Heiße JJiüroiii
D. Destreicher
geweide, eine Gallenblase, eine Harnblase und
Lungen enthält, deren Anblick beim Metzger
Sie anekelt?"
Piere wurde schwankend. „Wagen Sie den
Versuch, mein Herr," sprach der Mann. „Sie
ist schön, ihr Geist ist keineswegs leer, he wird
nur solange reden, wie Sie wollen. Wird bis-
weilen völlig schweigen; die ideale Frau."
Er berührte einen Knops, die junge Frau
wandte den Kops, lächelte und sprach mit ihrer
seltsamen Stimme: „Bleiben Sie, Pierre."
Er beugte sich zu ihr. „Lieben Sie mich
denn?"
Der Mann machte eine Bewegung. Die
Puppe neigte sich vor und ließ den blonden
Kops auf PierreS Schultern sinken. Er küßte
sie auf die Lippen.
„Pierre!" hauchte sic, und ihrem Atem ent-
strömte Veilchendust.
Pierre blieb. Das Glück, das er an brr Seite
seiner vollkommenen, stillen, nicht alternden
Geliebten genoß, war so groß, daß er bis au
sein Lebensende das seltsame Land nicht ver-
ließ. Deshalb erfuhr man auch nie etwas
Genaueres.
(Einzig berechtigte Uebertragung aus dem Französischen
von Hcrmynia Zur Mühlen.)
U i n e groteske Ballade
von Christian Morgenstern
(Mit Zeid.nung von Ernst Göhlerl)
Drei Hasen tanzen im Mondschein,
im Wiesenivinkel am See:
Der eine ist ein Löwe,
der and re eine Möwe,
der dritte ist ein Reh.
Wer fragt, der ist gerichtet,
hier wird nicht kommentiert,
hier wird an sich gedichtet,
doch fühlst du dich verpflichtet,
erheb' sie ins Geviert,
und füge dazu den Purzel
von einem Purzelbaum,
und zieh' aus dem Ganzen die Wurzel,
und träum' den Extrakt als Traum.
Dann wirst du die Hasen sehen,
im Wiesenwinkel am See,
wie sie auf silbernen Zehen
im Mond sich wunderlich drehen
als Löwe, Möwe und Reh.
„Kein von einem Gotte geleitetes Wesen ist
frei; und Fühllosigkeit ist kein Mangel."
„Sie sind nutzlos, sinnlos, künstlich, können
völlig verschwinden. . ."
„tlnd Sie selbst? Und alle Menschen?
Verschwände heute die ganze Menschheit, was
hätte sich im Weltall geändert? Die Erde
würde trotzdem wciterkreisen, falls sie wirklich
kreist."
„Lassen Sie mich fliehen!"
„Fliehen? Sind Sie nicht eben der Liebe
begegnet?"
„Der Liebe? Diese Puppe!"
„Sie ist eine Frau. Ihre Haut ist weich,
Sie wird sahnen einreden, daß sie Sie liebt.
Sie können ihre Schritte lenken und sich da-
durch ihrer Treue versichern. Ihr Lächeln hat
Sie bezaubert. Ihre Worte werden nur dann
töricht klingen, wenn die Ihren sich nicht dem
Gedanken der Frau anpassen."
„Ihrer Grammophonplatte?"
„Einerlei. Auch unser Gehirn ist weiter
nichts als ein Grammophon."
„Kann ich einen Leib lieben, der nichts als
Spulen und Zahnräder enthält?"
„Ziehen Sie einen vor, der schmutzige Ein-
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D. Destreicher
geweide, eine Gallenblase, eine Harnblase und
Lungen enthält, deren Anblick beim Metzger
Sie anekelt?"
Piere wurde schwankend. „Wagen Sie den
Versuch, mein Herr," sprach der Mann. „Sie
ist schön, ihr Geist ist keineswegs leer, he wird
nur solange reden, wie Sie wollen. Wird bis-
weilen völlig schweigen; die ideale Frau."
Er berührte einen Knops, die junge Frau
wandte den Kops, lächelte und sprach mit ihrer
seltsamen Stimme: „Bleiben Sie, Pierre."
Er beugte sich zu ihr. „Lieben Sie mich
denn?"
Der Mann machte eine Bewegung. Die
Puppe neigte sich vor und ließ den blonden
Kops auf PierreS Schultern sinken. Er küßte
sie auf die Lippen.
„Pierre!" hauchte sic, und ihrem Atem ent-
strömte Veilchendust.
Pierre blieb. Das Glück, das er an brr Seite
seiner vollkommenen, stillen, nicht alternden
Geliebten genoß, war so groß, daß er bis au
sein Lebensende das seltsame Land nicht ver-
ließ. Deshalb erfuhr man auch nie etwas
Genaueres.
(Einzig berechtigte Uebertragung aus dem Französischen
von Hcrmynia Zur Mühlen.)
U i n e groteske Ballade
von Christian Morgenstern
(Mit Zeid.nung von Ernst Göhlerl)
Drei Hasen tanzen im Mondschein,
im Wiesenivinkel am See:
Der eine ist ein Löwe,
der and re eine Möwe,
der dritte ist ein Reh.
Wer fragt, der ist gerichtet,
hier wird nicht kommentiert,
hier wird an sich gedichtet,
doch fühlst du dich verpflichtet,
erheb' sie ins Geviert,
und füge dazu den Purzel
von einem Purzelbaum,
und zieh' aus dem Ganzen die Wurzel,
und träum' den Extrakt als Traum.
Dann wirst du die Hasen sehen,
im Wiesenwinkel am See,
wie sie auf silbernen Zehen
im Mond sich wunderlich drehen
als Löwe, Möwe und Reh.
„Kein von einem Gotte geleitetes Wesen ist
frei; und Fühllosigkeit ist kein Mangel."
„Sie sind nutzlos, sinnlos, künstlich, können
völlig verschwinden. . ."
„tlnd Sie selbst? Und alle Menschen?
Verschwände heute die ganze Menschheit, was
hätte sich im Weltall geändert? Die Erde
würde trotzdem wciterkreisen, falls sie wirklich
kreist."
„Lassen Sie mich fliehen!"
„Fliehen? Sind Sie nicht eben der Liebe
begegnet?"
„Der Liebe? Diese Puppe!"
„Sie ist eine Frau. Ihre Haut ist weich,
Sie wird sahnen einreden, daß sie Sie liebt.
Sie können ihre Schritte lenken und sich da-
durch ihrer Treue versichern. Ihr Lächeln hat
Sie bezaubert. Ihre Worte werden nur dann
töricht klingen, wenn die Ihren sich nicht dem
Gedanken der Frau anpassen."
„Ihrer Grammophonplatte?"
„Einerlei. Auch unser Gehirn ist weiter
nichts als ein Grammophon."
„Kann ich einen Leib lieben, der nichts als
Spulen und Zahnräder enthält?"
„Ziehen Sie einen vor, der schmutzige Ein-
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