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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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Nr. 48
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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#1003
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J U G E

32. JAHRGANG

N D

1927 / NR. 48

:'c~Jj a m e n iv a

Skizze von Georg Hirsdifeld

Ü'Ia&imir von Szygvrski war ein Tollpatsch. Aber das wußte er
erst, als er in die Hauptstadt gekommen war. Was wollte er dort?
Nun, Dinge, die ihm wichtiger erschienen, als die Verwaltung seines
Besitzes, eines Herrengutes, das fünfzehntausend Morgen umfaßte,
strotzende Aecker, bunte Weiden, Urwald mit Hirschen und Elchen.
Und das Schloß ivar so zierlieb, wie Wladimir plump war.

Doch was verstand er unter wichtigeren Dingen? Nun, außer dem
Schneider und dem Friseur, zu dem die Edelmänner seiner Bekanntschaft
gingen, vor allem und an erster Stelle das Tanzen. Er hatte es als
Junge auf dem Gut gelernt, aber er wußte, daß es ihm nie in die
Glieder gekommen. Er war zwei Meter groß, zwei Zentner (wenn
das reichte) schwer, er war, obwohl ihm die blonde Stattlichkeil der
Szygorskis nicht mangelte, erschreckend. Wie ein einsamer Bär hatte
er bisher in seinem Walde gelebt, recht grimmig, recht blutdürstig
auch und doch plötzlich wie ein stilleg gutes Kind.

Wladimir ahnte die versteckte Bedeutung des TanzenS. Es führte
zum Weibe. Es war unumgänglich, wenn man glücklich werden wollte.

In der Hauptstadt gab eS einen „Tanzzirkel". Sonderbares Wort.
Es staeb Wladimir wie mit stählernen Spitzen, er fühlte sich angegasft,
verachtet, verhöhnt, bevor er dort war — aber er ging hin. Er sah
die einzige Gelegenheit zur Uebung.

Dieser Gesellschaft war er natürlich ebenbürtig, und seiner Er-
scheinung hatte er gegeben, >vas Schneider und Friseur vermochten.
Aber er wußte nicht, daß Eleganz das Erheiternde seiner Erscheinung
steigerte. Er bewegte sich in Frack und Lackschuben, als ob er fyagd-
joppe und Wasserstiefel trüge. „Der arme Wladimir", flüsterten seine
Freunde. „Er ist unmöglich."

Aber man wußte sich zu benehmen. Der Erbherr von Szygvrski
tanzte mit den vornehmsten jungen Damen, er sab die Blicke, er hörte
das Kichern nicht. Aber
er wirkte verheerend. Die
armen Füßchen in den
zarten Schuhen! Ein je-
des hatte etwas abbe-
kommen, und man über-
legte mit spöttischer Hei-
terkeit die Flucht.

Wladimir war nicht
dumm. Plötzlich spürte er
eine feindliche Stimmung,
weil er sich selber feind-
lich ivar. Da kam es
über ihn: er zog sich zu-
rück, er tanzte nicht mehr,
fyn einem Winkel des
Saales faß er und starrte
auf die Glücklichen. Seine
langen Beine, die den
wildesten Hengst zähm-
ten, streckte er wie hilf-
lose Anhängsel aus, die
Füße schienen in denblan-
ken Lackschuhen, die sonst
verkleinerten, noch größer
zu werden.

Dfr tanzte ein Paar an ihm vorbei, dem seine Augen folgten, bis
er es wiedersah. Der junge Mann interessierte ihn nicht — nur die
junge Dame. Sie war die beste Tänzerin des Zirkels — das verstand
auch Wladimir, das stellte er nüt Zngrinun fest. Hier sah er Auf-
hebung des Schwergewichts, angeborene Grazie. Nur hübsch war
das Mädchen nicht — es hatte rotes Haar nnd Sommersprossen,
die Nase erinnerte ein wenig an Kasperle im Puppentheater. Deshalb
eristierte Malve Skram nicht für Wladimir. Er suchte wütend nur
die Hübschen. Aber sie tanzte gut — das war nicht zu leugnen.

Einmal sah sie ihn mit ihren merkwürdigen Augen an. Da trieb
es ihn plötzlich auf. Er stolperte in den Nebenraum zum Büfett.
Dort trank er drei Glas Portwein und einen Benediktiner und einen
Kognak noch. Eigentlich ivußte er nicht, was er trank.

Mit stammendem Kopf kehrte er in den Tanzsaal zurück. Was war
da los? Man lachte, man rief einander zu, die Herren standen sämt-
lich auf der linken Seite, die Damen sämtlich auf der rechten. Wladi-
mir ging zu den Herren. Dann löste sich das Rätsel. Der hüpfende
Majtre rief mit Hahnenstimme: „Bitte zu engagieren! Damenwahl!"

Das gab ein lustigs Laufen und Haschen. Zm Nu waren die
Herren engagiert. Und tatsächlich — es blieb nur ein einziger „sitzen":
Wladimir von Szygvrski war das Mauerblümchen. Noch dazu ein
recht sichtbares! Kaum bändigte der anerzogene Takt die Heiterkeit.
Doch in Wladimir wurde der ganze Kamps seines Herrentrotzes und
seiner gekränkten Eitelkeit aufgewühlt. Es sprühte ihm vor den Augen,
der Alkohol löste ihm die Zunge, und er tat, ivaS nur ein Szygvrski
tun konnte. Der Riese tappte bis in die Mitte des Saales, er reckte
sich noch höher als sonst und rief: „Wer mich engagiert, den heirate ich!"

Man war erstarrt, empört, belustigt. Der Scherz batte auch seine
ernste Seite — das fühlten die heiratslustigen Herren. Dieser Toll-
patsch war immerhin der
reiebste Erbherr im Lande

— dafür konnte schon
manche das Abenteuer
wagen. Dafür ließ sich
ein Elflein von Elefanten-
füßen zertrampeln. So
arg war es ja nicht, aber
die eifersüchtigen Kava-
liere übertrieben gern.
Noch waren ein paar
Mädchen übrig, selt-
samerweise darunter die
beste Tänzerin des Zirkels,
aber auch sie war wohl-
habend, man brauchte
also deswegen nichts zu
fürchten — und über-
haupt: Malve Skram

— die heiratete man
nieht.

Es vergingen zwei
Minuten. Noch immer
stand " Wladimir Szy-
gvrski, wo er gestanden
hatte. Er blickte nicht auf
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Eduard Braun: Jazz
Georg Hirschfeld: Damenwahl
 
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