Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

DOI Heft:
Nr. 47
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6659#0986
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sic Affäre in der Brennessei hatte sich Sonntag abgespielt —
Dienstag früh kommt Otto Geissel ins Büro zu Tesing. Und erzählt
ihm die Geschichte. „Herr Rechtsanwalt," sagt er, „Sie müssen die
Scheidung cinreichen."

Tesing benimmt sich sehr komisch, ist blaß, räkelt sich verwirrt, findet
schließlich den Faden, versucht Geißeln abzureden — man dürfe als
Künstler . . . man sei doch Kulturmensch, nicht Banause ...

Doch Otto ist bockbeinig. Von Verzeihen und Verstehen keine Rede.
Scheidung. Auf der Stelle: Scheidung.

Dann, sagt Tesing, soll Ottogeissel vielleicht einen anderen Anwalt
suchen — ihm, Tesing, sei peinlich, gegen Frau Rosemäre vorzugehen,
die er persönlich hochschätze.

Otto ist verschnupft; billigt aber im ganzen TesingS Haltung —

nimmt Abschied-wendet aus der Schwelle plötzlich, schreitet

auf Tesing zu und guckt ihm scharf in die Augen.

„Sic!" sagt er. „Sie auch."

Fällt in den Klientensessel, der zu diesem Zweck aufnahmsbereit da-
znstehcn scheint — und heult — heult wie ein Kind.

In dem Klicntensessel ist aus Ottogeissel die Gottesgeißel geworden
— Attila, die Gottesgeißel.

Wutschnaubend hat Attila, die GotteSgeißcl, das Büro verlassen und

ist zu Höste. — Eine Viertelstunde später hatte Höste alles unker-
scl,rieben: von den „Persischen Schwänken" werden nicht fünftausend
Stück erscheinen, sondern zwanzigtausend; bis i. Juli, voraus zahlbar.
. In der „Süddeutschen Dichterehrung" trümmerte die GokteSgeißel
ein Regal entzwei. Der Chef des Aufsichtsrates ist schwer verheiratet.
Ergebnis: ein Vertrag, ein Schuldschein.

Im Ausstcllungstheater — Oberregisseur Furtinger winselte wie ein
Hündchen; half ihm alles nichts: das Schattenspiel aufführen oder
zahlen; oder Krach. — Furtinger gab Wechsel.

Die Gottesgeißel rast mordend und plündernd durch Europa. Sadi-
stisch quält er, richtet er, vernichtet er seine Feinde.

Die GotteSgcißcl-Balladen erscheinen noch diesen Monat — in
Ballonseide; mit Goldschnitt. Don den „Ausgewählten Gedichten" jind
drei Ausgaben vorgesehen: für Liebhaber, für Büchereien, — für dag
Volk.

Beim alten Kloß ist die Gottesgeißel noch gar nicht gewesen. Den
will Attila als letzten fressen.

Der alte Kloß ist dem Selbstmord nah. Diese Schande — vor der
Frau, den großen Söhnen, vor dem Personal! Der alte Kloß hat schon
■— nur so zur Vorbereitung, um die Gottesgeißel gnädig zu stimmen —
in einem ungemein schmeichelhaften Brief um „die Ehre" gebeten, die
„Ode auf den heiligen Sebastian", sowie die drei nächsten Werke des
Meisters in erstklassiger Ausmachung herausbringen zu dürfen."

Ruth Heidebrand kommt zu Quint Heinrich Ehmscn

Aus der von der Gerhart-Hauptmann-Sttfiung zum se. Geburtstag des Dichters herausgegebenen Mappe
mit Heinrich Ehmsens Radierungen zum „Emanuel Quint"

CJ)i e ^ eichte

Von H. H. S di e ft e r

„Es geht mit mir zu Ende, Hochwürden . . .
Verzeihen Sie einem, der sterben will, daß er
Sie mitten in der Nacht rufen ließ .. .

Vielleicht hätte ich gleich beichten sollen . ..
als ich von der letzten Reise heiinkam... aber
ich sagte mir: du darfst eö dir nicht zu leicht
inachen, du mußt selbst imstande sein, zu er-
messen, wie schwer deine Schuld wiegt und
wie weit sie von deinem Verdienst ausgehoben
wird!

Doch in den drciundzwanzig Jahren, die
seither vergangen sind, konnte ich nicht mit mir
einig werden, ob ich ein verstuchter Sünder
bin, der nicht das Recht hat, mit anständigen
Leuten an einem Tisch zu sitzen, oder ein
Mensch, der einmal Pech hatte und der im
übrigen immer rechtschaffen gewesen ist und
sein Lebtag gearbeitet hat wie nur einer! Aber
ich hatte mir geschworen: Erst wenn dich der
Tod in seinen Krallen hält und du fühlst, es
kann nicht mehr länger dauern als einen Tag
oder zwei... dann darfst du reden!

Jetzt wär s so weit... Ich darf reden ...
und . .. wenn Hochwürden mir die Absolution
erteilen ... ivenn Hochwürden glauben, daß
das Verdienst gegen die Schuld ... da oben ...
bestehen kann... dann . ..

Die Luft wird schon knapp... ich werde mich
beeilen . .. Sie wollen wieder nach Hause .. .
eö ist nach Mitternacht... O — halten
Sie sich nicht länger hier auf, wenn ich hin-
über bin ... es ist nicht der Rede wert...
mir braucht niemand eine Träne nachzu-
weinen ... nur ruhig sterben will ich ... mit
der Absolution ... die ich selbst mir nicht geben
konnte ...

964
Register
Heinrich Ehmsen: Ruth Heidebrand kommt zu Quint
H. H. Schefter: Die Beichte
 
Annotationen