„Ein Ball? Das empfiehlst dn: Dieses
Anfassen eines Runden, wollüstig aus den
Händen Gleitenden, hingegeben sich an die
Hände Schmiegenden?!"
„Na und ein Reifen, den man so vor sich
hin schlägt!"
„Schlagen und Hauen — nichts damit!
Erziehung zum Sadismus, wie so viele
Kinderspiele."
„Ein Malkasten. Farben. Vorlagen. Ein
Pinsel. Freilich —" ich wurde unsicher, ich
begann zu stottern und Blödsinn zu sagen —
„man must den Pinsel eintauchen, man muß
die Farbe antupfeu, man muß die Vorlage
benialen. Wenn ihr so —" Ich sah mich
im Kreis der Spielsachen um. Ich rief: „Eine
Gießkanne" und schwenkte sie.
Höhnisch lachten sie mich an. „Du willst
unser Kind zum Feminismus erziehen. Dobbi
soll doch ein Mann werden."
Donnerlvetter, da war schon wieder ein
Standpunkt, und er saß. Es war nichts da-
gegen zu sagen. Man mußte ihn anerkennen.
Herrgott, aber dann war mit Standpunkten
allein nicht zu leben, dann fraßen sie gefräßig
wie ein Myriadenschwarm von Heuschrecken
alles auf, was in unserem Dasein keck und
unbefangen zu blühen wagte. Ich kam in
einen Zustand, zu gleichen Teilen aus Trauer
und Erbitterung gemischt. Ich merkte gar
nicht, daß Jo und Renö dem AuSgang des
Lokals zustrebten. Ich beachtete gar nicht das
„Auf Wiedersehen" des Verkäufers — cS war
ein sehr freundlicher Herr. Ich wurde aus
meiner Beklemmung erst wieder geweckt, als
ich das massive Ehepaar ovr uns sah. Zwei
Laufinädel trugen hinter ihm Spielzeug,
Mann und Frau selber waren über und über
bepackt. Sie mußten alles drüber und drunter
eingekauft haben, was ihnen begegnet und
gezeigt worden war, sie hatten sich mit Spiel-
sachen für ihr einziges Kind (von dem war
im Vorübergehen immer die Rede gewesen)
eingedeckt, als käme die Sintstut. Wie die
Eltern an meiner Seite es so gut mit dem
Kind meinten, daß ihm kein Rand zu leben
übrig blieb, daß alles von der tropischen Flora
ihrer Befürchtungen und Schutzmaßnahmen
überwachsen worden war, so wurde daö Kind
des massiven Ehepaares mit Spielsachen an-
gestopft wie eine Gans, die gemästet wird,
wurde es so mit Spielsachen überschüttet, daß
die Eltern gar nicht mehr daö Kind darunter
zu sehen vermochten. Es war von toller
Komik, wie zwei Laufmädel und der Chausteur
mehrmals den Weg zum Auto machen mußten,
um alles gekaufte Spielzeug unterzubringen,
und das Paar selber dabei noch von Spiel-
sachen gekitzelt und geängstigt wurde, die ihm
ans Taschen und den an den Mantel ge-
drückten Armen wuchsen. Wir mußten laut
austachen. Nein, auch ohne Standpunkt war
das Leben nicht möglich. Die Standpunkt-
lostgkeit führte zur Fettsucht der Dummheit,
die alles aussraß, was ihr in den Weg lief.
Mit Standpunkten wieder magerte man
langsam, aber unfehlbar ab, das Leben
schwand einem unter den Augen dahin und
man kam zum Hungertod. Fatales Dilemma,
das mich da im Spielzeugladen überfiel. Welche
Schwierigkeiten! Wo war da ein Ausweg?
Auch Jo und Renö waren nicht gut gelaunt,
sie lachten nicht mehr über das vollbepackte
Ehepaar. Sie hatten an ihm gemerkt, daß
sie selber nichts in Händen hielten und daß
das, wenn auch aus Grund von Standpunkten,
ebenfalls nicht gut sei. So kamen wir ziemlich
schweigsam nach Hause.
Renö öffnete die Korridortür. Lautes Hü-
ho-Rusen des Knirpses drang an unser Ohr.
