„©rf) ö ii c ß f) r i f f [> nu m enge l"
feäunifem Lächeln zu
Puschi hinüber, dessen
Schnäuzchen — wenn
man sich nicht ganz
täuschte — gerade
vom Christkind ge-
streichelt wurde. „Und
nun wollen wir UNS
zunächst einmal mir
der GebrauchSanlei-
lnng der Eisenbahn
befassen!" sagte, von
der ungewohnten An-
strengung erschöpft,
Herr Hagebrecht, und
begann zu lesen:
Was vermöchte das
weihnachtlich
gestimmte Kinderherz
unserer Kleinen mit
grösserer Freude er-
füllen, als die, nur
ans ff. Material
hergestellte Elektro-
Eiscnbahn ,TranS-
paziffc' in der Preis-
lage vvn 125 biü
2ffc> Mark inklusive
Verpackung, Verschickung und einjähriger
Garantie? Denken wir zurück an die plumpen,
hölzernen Bahnen unserer eigenen Kindheit,
welch gewaltiger Fortschritt, bei einer Preis-
bildung, die noch erheblich hinter dem LebenS-
haltungSindex zurücksteht!"
Nachdem Herr Hagebrecht bei der dritten
Seite der Gebrauchsanleitung angekommen
war, begannen die theoretischen Erörterungen
Frau Hagebrecht zu langweilen, und sie schaltete
deshalb die Eisenbahn an den Steckkontakt an.
In diesem Augenblick tat es einen Knax, und
gleichzeitig erloschen sämtliche Lichter des Zim-
mers, inklusive der Glühbirnen des Weihnachts-
baumeS. „Kurzschluß!" murmelte etwas un-
wirsch Herr Hagcbrecht und fügte bei: „Daß
ihr Frauen doch niemals eine Sache auöreifen
lassen könnt!" „Immer noch besser, als eine
Sache faul werden zu lassen!" erwiderte spitz
die Frau. „Was willst du damit sagen?"
grollte dumpf und drohend die Stimme des
Mannes. „Ich will sagen," schrillte es zurück,
„daß du den Anschluß an die Nküllverwertungö
G. m. b. H. vertrödelt hast und mir dcöhelb
heute nur einen Seal zu reduziertem Preis
statt des Zobels schenken konntest!" „Frech-
heit!" brüllte Herr Hagebrecht auf, schlug mit
der Faust auf den Boden und stieß sich dabei
den Beleuchtungsmast IIIA der „TranSpaziffc-
Eifenbahn" in die Hand. „Hab' ich's nicht
gesagt, daß eS wieder Krach gibt?" schnatterte
mit dem letzten Aufgebot ihrer Luft die Zel-
luloid-Ente und ging unter.
Hugdieterich hatte unterdessen mit zärtlich
durch die Dunkelheit tastenden Fingern das
Rehlein Puschi ergriffen, und als plötzlich
wieder Licht im Zimmer erstrahlte, steckte er
in der Scham, beobachtet zu sein, das Tierchen
in seine Hosentasche. Herr und Frau Hage-
brecht saßen sich von nun an mit schweigsamer
Verbissenheit gegenüber, und Hugdieterich
folgte deshalb mit Freuden dem väterlichen
Scherenschnitt von Jrmingard Strnnb
Gebot, zu Bette zu gehen. Dort legte er das
Rehlein Puschi sorglich neben sich auf das
Kiffen und küßte ihm solange den schwarzen
Lack vom Mäulchen, bis er darüber einschlief.
Einmal noch wurde er durch ein Geräusch aus
seiner Ruhe geschreckt, das so klang, als würde
ein gewichtiger Gegenstand an der Wand des
Nebenzimmers zerschmettert — Frau Hage-
brecht hatte den Kopf ihres Mannes mit dem
Waschkrug verfehlt —, und bei der hastigen,
durch den Schrecken des Knaben hervor-
„P »i ch i"
A. 2 I v 0 u [1
I( 4ilinac/ilshchI
Von Gerhard Ludwig Milau
Die Welt liegt tief in Nacht und Traum.
Erwartungsfrohes Zittern geht
Durch den geschmückten Weihnachtöbaum,
Der dunkel schon im Zimmer ffeht. —
Die Welt liegt schwer in Not und Bann.
Wo ist das Licht, das uns verblieb? —
Ich zünde stumm vier Kerzen an.
Vier Worte sind: Ich Hab dich lieb. —
gerufenen Bewegung
mußte Puschi vom
Kiffen unter die Decke
geraten sein. Denn
als Hugdieterich am
Morgen erwachte,
fand er Puschi in
jämmerlichem Zu-
stand, mit einem ab-
gebrochenen Hinter-
beinchen am Fußende
seines Bettes. „Puschi,
du liebes, armes, klei-
nes Puschilcin!" —
Das Reh gab aber
keine Antwort mehr,
denn es hatte sein
Weihnachtsstimmcheu
verloren. — Die
Wortlosigkeit des
Schmerzes zerriß
Hugdieterichs Kinder-
herz. Tränen stürzten
auS seinen Augen,
und bis er später mit
seinen Eltern am
Frühstückstisch saß,
konnte er an nichts
anderes als an PuschiS zerbrochenes Bein
denken. „Weshalb spielst du nicht mit deiner
Eisenbahn?" frug unmutig Herr Hagcbrecht.
