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3 2. JAHRGANG
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1927 / NR. 49
iisiveö
. Als ich an diesem Punkte meines
Lebens angekommen war, sah ich, daß eö so
mit mir nicht weiter ging. Die Depressionen,
die wie beschattende, aber endlich doch wieder
vorüberziehende Wolken die Heiterkeit meiner
Tage seit jeher umnachtet hatten, wurden in
der letzten Zeit so mächtig, so umschnürend und
jede letzten Regungen eines AnserstehenwollenS
so unentrinnbar vernichtend, daß ich fühlte,
heute oder morgen werde mich ein absolutes
und sich nie mehr lichtendes Dunkel auf ewig
und unwiederbringlich begraben. Ich war
äußerlich in dieser Zeit in einer für eine junge
Frau unerträglichen und unhaltbaren Situa-
tion: ich war allein. Ich war plötzlich, nicht
ohne mein Verschulden und durch die armselige
Lauheit sämtlicher beteiligter Herzen, aus
einem lieberflnß an Gesellschaft, Freundschaft,
ja, Liebe, — in eine völlige Isoliertheit ge-
raten, die mich lähmte, und die ich nicht mehr
durch eigene Lebendigkeit zu durchbrechen ver-
mochte. Nein, eö ging bestimmt mit mir so
nicht weiter. Denn diese Zustände, beginnend
mit einer kleinen, murmelnden Angst, steigend
in einem furiosen ors8cenckv über alle Stufen
der Verzweiflung, um erst, mit einem jähen
Stoppen, vor dem Angesicht der absoluten
Vernichtung anzuhaltcn, — diese Zu-
stände waren nichts anderes, als der
langsame, geivisse und unaufhaltsam
abschüssige Weg zur Vernichtung selbst.
Daß also etwas geschehen mußte, etwas
irgendwie Einschneidendes, AenderndeS,
die rasende Fahrt in das Dunkel Durch-
schneiöendes, das war klar. Was aber
sollte geschehen? s)ch hätte mir gerne
das Leben genommen, — ich hatte keine
Angst vor Giften, denn ich hätte mir
die komfortabelsten ausgesucht, und die
schwarze Verheißung der Revolver-
mündung flößte mir eher Respekt als
Furcht ein. Ich hätte mir bestimmt
gern dag Leben genommen, — wenn es
nur nicht für immer hätte sein müssen.
— Wenn man mir garantiert hätte,
daß die Dosis Deronal gerade hinreichte,
um mich an den Rand des Todes zu
führen und mich, nach schwerem Kampfe
mit ihm, als kleines, minimales Restchcn
von Leben doch dem Dasein wieder zn-
zuschleudern, — wenn man mir ver-
sprochen hätte, daß die nette Kugel mich
gefährlich, tief, schmerzhaft, aber r c -
parabel verletzen würde, ich hätte
gerne diesen demonstrativen, läuternden
und daS frühere Leben durchschneidenden
Von Polly T i e <&
Ausweg gewählt. Aber so ganz und gar von
einem Leben Abschied zu nehmen, das zwar
im Augenblick bitter und unerträglich erschien,
das aber doch Leben war, Leben, bei dem man
sich des ganz versteckten, scheuen und süßen
Gedankens nicht erwehren konnte, daß es viel-
leicht die Absicht hatte, hinter dieser dunklen
Wolkenwand noch einmal aufs überraschendste
und strahlendste zu beginnen, — das war
eigentlich zu viel verlangt von einer jungen
Frau ohne äußere Nachteile. — Nein, ich
konnte mich zu diesem Ausweg nicht ent-
schließen, und so oft ich auch vor dem dunklen
Trichter stand, aus dem die Vernichtung mir
entgegensah, so oft glitt ich von seinem Rande
fassungslos zurück und endete in einem ebenso
schmerzhaften wie erlösenden Weinkrampf in
den Kissen meines Bettes.
