Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

DOI Heft:
Nr. 11
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0267
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ruhe oder Beifall. Die Schauspieler reden ihren Text weiter. Da |ie
ihn ohnehin nur recht unvollkommen beherrschen, kommt ihnen das
Skandälchen sehr gelegen. Sie wissen, kein Mensch hört mehr aus sie.

Die tiefe Stimme im Parkett beruhigt sich nicht mehr. Sie hat sich
von ihrem samtgepolslertcn Fauteuil erhoben und brüllt: „Aushören!
Vorhang herunter! Schande so was!" Und: „Wir müssen an unsere
unverdorbenen Kinder denken!"

Hinten raufen sie sich schon. Der lockende Sircnenklang eines Haus-
schlüssels schlvingt sich über daö Parkett. Ein junger Mann stürzt vor,
geradezu aus den Besucher loö, der um seine unverdorbenen Kinder so
besorgt ist: „Schande, Reaktion! Stören Sie nicht die Vorstellung, die
einen Markstein ..

„Ach wat, Markstein! Schweinerei sag ick! Vorhang runter! Wir
wollen det Banner Hochhalten ...!"

Rufe: Pro, Contra, Protest, Zustimmung. Das Publikum weiß
endlich, warum es am Sonntag Vormittag ins Theater geht.

Der junge Mann schreit gellend: „Die Vorstellung wird zu Ende
gespielt! Kein Banausentum wird uns hindern . . ."

Der Mann gröhlt: „Und nochmals Schweinerei sag ick! Was een
gutgesinnter Mann iS .. ."

Der gutgesinnte Ncann hat plötzlich eine Ohrfeige sitzen. Der junge
Mann hat sie ihm verabreicht. Der junge Mann aber ist der Dichter
selber. Er hat die Premierenschlacht gewonnen und wird bejubelt. Man
ist nun überzeugt, daß er was kann. In der ganzen Literaturgeschichte
weiß man keinen einzigen Fall, daß ein Dichter eigenhändig . ..

Der Störenfried wird aus dem Theater entfernt. Er darf sich nur
rasch seine Ohrfeige mitnehmen. Die übrigen Störenfriede auch. Die
Vorstellung kann weitergehen. Man erwärmt sich auch weiterhin nicht
sonderlich für Passauer Unmenschen -— aber in alle Welt wird cö
hinausdepcschiert: Der junge Dichter hat einen demonstrierenden Be-
sucher gevhrseigt! Der junge Passauer ist der Held des Tages.

Einen Monat später gibt es wieder eine Matinee. Diesmal ist der
Dichter zwanzigjährig, und er stammt nicht aus Passau, sondern aus
Berlin. Weshalb er sich mehr mit der Erotik der Großstadtmenschen
auseinandersetzt.

Und diesmal geht es schon im ersten Akt los.

Eine tiefe Stimme gröhlt aus dem Parkett: „Schweinerei! . .."

Man hat aber in Berlin schon einige Routine in Theaterskandalen,
weshalb sich der folgende Radau fast vorschriftsmäßig vollzieht. Man
kann es Voraussagen, in welcher Reihenfolge die Entrüstung losbrechen
wird.

Also — wieder zwei tiefe Bässe aus der Galerie ... Wieder Protest

im Parkett. . . Noch einmal: „Schweinerei!" Und: „Vorhang runter!"
Und: „Die unverdorbenen Kinder . . ."

Den zwanzigjährigen Dichter lassen die Lorbeeren deö Neunzehn-
jährigen nicht ruhen. Was jener kann, kann er auch. Er gerät mit der
tiefen Stimme im Parkett in einen heftigen Disput, als dessen Abschluß
wieder eine Ohrfeige gesetzt wird.

Ein Entrüstungssturm erhebt sich — gegen den Geohrfeigten! Man
erkennt ihn! Es ist der Störenfried vom letztenmal. Auch der dienst-
habende Kommissar hat ibn erkannt. Er wird abgesührt -— aber auch
der Dichter muß mit. Vorerst ins Dienstzimmer, das sich im Theater-
gebäude befindet. Wie sagt man doch?: Das Nationale muß festgestellt
werden. Na schön!

Im einsamen Kämmerlein fährt der diensthabende Kommissar auf
den Skandalmacher los: „Herrrr!! Ich beobachte Sie jetzt das zweite-
mal, wie Sie vorsätzlich die Premieren junger Dichter stören! Sind
Sle'ö —• oder sind Sie's nicht?!?"

Der armeTeufel steht nun ganz zerknittert vor der irdischen Gerechtig-
keit. Unbegreiflich! Es ist ein älterer Mensch, der gar nicht so aussieht,
als wäre es seine einzige Sorge im Leben, an Sonntagvormittagen das
Banner hochzuhalkcn. . . Noch einmal fragt ihn der Kommissar heftig:
„Heraus mit der Sprache! Sind Sie's — oder sind Sie's nicht?"

Der alte Mensch dreht verlegen seine Mütze: „Ick gloobe schon, det
ick'ö bin, Herr Kommissar..."

„Unerhört! Wenn Sie sich so entrüsten, warum besuchen Sie dann
das Theater? Was treibt Sie denn, zum Teufel, immer wieder hier
herein?"

Der Mann zeigt auf den Dichter: „Na, wissen Se, det junge Herr-
chen hier hat mir de Billetts geschenkt und . . ."

„Was — geschenkt?!"

„Nu ja, wissen Se — und der vorige Dichter ooch ..."

„So?! Also mit geschenkten Billetts machen Sie Skandal? Das
macht ja die Sache noch schlimmer!! Wenn Sie die Absicht hatten, zu
randalieren, dann hätten Sie die Billetts erst gar nicht annehmcn
dürfen, verstehen Sie!"

Daö Männchen macht ein verdutztes Gesicht und blickt hilfesuchend
nach dem Dichter hinüber: „Na Heren Se, Herr Kommissar — denn
hätt' ick ja ooch die zwanzig Em nicht annehmen dürfen, die mir die
Herrn Dichter gegeben haben. . ."

Wie ein Rachegott steht der Kommissar vor dem armen Sünder:
„Waaas? Zwanzig Mark haben Ihnen die Herren obendrein noch
gegeben?!?"

Nun reißt aber dein Demonstranten die Geduld:

„Ja glooben Se, Herr Kommissar, so für nisckt laß ick mir von die
Lausebengels jedesmal eene runterlangen??? . . ."

260
Register
Julius Diez: Finish
 
Annotationen