Dazu knallte eine Peitsche. Rasch waren wir
im Kinderzimmer. Bobbi beachtete weder daö
Oeffnen der Tür, noch unser Kommen. Kaum
daß er den Eltern mit der Peitsche zuwinkte.
Seine Backen glühten. Er stand aus einem
Stuhl, in der einen Hand Vaters Spazier-
stock, an den er einen Bindfaden gebunden
hatte — das war die Peitsche —, mit der
anderen zog er an einer Schnur fünf aneinan-
öergestoppelte Zigarrenschachteln, deren vor-
derste eine Lokomotive war, kenntlich an dem
aus Zeitungspapier gemachten Rauchsang.
Dazu schnaubte Dobbi wie eine richtige Berg-
lokomotive und pfiff schrille Signale. Zu allem
Ueberstuß, und obwohl eö gegen alle Logik
und Wahrscheinlichkeit war, peitschte er auf
den Eisenbahnzug ein, um ihm größere Schnel-
ligkeit zu geben.
Das Kind kümmerte sich nicht um uns
Erwachsene. Es hatte die Selbstverständlich-
keit des Lebens. Ihm war geholfen. Es spielte.
Er heißt nicht immer Jesuchrist,
der Retter, der gekommen ist,
die Seele zu erlösen
vom Irdischen und Bösen!
Bald heißt er Nacht, bald heißt er Tag,
oft hat nur einer Stunde Schlag
dich jäh emporgerissen
aus feigen Finsternissen.
Wenn sie der Wahrheit Fackel scharf
in deiner Seele Schlünde warf,
war Licht dem blinden Toren,
war Gnade dir geboren!
Und kehrte sie auch unbewußt
zurück ins Nazareth der Brust,
sie wird doch wachsend wandeln
durch all dein Sein und Handeln!
Und irgendwo und irgendwann
schau'n dich zwei Herrgottsaugen an,
wie sie dem Petrus taten:
warum du sie verraten?
O, dieser Stunde deiner Scham,
gleich einem Heiland anbetsam,
entzünde, Dank im Herzen,
die weihnachtlichen Kerzen!
A. D e N o r a
E. Qöhlert
Der Goldcscl, das praktischste Weihnachtsgeschenk
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Anfassen eines Runden, wollüstig aus den
Händen Gleitenden, hingegeben sich an die
Hände Schmiegenden?!"
„Na und ein Reifen, den man so vor sich
hin schlägt!"
„Schlagen und Hauen — nichts damit!
Erziehung zum Sadismus, wie so viele
Kinderspiele."
„Ein Malkasten. Farben. Vorlagen. Ein
Pinsel. Freilich —" ich wurde unsicher, ich
begann zu stottern und Blödsinn zu sagen —
„man must den Pinsel eintauchen, man muß
die Farbe antupfeu, man muß die Vorlage
benialen. Wenn ihr so —" Ich sah mich
im Kreis der Spielsachen um. Ich rief: „Eine
Gießkanne" und schwenkte sie.
Höhnisch lachten sie mich an. „Du willst
unser Kind zum Feminismus erziehen. Dobbi
soll doch ein Mann werden."
Donnerlvetter, da war schon wieder ein
Standpunkt, und er saß. Es war nichts da-
gegen zu sagen. Man mußte ihn anerkennen.