Ich glaube, es war nach dem Schlußakt
einer solchen mit mir selbst gespielten Szene, daß
mir der Gedanke an den Ausweg zum ersten
Male kam. Ich lag in meinem großen, weißen
Bett, den Kopf in dem von Tränen völlig
durchnäßten Daunenkissen, und schaute mit
dem ersten Blinzeln neu erwachenden Lebens
über die bergigen, weißen Massen meiner
Betten hinaus ans die Wand meines Zimmers,
wie ans ein fernes, wieder freundlicher leuch-
tendes Ufer. Was für eine Festung ist solch
ein Bett, dachte ich, und drehte das nasse
Kissen aus die trockene Seite um, ivaS für ein
sicheres, großes, verbarrikadiertes Schist, dem
man sich anvertrauen kann und in dem man
allen Stürmen trotzt! Hier war der Ausweg,
hier war die Rettung! Stillstand des augen-
blicklichen Lebensstnsseg, Isoliertheit aus dem
Mechanismus täglicher Verrichtungen, Durch-
brechen der verhängnisvoll abwärts rutschen-
den Dahn, — wie konnte ich es bester er-
reichen, als indem ich, — nicht mich vernichtete,
— sondern ganz einfach in den Streik trat, —
in den Bettstrcik nämlich! Natürlich würde
ich nicht hysterisch genug sein, um mich ohne
Krankheit, — einfach so, — tagelang, viel-
leicht wochenlang, ins Bett zu legen. Von
einem aber war ich überzeugt: daß ick energisck
genug sein würde, wenn mein Entschluß des
Bettstreiks einmal fest gefaßt war, auch die
Krankheit zu produzieren, die mir eine sank-
tionierte, amtlich bestätigte und nach Belieben
zu verlängernde oder abznkürzcnde Bettruhe
aufzwang.
s)n der Nacht nach diesem Entschluß geschah
etwas Seltsames: s)ch erwachte ans schweren,
ängstlichen und tiefen Träumen plötzlich
durch einen ungeheuren Schmerz. Mein
ganzer Leib, angefangen von der ober-
sten Magcngegcnd bis zum Unterleib
herab, war ein einziger, furchtbarer,
brennender Schrei. Mein Gott, dachte
ich halb betäubt, das ist wie damals, als
ich das Kind bekam! szeder Atemzug ist
ein schmerzendes Ungeheuer, die kleinste
Bewegung der Hand ein Riß mitten
durchs Weltall. Und doch, — in den
wütendsten, unbändigsten Schmerzen
kam eine sanfte und selige Gewißheit
über mich: Ich hatte es durchgesetzt, ick
hatte die Krankheit produziert, die ich
brauchte. Wie sie hieß, was sie war,
ahnte ich nicht, aber ich hatte das Zu-
trauen zu meinem Körper, daß er sich
schon das Richtige ausgesucht haben
würde und daß eS, trotz tödlichster
Schmerzen, bestimmt nichts tödliches sei.
Mit letzter Kraft klingelte ich, das
Mädchen kam, entsetzt und neugierig,
und eine Stunde später entschlief ich
unter der lieblichen Morphiumspritze des
hergerufenen, befreundeten Arztes.
Als ich am nächsten Morgen matt,
selig und mit immerhin rechr starken
Marlice Hinz Schmerzen erwachte, saß er schon
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die wie beschattende, aber endlich doch wieder
vorüberziehende Wolken die Heiterkeit meiner
Tage seit jeher umnachtet hatten, wurden in
der letzten Zeit so mächtig, so umschnürend und
jede letzten Regungen eines AnserstehenwollenS
so unentrinnbar vernichtend, daß ich fühlte,
heute oder morgen werde mich ein absolutes
und sich nie mehr lichtendes Dunkel auf ewig
und unwiederbringlich begraben. Ich war
äußerlich in dieser Zeit in einer für eine junge
Frau unerträglichen und unhaltbaren Situa-
tion: ich war allein. Ich war plötzlich, nicht
ohne mein Verschulden und durch die armselige
Lauheit sämtlicher beteiligter Herzen, aus
einem lieberflnß an Gesellschaft, Freundschaft,
ja, Liebe, — in eine völlige Isoliertheit ge-
raten, die mich lähmte, und die ich nicht mehr
durch eigene Lebendigkeit zu durchbrechen ver-
mochte. Nein, eö ging bestimmt mit mir so
nicht weiter. Denn diese Zustände, beginnend
mit einer kleinen, murmelnden Angst, steigend
in einem furiosen ors8cenckv über alle Stufen
der Verzweiflung, um erst, mit einem jähen
Stoppen, vor dem Angesicht der absoluten
Vernichtung anzuhaltcn, — diese Zu-
stände waren nichts anderes, als der
langsame, geivisse und unaufhaltsam
abschüssige Weg zur Vernichtung selbst.