„Ich >vill nicht!" erwiderte geguält der
Knabe und sah düster vor sich hin. „So,"
grollte der Vater, „du willst nicht mit einem
Geschenk spielen, das 125 Mark gekostet hat,
dessen anschauliche Verbildlichung moderner
DerkehrStcchnik dazu berufen scheint, dir jene
Kenntnisse der Mechanik spielend zu ver-
mitteln, die heutigen Tages — und noch mehr
in der Zukunft — als Vorbedingungen des
lohnendsten Gelderwerbes gelten können? Gut,
ich werde die Eisenbahn dem Gärtnerbuben
schenken!" „Tu' eS, Vater!" lispelte Hug-
dieterich, während ihm der Gedanke an Puschi
schon wieder Tränen in die Augen trieb. Da
sprang Herr Hagebrecht so heftig vom Tisch
auf, daß die Kaffeekanne auf den Boden
knallte, hieb dem Knaben eine Ohrfeige her-
unter und warf ihn zähneknirschend mit den
Worten „Verwöhnter Bengel!" zur Türe
hinaus. —
PuschiS Beinchen war nicht mehr aufzu-
ffnden, denn das Stubenmädchen hatte es
nnterdeffen aus dem Zimmer gefegt. Da nahm
denn Hugdieterich ein Zündhölzchen und band
es an den Stummel des abgebrochenen Deines.
Dann bettete er Puschi in einen pelzgefütterten
Fäustling und verbarg diesen sorgsam in einer
Ecke des KleiderspindeS. Jeden Abend aber,
bevor er zu Bette ging, nahm der Junge das
Rehlein heimlich aus feinem Versteck, und so
oft er eS auch mit seinem jämmerlichen Zünd-
holzstelzchen vor sich stehen sah, traten Tränen
in seine Augen. Es waren aber nicht Tränen,
die schmerzten, sie befreiten und erlösten ihn
aus der dumpffgen Enge kindlicher Selbstsucht,
sie nahmen ihn auf in die große Gemeinschaft
der vor Gottes Geschöpfen Demütigen, mit
ihnen Duldenden, jener, mit denen Friede sein
sollte auf Erden.
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feäunifem Lächeln zu
Puschi hinüber, dessen
Schnäuzchen — wenn
man sich nicht ganz
täuschte — gerade
vom Christkind ge-
streichelt wurde. „Und
nun wollen wir UNS
zunächst einmal mir
der GebrauchSanlei-
lnng der Eisenbahn
befassen!" sagte, von
der ungewohnten An-
strengung erschöpft,
Herr Hagebrecht, und
begann zu lesen:
Was vermöchte das
weihnachtlich
gestimmte Kinderherz
unserer Kleinen mit
grösserer Freude er-
füllen, als die, nur
ans ff. Material
hergestellte Elektro-
Eiscnbahn ,TranS-
paziffc' in der Preis-
lage vvn 125 biü
2ffc> Mark inklusive
Verpackung, Verschickung und einjähriger
Garantie? Denken wir zurück an die plumpen,
hölzernen Bahnen unserer eigenen Kindheit,
welch gewaltiger Fortschritt, bei einer Preis-
bildung, die noch erheblich hinter dem LebenS-
haltungSindex zurücksteht!"
Nachdem Herr Hagebrecht bei der dritten
Seite der Gebrauchsanleitung angekommen
war, begannen die theoretischen Erörterungen
Frau Hagebrecht zu langweilen, und sie schaltete
deshalb die Eisenbahn an den Steckkontakt an.
In diesem Augenblick tat es einen Knax, und
gleichzeitig erloschen sämtliche Lichter des Zim-
mers, inklusive der Glühbirnen des Weihnachts-
baumeS. „Kurzschluß!" murmelte etwas un-
wirsch Herr Hagcbrecht und fügte bei: „Daß
ihr Frauen doch niemals eine Sache auöreifen
lassen könnt!" „Immer noch besser, als eine
Sache faul werden zu lassen!" erwiderte spitz
die Frau. „Was willst du damit sagen?"
grollte dumpf und drohend die Stimme des
Mannes. „Ich will sagen," schrillte es zurück,
„daß du den Anschluß an die Nküllverwertungö
G. m. b. H. vertrödelt hast und mir dcöhelb
heute nur einen Seal zu reduziertem Preis
statt des Zobels schenken konntest!" „Frech-
heit!" brüllte Herr Hagebrecht auf, schlug mit
der Faust auf den Boden und stieß sich dabei
den Beleuchtungsmast IIIA der „TranSpaziffc-
Eifenbahn" in die Hand. „Hab' ich's nicht
gesagt, daß eS wieder Krach gibt?" schnatterte
mit dem letzten Aufgebot ihrer Luft die Zel-
luloid-Ente und ging unter.
