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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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Nr. 46
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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0967
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Der berühmte Jakob Casanova Hel im fünfundsechzigsten Jahr
seines Lebens zu Prag in Krankheit, und als er das Hospital verließ,
da zeigte es sich, daß der lichte Stern seines Erdendaseins ausgebrannt
»var und endgiltig erblaßt. All die Mittel und Mittelchen, mit denen
er cs seit Jahrzehnten verstanden hatte, die Menschen in den Bannkreis
seiner planvollen Verwegenheit zu ziehen, versagten, untilgbar tiefe
Schatten lagerten sich ihm ums Aug, sein Gesicht vergilbte, und durch
den kraftlosen Körper zeichnete unerbittlicher sich der Umriß jenes
knöchernen Weggefährten, der mit uns wächst, mit uns wandert und
uns zum Schluß überwältigt. Da fand sich ein adeliger Herr und
übertrug dem Greis die Obhut über seine Bibliothek auf Schloß Dur,
einem Waldsitz im Böhmischen, den er kaum jemals selber besuchte.
So war der alte Glücksritter wohl vor ärgster Bedrängnis gewahrt,
doch aß er ein bitteres Brot, denn er ward da von den schlichten
Leuten, die an seinen feineren Sitten sich anstießcn, übel behandelt
und gedemütigt, wo cs nur anging.

Indes ec aber so hinlcbte, tiefer gebeugt und immer härter ver-
einsamt, gewannen draußen in der lärmvollen Welt die denkwürdigen
Aufzeichnungen und Erinnerungen seines tollen Lebens so sehr an
Ruhm und Verbreitung, daß man sich schließlich des Schreibers selber
besann, sein Refugium aufpürte und ihn von mehr als einer Seite
mit Einladungen nach Wien, Paris, ja selbst nach Konstantinopel
bestürmte. Doch Casanova wies solche Verlockungen mannhaft und
klug von sich und blieb trotz der Armseligkeit seines neuen Zustandes
dort, wo er war, wohl wissend, daß es in Dingen dieser Erde auf
nichts so sehr ankommt wie darauf, daß einer rechtzeitig Stock und
Hut nimmt, fein Kompliment macht und geht. Dabei verstand er es,
fein lebendiges Herz, das noch drängender Wünsche und inbrünstiger
Tatkraft übervoll war, hinslattern zu lassen mit allen Winden, und
feine Freunde weitnm haben von ihm niemals frechere und fröhlichere
Briefe erhalten, als eben zu der Zeit, da er durch Wochen allein und
ohne Wartung in seiner Turmkammer auf einer Bank lag und fieberte.

Geteilte Interessen

E. S t c p h a n i
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E. Stephani: Geteilte Interessen
Robert Neumann: Besuch im Schloss
 
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