Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 32.1927, Band 1-2 (Nr. 1-54)

DOI Heft:
Nr. 50
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6659#1048
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kinder skizzeu

Albert 21 ([mann

r

C'yJckwienö keilen im

Von Oskar

Maurus J Fontana

Neulich, knapp vor Weihnachten, war ich
mit Io und Rena ,'m Kinderspielzeugladen.
Sie: Girl und Dame in einem. Er: Gesicht
der „neuen Sachlichkeit". Mit uns betrat
den Laden ein massives Ehepaar, an dessen
Jägerhütchen und Gretchensrisur keine Pro-
blematik rührte — cs waren Menschen so-
zusagen stcrnhagelvoll besoffen von Gesund-
heit und Normalität.

Schon trat ein Verkäufer auf uns zu:
„Die Herrschaften wünschen?"

„Etwas für einen fünfjährigen Buben."

„Bitte, mir zu folgen."

Er führte uns durch Labyrinthe von Spiel-
zeug, durch Alleen von Kinderspielen. Un-
vermittelt blieb er stehen, zeigte auf einen
Karton, bespannt mit allen Jndiancrzeichen:
Kopfschmuck, Tomahawk, Pfeil und Bogen,
Mokassins und Friedenspfeife.

„Pfui," sagte Jv. „Warum nicht gleich
ein Maschinengewehr?"

„Bitte?" fragte der Verkäufer.

„DaS sind doch lauter Mvrdwcrkzeugc.
Danke, wir sind keine Militaristen."

„Pardon, wird viel gekauft", sagte der
Verkäufer.

„Don Rittergutsbesitzern", erwiderte Renö.

Innerlich klatschte ich Bravo.

Wir gingen weiter. Wieder blieb der Ver-
käufer stehen, wies auf einige Schachteln, die

ec eilfertig öffnete: Wettrennfpiele, Zusam-
menlcgspiele, Bilderwürfel. „Das wäre doch
harmlos", meinte er.

„3 u harmlos", antwortete Renö nach
einem kurzen Blick. „Das dem Kind schenken,
hieße cs zum Handlanger erziehen. Der
Rhythmus seiner Selbsttätigkeit wird nicht
angeregt. Sein schöpferisches Genie wird nicht
gesteigert. Nicht wahr. Io?"

Der Verkäufer blickte idiotisch. Io nickte nur.

Inzwischen dozierte Rene weiter: „Ergeb-
nis: Minderung des Selbstbewußtseins. In
der beeindruckbarsten Periode. Welche Gefahr
vor uns."

„Gehen wir weiter", schlug ich vor, um der
Gefahr schleunigst zu entgehen.

„Bitte", sagte der Verkäufer nach ein paar
Schritten. „Dieses Flugzeug wird aufgezogen,
kann im Awmer Kreise fliegen, diese Eisen-
bahn haben wir auch mit 2lnschluß an elek-
trischen Kontakt. Etwas für intelligente
Kinder." Es war klar, der Verkäufer wollte
sich cinschmeicheln.

„Hm", machte Renö und untersuchte mit der
Werkfreude des Mannes den Mechanismus.

„Nein", sagte sehr schnell Io. „Auch das
ist nichts. Das alles ist seelenlos technisch.
Spiel damit bringt Bobbi in die gefährliche
Nähe seelischer Verödung. Meinst du nicht
auch, Renö?"

Er meinte es auch, wenn auch etwas wort-
karg. Ich, obivohl gar nicht gefragt, stellte
bei mir fest: ja, es ist etwas daran an dem,
>vaS Jo gesagt. 2tuch dazu konnte man Bravo
sagen. 3ugleich bekam ich etwas wie 2lngst.
Wohin führten die vielen Bravo?

Eben stampfte das massive Ehepaar an
uns vorüber. Er und sie mußten gekauft
haben, was sie gesehen, ohne Unterschied,
ohne Wertung. Nein, dazu konnte man nicht
Bravo sagen. Wir hatten zwar leere Hände,
auch das war nicht gut. Nun, es würde sich
schon ändern. Erleuchtung würde uns kommen.

Jetzt war es Frau Jo, die still stand.
Eins, zwei, drei, stürzte sie sich auf einen
Wurstel, hob ihn hoch, ließ ihn alle Künste
spielen — er schnellte die Beine, warf die
Arme, verdrehte die Augen. Frau Jv lachte
Tränen, drückte den Wurstel an ihr Herz, der
dabei mit spöttischer Melancholie zu ihr
emporsah. „Gekauft", sagte ich.

„Pardon." Renö hielt den Verkäufer zu-
rück. „Der Wurstel wird nicht gekauft."

„Warum?" fragte rasch und heftig Io.

Liebenswürdig enkgegnete er: „Sv leid es
dir tut, Jo, du mußt den Wurstel aus der
Hand geben. Unserem Kind will ich dag
Selbstgefühl stärken, aber es vor Cäsarenwahn
bewahren. Die Welt ist kein Wurstel."

„klnd wenn es ein Mädchen wäre?"

1024
Register
Albert Allmann: Kinderskizzen
Oskar Maurus Fontana: Schwierigkeiten im Kinderspielzeugladen
 
Annotationen