villa Spoer vorsprach,
wurde er nur von Onkel Lorenz empfangen, der sich mit dem korrekten,
aber im Grunde gefühllosen Bedauern eines Geschäftsmannes, der eine
Offerte ablehnt, kurz aber erschöpfend äußerte. Fräulein Spoer wäre
nicht zu sprechen, erklärte er; sie hätte in dem Benehmen des Herrn
Dr. Stechert vorhin auf dem Rathause dem durchaus zu bedauernden
Stadtsckretär Woggenfuß gegenüber einen Kontrast gefunden zu der
Meinung, die sie bisher von ihm gehabt hätte, und da das erste
zweifellos echt, müßte die zweite falsch gewesen sein, und die aus solcher
Erkenntnis zu ziehenden Folgerungen brauchten wohl nicht weiter
erörtert zu werden. Dr. Stechert sagte, er wäre tief bekümmert; das
wäre ja alles nur ein Mißverständnis, und er würde schreiben. Der
Brief kam aber nicht, und da nicht anzunehmen ist, daß er verloren
gegangen sei, so ist er wohl gar nicht geschrieben worden, und der
Bürgermeister Dr. Stechert, wenn auch gerade Beamter, zu der Ansicht
gekommen, zwecklose Schreibereien sollte man bleiben lassen.-

Es erschien dann noch ein anderer Besucher, der Fräulein Spoer
dringend zu sprechen wünschte und auch vorgelassen wurde. Dieser
war der Schreiber Keiderling. Zaghaft, ja mit einigen Träyen rückte
er mit einem offenen Geständnis heraus und holte dabei, als wollte er

damit alles wieder gut machen, den wieder aus seinem Versteck hervor-
geangelten Stempel des Standesamts Zülkenhagen aus der Tasche.
Ja, es wäre ein sehr dummer Streich von ihm gewesen, sagte er, von
dem er aber eine solche Folge nicht erwartet hätte, und nun bäte er
tausendmal um Entschuldigung.

Fräulein Hedwig Spoer bedachte zuerst, ein wie großes Vergnügen
es ihr machen würde, jetzt diesem Herrn Keiderling einige, von einem
diskreten Umschlag verhüllte Banknoten in die Hand zu stecken. Aber
dieses Vergnügen durfte sie sich doch nicht machen, und so tadelte sie
Herrn Keiderling nicht ohne Strenge, drückte ihr Gefallen an seiner
aufrichtigen Reue aus und entließ ihn mit dem freundlichen Wunsche,
es möchte ihm auf seinem ferneren, hoffentlich ohne neue Dummheiten
verfolgten Lebenswege recht gut gehen; wenn er aber doch einmal an
eine steile Stelle käme, möchte er sich nur vertrauensvoll an sie wenden.
Den Stempel, den sie mit großem Interesse betrachtet hatte, wollte
sie aber nicht behalten.

Herr Keiderling mußte ihn wieder mitnehmen und steckte ihn in eine
alte Zigarrenkiste, in der Bürgermeister Dr. Stechert Pfeifenreiniger
und ähnliche, mit einem rationellen Betreiben des Tabakkonsums ver-
knüpfte Instrumente verwahrte. Diese Kiste wurde bald darauf mit
den anderen Effekten deö Bürgermeisters aus Zülkenhagen fortbe-
fördert, als er fein Amt niederlegte, sehr plötzlich, aber doch ziemlich
im Einvernehmen mit den Gemeindeoertretern, die später von ihm
sagten, er wäre doch keine besonders geeignete Acquisition für Zülken-
hagen gewesen. Dieses Wort stammte auö einem kleinen Vorrat an
noblen Vokabeln des Krämers Bestvater, der stolz darauf war.

Es ist anzunehmen, daß Dr. Viktor Stechert den Stempel bei
Gelegenheit gefunden hat, und beinahe möchte man auch meinen, daß
er später, nicht gebrochen, sondern nur gebogen und wieder aufgerichtct,
ihn mit entsprechenden Scherzen bei Stammtischlustbarkeiten vorge-
wiesen hat.

Ende






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Variete

Julius Diez

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