Herrgott, aber dann war mit Standpunkten
allein nicht zu leben, dann fraßen sie gefräßig
wie ein Myriadenschwarm von Heuschrecken
alles auf, was in unserem Dasein keck und
unbefangen zu blühen wagte. Ich kam in
einen Zustand, zu gleichen Teilen aus Trauer
und Erbitterung gemischt. Ich merkte gar
nicht, daß Jo und Renö dem AuSgang des
Lokals zustrebten. Ich beachtete gar nicht das
„Auf Wiedersehen" des Verkäufers — cS war
ein sehr freundlicher Herr. Ich wurde aus
meiner Beklemmung erst wieder geweckt, als
ich das massive Ehepaar ovr uns sah. Zwei
Laufinädel trugen hinter ihm Spielzeug,
Mann und Frau selber waren über und über
bepackt. Sie mußten alles drüber und drunter
eingekauft haben, was ihnen begegnet und
gezeigt worden war, sie hatten sich mit Spiel-
sachen für ihr einziges Kind (von dem war
im Vorübergehen immer die Rede gewesen)
eingedeckt, als käme die Sintstut. Wie die
Eltern an meiner Seite es so gut mit dem
Kind meinten, daß ihm kein Rand zu leben
übrig blieb, daß alles von der tropischen Flora
ihrer Befürchtungen und Schutzmaßnahmen
überwachsen worden war, so wurde daö Kind
des massiven Ehepaares mit Spielsachen an-
gestopft wie eine Gans, die gemästet wird,
wurde es so mit Spielsachen überschüttet, daß
die Eltern gar nicht mehr daö Kind darunter
zu sehen vermochten. Es war von toller
Komik, wie zwei Laufmädel und der Chausteur
mehrmals den Weg zum Auto machen mußten,
um alles gekaufte Spielzeug unterzubringen,
und das Paar selber dabei noch von Spiel-
sachen gekitzelt und geängstigt wurde, die ihm
ans Taschen und den an den Mantel ge-
drückten Armen wuchsen. Wir mußten laut
austachen. Nein, auch ohne Standpunkt war
das Leben nicht möglich. Die Standpunkt-
lostgkeit führte zur Fettsucht der Dummheit,
die alles aussraß, was ihr in den Weg lief.
Mit Standpunkten wieder magerte man
langsam, aber unfehlbar ab, das Leben
schwand einem unter den Augen dahin und
man kam zum Hungertod. Fatales Dilemma,
das mich da im Spielzeugladen überfiel. Welche
Schwierigkeiten! Wo war da ein Ausweg?
Auch Jo und Renö waren nicht gut gelaunt,
sie lachten nicht mehr über das vollbepackte
Ehepaar. Sie hatten an ihm gemerkt, daß
sie selber nichts in Händen hielten und daß
das, wenn auch aus Grund von Standpunkten,
ebenfalls nicht gut sei. So kamen wir ziemlich
schweigsam nach Hause.
Renö öffnete die Korridortür. Lautes Hü-
ho-Rusen des Knirpses drang an unser Ohr.
Dazu knallte eine Peitsche. Rasch waren wir
im Kinderzimmer. Bobbi beachtete weder daö
Oeffnen der Tür, noch unser Kommen. Kaum
daß er den Eltern mit der Peitsche zuwinkte.
Seine Backen glühten. Er stand aus einem
Stuhl, in der einen Hand Vaters Spazier-
stock, an den er einen Bindfaden gebunden
hatte — das war die Peitsche —, mit der
anderen zog er an einer Schnur fünf aneinan-
öergestoppelte Zigarrenschachteln, deren vor-
derste eine Lokomotive war, kenntlich an dem
aus Zeitungspapier gemachten Rauchsang.
Dazu schnaubte Dobbi wie eine richtige Berg-
lokomotive und pfiff schrille Signale. Zu allem
Ueberstuß, und obwohl eö gegen alle Logik
und Wahrscheinlichkeit war, peitschte er auf
den Eisenbahnzug ein, um ihm größere Schnel-
ligkeit zu geben.
Das Kind kümmerte sich nicht um uns
Erwachsene. Es hatte die Selbstverständlich-
keit des Lebens. Ihm war geholfen. Es spielte.
Er heißt nicht immer Jesuchrist,
der Retter, der gekommen ist,
die Seele zu erlösen
vom Irdischen und Bösen!
Bald heißt er Nacht, bald heißt er Tag,
oft hat nur einer Stunde Schlag
dich jäh emporgerissen
aus feigen Finsternissen.
Wenn sie der Wahrheit Fackel scharf
in deiner Seele Schlünde warf,
war Licht dem blinden Toren,
war Gnade dir geboren!
Und kehrte sie auch unbewußt
zurück ins Nazareth der Brust,
sie wird doch wachsend wandeln
durch all dein Sein und Handeln!
Und irgendwo und irgendwann
schau'n dich zwei Herrgottsaugen an,
wie sie dem Petrus taten:
warum du sie verraten?
O, dieser Stunde deiner Scham,
gleich einem Heiland anbetsam,
entzünde, Dank im Herzen,
die weihnachtlichen Kerzen!
A. D e N o r a
E. Qöhlert
Der Goldcscl, das praktischste Weihnachtsgeschenk
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