Hugdieterich hatte unterdessen mit zärtlich
durch die Dunkelheit tastenden Fingern das
Rehlein Puschi ergriffen, und als plötzlich
wieder Licht im Zimmer erstrahlte, steckte er
in der Scham, beobachtet zu sein, das Tierchen
in seine Hosentasche. Herr und Frau Hage-
brecht saßen sich von nun an mit schweigsamer
Verbissenheit gegenüber, und Hugdieterich
folgte deshalb mit Freuden dem väterlichen
Scherenschnitt von Jrmingard Strnnb
Gebot, zu Bette zu gehen. Dort legte er das
Rehlein Puschi sorglich neben sich auf das
Kiffen und küßte ihm solange den schwarzen
Lack vom Mäulchen, bis er darüber einschlief.
Einmal noch wurde er durch ein Geräusch aus
seiner Ruhe geschreckt, das so klang, als würde
ein gewichtiger Gegenstand an der Wand des
Nebenzimmers zerschmettert — Frau Hage-
brecht hatte den Kopf ihres Mannes mit dem
Waschkrug verfehlt —, und bei der hastigen,
durch den Schrecken des Knaben hervor-
„P »i ch i"
A. 2 I v 0 u [1
I( 4ilinac/ilshchI
Von Gerhard Ludwig Milau
Die Welt liegt tief in Nacht und Traum.
Erwartungsfrohes Zittern geht
Durch den geschmückten Weihnachtöbaum,
Der dunkel schon im Zimmer ffeht. —
Die Welt liegt schwer in Not und Bann.
Wo ist das Licht, das uns verblieb? —
Ich zünde stumm vier Kerzen an.
Vier Worte sind: Ich Hab dich lieb. —
gerufenen Bewegung
mußte Puschi vom
Kiffen unter die Decke
geraten sein. Denn
als Hugdieterich am
Morgen erwachte,
fand er Puschi in
jämmerlichem Zu-
stand, mit einem ab-
gebrochenen Hinter-
beinchen am Fußende
seines Bettes. „Puschi,
du liebes, armes, klei-
nes Puschilcin!" —
Das Reh gab aber
keine Antwort mehr,
denn es hatte sein
Weihnachtsstimmcheu
verloren. — Die
Wortlosigkeit des
Schmerzes zerriß
Hugdieterichs Kinder-
herz. Tränen stürzten
auS seinen Augen,
und bis er später mit
seinen Eltern am
Frühstückstisch saß,
konnte er an nichts
anderes als an PuschiS zerbrochenes Bein
denken. „Weshalb spielst du nicht mit deiner
Eisenbahn?" frug unmutig Herr Hagcbrecht.
„Ich >vill nicht!" erwiderte geguält der
Knabe und sah düster vor sich hin. „So,"
grollte der Vater, „du willst nicht mit einem
Geschenk spielen, das 125 Mark gekostet hat,
dessen anschauliche Verbildlichung moderner
DerkehrStcchnik dazu berufen scheint, dir jene
Kenntnisse der Mechanik spielend zu ver-
mitteln, die heutigen Tages — und noch mehr
in der Zukunft — als Vorbedingungen des
lohnendsten Gelderwerbes gelten können? Gut,
ich werde die Eisenbahn dem Gärtnerbuben
schenken!" „Tu' eS, Vater!" lispelte Hug-
dieterich, während ihm der Gedanke an Puschi
schon wieder Tränen in die Augen trieb. Da
sprang Herr Hagebrecht so heftig vom Tisch
auf, daß die Kaffeekanne auf den Boden
knallte, hieb dem Knaben eine Ohrfeige her-
unter und warf ihn zähneknirschend mit den
Worten „Verwöhnter Bengel!" zur Türe
hinaus. —
PuschiS Beinchen war nicht mehr aufzu-
ffnden, denn das Stubenmädchen hatte es
nnterdeffen aus dem Zimmer gefegt. Da nahm
denn Hugdieterich ein Zündhölzchen und band
es an den Stummel des abgebrochenen Deines.
Dann bettete er Puschi in einen pelzgefütterten
Fäustling und verbarg diesen sorgsam in einer
Ecke des KleiderspindeS. Jeden Abend aber,
bevor er zu Bette ging, nahm der Junge das
Rehlein heimlich aus feinem Versteck, und so
oft er eS auch mit seinem jämmerlichen Zünd-
holzstelzchen vor sich stehen sah, traten Tränen
in seine Augen. Es waren aber nicht Tränen,
die schmerzten, sie befreiten und erlösten ihn
aus der dumpffgen Enge kindlicher Selbstsucht,
sie nahmen ihn auf in die große Gemeinschaft
der vor Gottes Geschöpfen Demütigen, mit
ihnen Duldenden, jener, mit denen Friede sein
sollte auf Erden.
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