ganten Bogen auf den von Schnee und Regen
fürchterlich besudelten rheinischen Asphalt.
Das rheinische Mädchen kippt seitlingS vom
Stahlroß. Es sammelt sich ein Menschen-
haufen. Der junge Mann schimpft und donner-
wettert, indem er sich bemüht, mit seinen
schmutzigen Händen die noch schmutzigere Hose
zu säubern, ohne die Missetäterin anzusehen.
Die Radlerin betrachtet mit hochrotem Kops
und entsetzten Backfischaugen ihr Werk. Jetzt
sieht der junge Mann die niedliche Sünderin
an, unterbricht sein Fluchen und sagt in ge-
rührtem Ton:
„Ach, du leelv Mädche, von dich loß ich
mich jern üwerfahre. Awer an nem anderen
Daag, wenn de Strooß nicht so drecklich es."
t> » x o (P a r i s)
„Höre mal, Boy, wir wollen ungestört sein!"
„Soweit es die sittenpolizeilichen Vorschriften zulassen, werde ich inein möglichstes für
Sie tun!"
(bi
me jo n de rbare C^Pr
emiere
Von Hans Arthur Thies
Auf der Durchreise durch Sanchopansanv,
das menschenleerste und sassadenreichste Städt-
chen des kastilischen Hochlandes, das in ver-
gangenen Zeiten einmal die gleiche Größe wie
Madrid gehabt hat (weil auch Madrid da-
mals ein Dorf war) und sich an diesem Ver-
hältnis noch heute freut, überraschte mich ein
Programm des dortigen Stadttheaters, das
für den Abend die Premiere eines Schauspiels
von Maximilians Diego y Portiones an-
kündigte. Man muß sich in der spanischen
Literaturgeschichte ein ivenig auskennen, um
meine bleberraschung zu verstehen. Maximi-
liano Diego y PortioncS hatte mit seinem
dramatischen Erstling, den er zur Zeit, als
unsere Väter jung ivaren, aus die Bretter
brachte, in ganz Spanien einen starken Erfolg
gehabt; seitdem hörte man nichts mehr von
ihm. Das heißt, außerhalb Sanchopansanoö.
Das Städtchen selbst war voll von ihm.
Er wohnte dort, ivar Ehrenbürger der Stadt
und, wie man mir erzählte, führte das Stadt-
theater jedes Jahr ein neues Stück von ihm
auf, um Madrid zu beweisen, daß man im
Gegensatz zu der verderbten Hauptstadt ver-
stehe, mit der Zeit zu gehen. Die Neugier
bewog mich, meine eilige Reise zu unterbrechen
und nachzuschaucn, was für Ursachen ver-
hindern konnten, daß von den vielen neuen
Stücken des fruchtbaren Autors nicht eines
über Sanchopansanv hinausgedrungen war.
Ich habe es nicht bereut. Es gab die seltsamste
Premiere, die ich je erlebt habe.
Ein glücklicher Zufall ließ mich gerade in
dem Augenblick die Theateraussahrt betreten,
als der Dichter seinen Wagen verließ und, aus
zwei köstliche junge Weiber, Blüten kastilischer
Kleinstadtschönheit, mit roten Rosenknospen
iin schwarzen Haar, gestützt, das Portal durch-
schritt. Seine Verehrerinnen! tuschelte es.
Seine Geliebten! zischte es dagegen. Diese
scherzhafte Kontroverse zersächelte ein respekt-
volles Gelächter — zumal der nachdrängenden
Menge der Chauffeur des Dichters folgte. Er
nahm ihm mit einfältiger Grandezza Mantel
und Hut ab und bestieg wieder den Wagen.
Ein langwieriger Vorgang übrigens; denn es
ivar ein Museumsstück aus den Anfangszeiten
des Automobilismus, eines jener hochständigen
Fuhrwerke, die aussehen, als hätte man einer
Droschke Pferd und Deichsel abgeschnitten und
als müßte der Chauffeur eigentlich noch eine
Peitsche tragen.
Meiner Loge gegenüber saß der Autor,
rechts und links von ihm die beiden Schönen.
Sein Profil, zwischen ihre Blicke geklemmt,
machte nervöse Anstrengungen, sich durch
Zerren und Reißen in eine legere Haltung zu
bringen; die Bemühung tat seinem simplen
Gesicht nicht gut. Ich horchte aufmerksam in
den Zuschauerraum, um in dem gewohnten
Summen und Rauschen eine Nuance zu ent-
decken, die bereits eine Andeutung der Sonder-
barkeit dieser Premiere enthielt; aber eö klang
wie sonst: so aufregend und bedeutend, so hohl
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fürchterlich besudelten rheinischen Asphalt.