Daß also etwas geschehen mußte, etwas
irgendwie Einschneidendes, AenderndeS,
die rasende Fahrt in das Dunkel Durch-
schneiöendes, das war klar. Was aber
sollte geschehen? s)ch hätte mir gerne
das Leben genommen, — ich hatte keine
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die komfortabelsten ausgesucht, und die
schwarze Verheißung der Revolver-
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gern dag Leben genommen, — wenn es
nur nicht für immer hätte sein müssen.
— Wenn man mir garantiert hätte,
daß die Dosis Deronal gerade hinreichte,
um mich an den Rand des Todes zu
führen und mich, nach schwerem Kampfe
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von Leben doch dem Dasein wieder zn-
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gefährlich, tief, schmerzhaft, aber r c -
parabel verletzen würde, ich hätte
gerne diesen demonstrativen, läuternden
und daS frühere Leben durchschneidenden
Von Polly T i e <&
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einem Leben Abschied zu nehmen, das zwar
im Augenblick bitter und unerträglich erschien,
das aber doch Leben war, Leben, bei dem man
sich des ganz versteckten, scheuen und süßen
Gedankens nicht erwehren konnte, daß es viel-
leicht die Absicht hatte, hinter dieser dunklen
Wolkenwand noch einmal aufs überraschendste
und strahlendste zu beginnen, — das war
eigentlich zu viel verlangt von einer jungen
Frau ohne äußere Nachteile. — Nein, ich
konnte mich zu diesem Ausweg nicht ent-
schließen, und so oft ich auch vor dem dunklen
Trichter stand, aus dem die Vernichtung mir
entgegensah, so oft glitt ich von seinem Rande
fassungslos zurück und endete in einem ebenso
schmerzhaften wie erlösenden Weinkrampf in
den Kissen meines Bettes.
Ich glaube, es war nach dem Schlußakt
einer solchen mit mir selbst gespielten Szene, daß
mir der Gedanke an den Ausweg zum ersten
Male kam. Ich lag in meinem großen, weißen
Bett, den Kopf in dem von Tränen völlig
durchnäßten Daunenkissen, und schaute mit
dem ersten Blinzeln neu erwachenden Lebens
über die bergigen, weißen Massen meiner
Betten hinaus ans die Wand meines Zimmers,
wie ans ein fernes, wieder freundlicher leuch-
tendes Ufer. Was für eine Festung ist solch
ein Bett, dachte ich, und drehte das nasse
Kissen aus die trockene Seite um, ivaS für ein
sicheres, großes, verbarrikadiertes Schist, dem
man sich anvertrauen kann und in dem man
allen Stürmen trotzt! Hier war der Ausweg,
hier war die Rettung! Stillstand des augen-
blicklichen Lebensstnsseg, Isoliertheit aus dem
Mechanismus täglicher Verrichtungen, Durch-
brechen der verhängnisvoll abwärts rutschen-
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— sondern ganz einfach in den Streik trat, —
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leicht wochenlang, ins Bett zu legen. Von
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s)n der Nacht nach diesem Entschluß geschah
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ein schmerzendes Ungeheuer, die kleinste
Bewegung der Hand ein Riß mitten
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wütendsten, unbändigsten Schmerzen
kam eine sanfte und selige Gewißheit
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ahnte ich nicht, aber ich hatte das Zu-
trauen zu meinem Körper, daß er sich
schon das Richtige ausgesucht haben
würde und daß eS, trotz tödlichster
Schmerzen, bestimmt nichts tödliches sei.
Mit letzter Kraft klingelte ich, das
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