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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

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Type Dom DTtonfnmrtre

Sic zu Lenin?" fragte er wieder plötzlich,
„Ansätze von Fanatismus finden sich in Ihren
Zügen. Die Stirn ist gvethisch. Wir werden
auch ein Prosilbild riskieren."

„Mein Kinn ist zu klein", wendete Schrumpf
sachlich ein.

„Zu klein? — Mir gefällt Ihr Kopf."

„Hauptsache!" bemerkte Schrumpf mit
galliger Lustigkeit. Jede Laune war ihm ver-
gangen. Er hatte in den Schaukästen vor-
dem Hause gute, ja ausgezeichnete Bildcr
gesehen und war deshalb heraufgekommen.
Jetzt aber bezweifelte er, daß diese Aufnahmen
von jener dünnen Spinne herrührten, und
fragte lauernd: „Sie haben daS Atelier schon
lange?"

„Ich bin der Gründer der Werkjtätte,"
warf der Photograph lässig hin; „ich und
mein Bruder, der sich zurzeit auf Reisen be-
findet."

Da haben wir'ö! dachte Schrumpf. Mit
äußerstem Mißtrauen folgte sein Blick den
Hantierungen des Künstlers, der eine eiserne
Schiene hinter ihm anbrachte und die Glieder
seines Opfers ordnete. Je unbehaglicher sich
dieses fühlte, um so mehr triumphierte jener.
Zuletzt saß oder klebte Schrumpf in der un-
behaglichsten Stellung seines Lebens auf dem
Stuhle, mit krampfhaft gespannten Muskeln,
mit verrenktem Kopf, während der Photo-
graph halblaut „Bravo!" rief.

„Bravo! — Welche Ungezwungenheit,

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welche Ruhe!" rief er; „ganz lässige Ent-
spanntheit, in der Tat vortrefflich!"

Wenn du wüßtest, dachte Schrumpf, der
im Augenblicke niemand tiefer haßte als den
Kerl vor sich. Auch sich selber haßte er mit
Inbrunst, wegen seiner Schwäche, die cS ihm
verbot, einfach aufzustehen und zu sagen:
Mein Herr, was Sie da machen, ist Blöd-
sinn! Niemals wird auf diese Weise eine
anständige Aufnahme zustande kommen; ich
habe die Ehre!

Inzwischen aber hatte der Photograph
nicht nur alle Vorbereitungen beendet, son-
dern er war sogar auf irgendeine Weise über-
haupt fertig geworden. „Danke sehr!" rief
er unvermittelt und scherzte: „Hat's wehe
getan?"

„Ja — wieso?" erstaunte Schrumpf.

Ein überlegenes Lächeln antwortete ihm,
eine beiläufige Geste.

Noch ein paar Aufnahmen wurden aus
dieselbe alberne Weise gemacht, dann erlegte
Schrumpf auf Wunsch und zur Erhöhung
seines Verdrusses eine Anzahlung von zwanzig
Mark und verließ wütend dag Atelier.

Zu Hause angelangt, erklärte er seiner Frau
in längerer, lebhafter, durch deutliche Gesten
unterstützter Rede: „Ich war beim Photo-
graphen. Ein größerer Trottel ist mir noch
gar nicht vorgekommen. Don Nietzsche faselt
er; du weißt, wer das war... — Ich hätte
einen Christuskopf; hörst du — ich! Na — ich
danke." Schrumpf lief erregt auf und ab und

schrie, fast platzend vor bitterer Befriedigung,
seine Gattin an: „Dag inögen nette Bilder
weröen! Nichts versteht der Kerl."

„Entschuldige . .setzte sie an.

Er schüttelte den Kopf und fuhr vertraulich
fort: „Weißt du, man sieht ja beim ersten
Blick, wen man vor sich hat. Man vertraut
nur seinem Eindruck nicht, aus Gerechtigkeits-
gefühl, das ist das Unglück. Als mir der Kerl
die Tür öffnete, wußte ich sofort: Niemals
wird der ivas Anständiges fertigbringen."

„Aber?" Hub sie nun an, „aber warum
hast du ihm denn nicht einfach gesagt: Ent-
schuldigen Sie, mein Herr, ich habe kein Ver-
trauen in Ihre Fähigkeiten." Sie zog die
Schultern hoch und sprach den Satz so an-
schaulich zu Schrumpf hin, als gelte er ihm.
„Du hättest doch —" Da brach sie ab und
schwieg gereizt. Ihr Blick streifte den Gatten;
sie empfand wieder einmal: Er ist kein Mann.

Schrumpf schwieg ebenfalls. Er fühlte, daß
sie ihn durchschaute, ohne ihn zu entschuldigen,
und dies kränkte ihn. Seine Wut auf den
Photographen stieg.

Die Bilder holte er nicht, aber sie kamen.
Nach einigen Tagen wurden sie gebracht. Sie
waren vorzüglich, sie hätten gar nicht besfer
ausfallen können. Schrumpf betrachtete sie
mit verlegener Nbiene; als er zu nörgeln ver-
suchte, fuhr ihm seine Frau über den Mund:
„Sie sind tadellos!"

„bind du wolltest noch," versetzte er, „daß
ich dem Photographen die Meinung sagen
sollte. Gewiß, ich harte anfangs nicht den
besten Eindruck . . . Man ist wohl skeptisch,
aber —"

„Skeptisch?" schrie sie; und diesmal hätte
eö Hellen Streit gegeben, doch Schrumpf ging
fort. Er wandelte durch die Straßen, geriet
ins Grübeln nnd landete vor dem Haus des
Photographen. Er stieg die Treppen empor
und trat ein; ihm war eingefallen, daß er den
Rest der Rechnung begleichen konnte.

Als ihm der Lichtbildner mit nahezu lüster-
ner Miene entgegenkam und ihn nach seiner
Zufriedenheit befragte, schwieg er eine Weile,
lächelte dann und meinte verbindlich: „Oh, ich
bin sehr angenehm enttäuscht."

„Enttäuscht?" erkundigte sich der Lange,
Dünne, der nur dieses Wort ausgenommen
hatte, und stach mit seinen wässerigen Aeug-
lcin zu.

„Denn," erläuterte Schrumpf, geläusig wie
noch nie, obwohl ihm ein kalter Schauder den
Rücken herrunkerrieselte, „nicht wahr —
Christuskopf und so . .. Nach diesem Gerede
hatte ich Ihnen bei Gott nichts Ordentliches
zugetraut. Ich bin —" wollte er sich ver-
breitern, doch er sah sich unterbrochen.

„Gerede, Herr?" rief ihm der Photograph,
im tiefsten Gefühl verletzt, entgegen: „Gerede,

Herr?!-Sie wollen meine Arbeit schlecht

machen, Sie kommen hierher und —"

Schrumpf winkte ab: „Nicht Ihre Arbeit,
beileibe ..." Ein fast infames Schmunzeln
umspielte seinen Mund. „Ich gebe ununi-
wundcn zu, daß meine NcenschenkenntniS mich
betrogen hat, ja, daß ich mich blamiert habe
sogar. Nicht Ihre Arbeit will ich schlecht
machen . .."

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Bill Nagel: Type vom Montmartre
 
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