Das rheinische Mädchen kippt seitlingS vom
Stahlroß. Es sammelt sich ein Menschen-
haufen. Der junge Mann schimpft und donner-
wettert, indem er sich bemüht, mit seinen
schmutzigen Händen die noch schmutzigere Hose
zu säubern, ohne die Missetäterin anzusehen.
Die Radlerin betrachtet mit hochrotem Kops
und entsetzten Backfischaugen ihr Werk. Jetzt
sieht der junge Mann die niedliche Sünderin
an, unterbricht sein Fluchen und sagt in ge-
rührtem Ton:
„Ach, du leelv Mädche, von dich loß ich
mich jern üwerfahre. Awer an nem anderen
Daag, wenn de Strooß nicht so drecklich es."
t> » x o (P a r i s)
„Höre mal, Boy, wir wollen ungestört sein!"
„Soweit es die sittenpolizeilichen Vorschriften zulassen, werde ich inein möglichstes für
Sie tun!"
(bi
me jo n de rbare C^Pr
emiere
Von Hans Arthur Thies
Auf der Durchreise durch Sanchopansanv,
das menschenleerste und sassadenreichste Städt-
chen des kastilischen Hochlandes, das in ver-
gangenen Zeiten einmal die gleiche Größe wie
Madrid gehabt hat (weil auch Madrid da-
mals ein Dorf war) und sich an diesem Ver-
hältnis noch heute freut, überraschte mich ein
Programm des dortigen Stadttheaters, das
für den Abend die Premiere eines Schauspiels
von Maximilians Diego y Portiones an-
kündigte. Man muß sich in der spanischen
Literaturgeschichte ein ivenig auskennen, um
meine bleberraschung zu verstehen. Maximi-
liano Diego y PortioncS hatte mit seinem
dramatischen Erstling, den er zur Zeit, als
unsere Väter jung ivaren, aus die Bretter
brachte, in ganz Spanien einen starken Erfolg
gehabt; seitdem hörte man nichts mehr von
ihm. Das heißt, außerhalb Sanchopansanoö.
Das Städtchen selbst war voll von ihm.
Er wohnte dort, ivar Ehrenbürger der Stadt
und, wie man mir erzählte, führte das Stadt-
theater jedes Jahr ein neues Stück von ihm
auf, um Madrid zu beweisen, daß man im
Gegensatz zu der verderbten Hauptstadt ver-
stehe, mit der Zeit zu gehen. Die Neugier
bewog mich, meine eilige Reise zu unterbrechen
und nachzuschaucn, was für Ursachen ver-
hindern konnten, daß von den vielen neuen
Stücken des fruchtbaren Autors nicht eines
über Sanchopansanv hinausgedrungen war.
Ich habe es nicht bereut. Es gab die seltsamste
Premiere, die ich je erlebt habe.
Ein glücklicher Zufall ließ mich gerade in
dem Augenblick die Theateraussahrt betreten,
als der Dichter seinen Wagen verließ und, aus
zwei köstliche junge Weiber, Blüten kastilischer
Kleinstadtschönheit, mit roten Rosenknospen
iin schwarzen Haar, gestützt, das Portal durch-
schritt. Seine Verehrerinnen! tuschelte es.
Seine Geliebten! zischte es dagegen. Diese
scherzhafte Kontroverse zersächelte ein respekt-
volles Gelächter — zumal der nachdrängenden
Menge der Chauffeur des Dichters folgte. Er
nahm ihm mit einfältiger Grandezza Mantel
und Hut ab und bestieg wieder den Wagen.
Ein langwieriger Vorgang übrigens; denn es
ivar ein Museumsstück aus den Anfangszeiten
des Automobilismus, eines jener hochständigen
Fuhrwerke, die aussehen, als hätte man einer
Droschke Pferd und Deichsel abgeschnitten und
als müßte der Chauffeur eigentlich noch eine
Peitsche tragen.
Meiner Loge gegenüber saß der Autor,
rechts und links von ihm die beiden Schönen.
Sein Profil, zwischen ihre Blicke geklemmt,
machte nervöse Anstrengungen, sich durch
Zerren und Reißen in eine legere Haltung zu
bringen; die Bemühung tat seinem simplen
Gesicht nicht gut. Ich horchte aufmerksam in
den Zuschauerraum, um in dem gewohnten
Summen und Rauschen eine Nuance zu ent-
decken, die bereits eine Andeutung der Sonder-
barkeit dieser Premiere enthielt; aber eö klang
wie sonst: so aufregend und bedeutend, so hohl
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