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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0985
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märe die Kontrakte durch. Die Verleger kauften Geissels Entwürfe
auf dem Halm; sogar den Romantorso „Die Zukünftigen", diesen
Schwefel. Und Ottos „Balladen". Auf „Die Zukünftigen" bekam
Ottogeisfel Vorschuß, „damit der Dichter in Ruhe schaden könne",
sagte Herr Kloß. Die Balladen —- zwei Stück —- „erwarb" die
Konkurrenz „Süddeutsche Dichterehrung" — eö war eine Luxus-
ausgabe geplant, Pergament, vom Dichter eigenhändig signiert.

Wer weiß, in welche Höhen daS Glück den dicken Otto S. noch
trug — wenn er nicht eines Abends die Unvorsichtigkeit beging, sich
neben Schabuschnigg zu sehen.

Schabuschnigg ist Reallehrcr, Mathematiker. In der Brennessel
heißt er „der Ornithologe". Ein Geschlechtöneidhammel. Er hat schon
vier Schwabinger Ehen entwurzelt, indem er „sich als Ehrenmann
verpflichtet fühlte, dem bedauernswerten Gatten die Augen zu öffnen".

Ottogeisfel also seht sich zu Schabuschnigg, und Schabuschnigg
beginnt ihn nach seinen Erfolgen anSzufcagen.

Otto entfaltet knarrend das Pfaucnrad.

Sagt Schabuschnigg hämisch: „Ja, wer
eine so betriebsanie Gattin hat..."

O.S.G. darauf: Gewiß, auch ihr gebühre
einiges Verdienst... aber den Fond — den
Fond des Ruhmes habe der Künstler eben nnt-
zubringen. Und „Freund Höfle" (der Prokurist)
habe vor, Geisseln für den Nobelpreis vorzu-
schlagen.

Schabuschnigg mit saurer Lache: Grade
Herrn HösleS Freundschaft beziehe sich offen-
sichtlich nur, nur auf die Frau Gemahlin.

Ottogeisfel widerspricht — harmlos an-
fangs — dann etwas erregter — endlich sehr
entschieden — bis sich Schabuschnigg wieder
einmal „als Ehrenmann verpflichtet fühlt":
er, Schabuschnigg wisse doch ganz genau, wie
der Romantorso... wie heißt er doch gleich?

... richtig: „Die Zukünftigen" — wie also
dieser Roman den Weg gefunden habe in den
Melpomene-Vcrlag; über Kochel nämlich,

Hotel „Grauer Bär".

„Stimmt. Da hat meine Frau den Roman
dem Höfle vorgelesen. Sie liest sehr gut."

„Drei Tage hat sie vorgelesen, Herr Geissel.

Dem Herrn Höfle. In Kochel."

„. . . Der Roman ist recht lang. . ."

„Die Gnädige hat im ,Grauen Bären'' ge-
wohnt."

„Ja. Und Freund Höfle beim Fischer am
See."

„Nein, Herr Geissel; auch Höfle im,Grauen
Bären'. Im selben Stockwerk. Sogar ini
selben Flur. Ich war damals in Kochel —
ich weiß es. Zimmer 23."

„Wer — Zimmer 23??"

„Ihr Freund Höfle und Ihre Frau Ge-
mahlin. Zimmer 23."

„Unsinn: Sie können doch nicht beide in
einem ..."

„Doch, doch. Ich weiß eö — ich war da-
mals in Kochel — ich weiß cs. Zinimer 23.

Beide. Drei Tage — Höfle und Ihre Frau
Gemahlin. Dort hat sie ihm ,Die Zukünftigen'
vorgelesen."

Ottogeisfel erhob sich; verschränkte die
Hände hinten und ging einmal stumm durchs
Lokal.

Dann schrie er: „Nein!! Nein!!" Schrie
wie ein Gorilla.

Und lief davon. nie Siel'zlAi'ührche

Schabuschnigg ist von allen sehr gezankt worden. Es ist aber nicht
wahr, daß Zöster ihn verprügelte. Die Ohrfeigen hat Schabuschnigg
erst viel später bekommen, gegen Halbeins, von Ringelnatz, der zufällig
dazukam — eine Ohrfeige von Maaßen, achtzehn von Ringelnatz und
drei von einem Fremden.

Rosemäre ist noch in der Nacht davon — angeblich nach Berlin.
Ottogeisfel war sehr unglücklich, sehr. Er hatte Rosemäre doch geliebt.
O, viel tiefer geliebt, als man glaubte.

Am ärgsten getroffen war er in seiner Eitelkeit. Er schämte sich zu
Dode. — Eine gewisse Frieda, Ncaschinenschreiberin, wohnte unterhalb
von Geissels; sie erzählt: Dag und Nacht sei Ottogeisfel durchs Zimmer
marschiert, daß die Dielen wankten.

Dann wurde eS oben still; Ottogeisfel schrieb; eine Ode vom Heiligen
Sebastian, wie sich später zeigte.

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Grete Kroch-Frischmann: Die Siebzehnjährige
 
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