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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6659#1005
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I. Eberz

„Sie finden mich noch häßlicher, als ich mich selber finde?"

„Nein. 2jrf) finde dich schön."

„^sst dns möglich?"

„^feht weiß ich erst, wie schön dn bist."

„Hast du dir deine Frau nicht anders vorgestellt?"

„Nur fr wie dich — und das wußte ich nickt. Aber du? Ich bin
der große Tollpatsch."

„Du bist ein Mensch, der leiden muß. Deshalb wählte ich dick."

Nach wenigen Tagen fuhr Wladimir oon SzygoSrki mit seiner
Braut in die Heimat. Entzückt sah Malve Skram in den hohen
zottigen Wald. Der Schrei eines Hirsches tönte, und der Mond hing
gelb am seidenblauen Firmament. „Wir sind Menschen, die sich helfen,"
dachten beide.

Der Wagen hielt vor dem zierlichen Schloß der Szygorski. Wladi-
mir sprang herunter, als ob er fein graziöser Vater wäre. Malve
erhob sich, wie schönheikssichere Frauen tun. Die Dienerschaft stand
mit Blumen da.

Von Kucloll 8ck»ei<ler-8ckelcle

21 ls Schrumpf, ein soweit gebildeter Mann,
der dringend ein gutes Bild von sich benötigte,
das photographische Atelier betrat, sah er sich
einem langen, dünnen Herrn gegenüber, der
ihn von oben bis unten mit Blicken maß und
dann still und wissend vor sich hinnickte.

Schrumpf erklärte etwas betreten sein An-
liegen: „Ein Brustbild, einfach, gediegen . . ."

„Ich werde einen Christus aus Ihnen
machen", verhieß ihm zur Antwort der Photo-
graph und formte mit den Händen Rundes
in der Luft.

„Keinen Christus," ersuchte Schrumpf ver-
legen; „etwas Bürgerliches, Solides, bitte.
Ich hasse jegliche Genialität."

„Sehen Sie?!" erwiderte der Dünne mit
rätselhaftem Lächeln und geleitete Schrumpf
zu einem Stuhl.

Eine riesenhafte Kamera rollte so nahe
heran, daß Schrumpf schier erdrückt von ihr
ward; Vorhänge bewegten sich rechts und
links, oben irgendwo lockerte sich eine Metall-
stange und siel ihm fast auf den Kopf.

„Der Ausdruck soeben war ausgezeichnet",
lobte der Photograph durch die dunklen Wände
seines Kastens hindurch. „Dag wird ein feines
Bild. Wie stehen Sie übrigens zu Nietzsche?
— Etwas nach links bitte; Sie haben einen
Kopf! — Ich erfasse in der ersten Sekunde
die Wesenheit des Menschen, der vor mir
steht, intuitiv. 2lls mein Hausarzt zum ersten
Male mein Schlafgemach betrat, warf er
einen Blick auf mich und sagte: Sic sind ein
Nierenmensch. Er hat recht gehabt. So sage
ich: Ich werde einen Christus aus Ihnen
machen; Sie sind einer."

Wag für ein elendes Geschwätz! dachte
Schrumpf. „Ich habe keinen Bart", erwiderte
er so abweisend wie möglich.

Hinter dem Apparat richtete sich's lang und
dünn auf. Zwei wässerige Aeuglein hefteten
sich streng auf Schrumpf: „Wer sagt Ihnen,
daß Christus einen Bart befaß? Sie sind eine
Persönlichkeit. — Einen Moment!" Der
Photograph entschwand durch eine Nebentür.

Ob ich fliehe? erwog Schrumpf. Ist das
ein ekelhafter Kerl! — Er versuchte, um sich
auf Christuskopf zu untersuchen, sein Bild in
der glotzenden Linse deö Objektivs zu er-
haschen, doch ließ sich außer seincln weißen
Kragen nichts erkennen.

Darüber verpaßte er die Gelegenheit zur
Flucht. Der Photograph kehrte zurück, init
zwei Kassetten unter jedem 2lrm. „Wie stehen

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Register
Josef Eberz: Am Colosseum in Rom
Rudolf Schneider-Schelde: Die Photographie oder Das Menschenherz
 
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