oder ob ihm nicht etwas Ausgefallenes zu unternehmen einfiele, ihm
und den andern zum Gaudium, •— da kommen die drei an: der Hiers,
der Franz und der tote Fuchs. Er mustert sie über den langen, breiten,
steifen Bratenrock, in dem er steckt: „Was wollts denn ihr da?" sagt
er; und denkt dabei: alle Leute haben Sonntag, nur justament der
Pfarrer nicht!
„Es ist von wegen dem Fuchs," erklärte Hiers, und lugt zuerst den
Pfarrer an und dann vorsichtig feinen Nachbarn, ob der nicht gleich
mit einem Argument daherkäme.
„Was foll's denn fein mit dem Fuchs?" fragt der Pfarrer. Und
schon hat ihn seine Neugierde. Er läuft mit den kurzen Beinen in
das Zimmer voraus, recht geschäftig, macht sich breit auf einem Stuhl,
die Hände auf die Knie gestützt, hört den Fall an, streicht sich das
blaurasierte Kinn, brummt etwas, erhebt sich wieder, beugt sich über
das tote Tier, das jetzt vor dem Ofen liegt, streicht mit den Finger-
spitzen über den erloschenen Schädel hin. Und da ist eö, als ob sich
beinahe der Schlitz der Augen öffnete und als ob ein blinder Blick
noch, über die flaumige, trockene Nase hin, erlöschend sich verlöre.
„Armes Viech," sagt der Pfarrer. Und setzt sich wieder. Der Franz,
noch länger vornübergebeugt in dieser Stube als draußen und mit den
tränenden Augen, ohne die man ihn nicht mehr denken kann, schaut bei
der Bemerkung des Pfarrers verwundert zu
dem Tier hin; man würde glauben, daß es
sich in der Wärme wohlig ausstrecke; so hin-
gegeben hält eö die steifen Pfoten von sich fort.
„Na ja, weil'S wahr ist," sagt der Pfarrer.
„Wenn man sich das so überlegt: frißt viel-
leicht unsereins nicht auch gern ein Brathendl
oder eine Enten, nicht? Man hält sich so ein
Federgesindel im Stall, und wann man ein'
Appetit d'raus kriegt, schickt man die Köchin
'raus, und die dreht so ein' Hahn den Kragen
um, als wann das gar nix wär'. Aber auf
den Fuchs, auf den hat ein jeder eine Sau-
wut. Und warum? Weil er denselben Gusto
hat wie der Mensch, der was das Ebenbild
Gottes geheißen ist."
Der Pfarrer hält das Kinn in der Hand,
schaut tiefsinnig vor sich hin, ist aber in Wahr-
heit nichts anderes als mit sich zufrieden. Der
Franz neigt den Kopf noch schiefer, betrachtet
das Tier aus dieser Perspektive zum ersten-
mal; und weiß wohl selbst nicht, was er
denkt. Aber der Hiers findet es für richtig,
einen kleinen gefälligen Lacher zu den Worten
des Pfarrers zu genehmigen; das wird sich
bezahlt machen. Dieser schüttelt jetzt freilich
den Kopf: „Wie ihr mir das da erzählt habts,
— wem von euch zwei der Balg gehören soll,
— so eine Entscheidung gibt es überhaupt
nicht." Und schreit plötzlich: „Ueberhaupt ist
das eine Lumperei, sag ich! So ein armes
Viech, sag ich, krepiert, sag ich, und die
Bauern raufen sich um seine Leich!"
„Ach was!" und der Hiers möchte mit
Hohn jede weitere Rederei zum Teufel schicken.
„Es wird sich doch für ein' studierten Herrn
ein Ausweg sinden lasten für so ein' Streit-
fall!"
„So? Meinst du? Na also, wenn du das
meinst, — du mußt es ja wissen, bist ja so ein
Rechthaberischer, — na, da werd' ich halt ein
Ausweg sinden müssen!" Und hier schneidet
der Pfarrer mit einemmal ein so helles Ge-
sicht, als ob ihm das Licht aufgegangen wäre,
und er freut sich schon über die Anerkennung,
die er sich selbst wird zollen dürfen. Ja, das
ist ein Einsall! Er springt auf, er hastet zum
Fenster, er kommt zurück, er stellt sich vor die
beiden ganz dick hin. „Ich mein' halt, wir
machen das so: warum, so frag ich, ist der ein armes Luder, der Fuchs?
Jawohl, ich frag's! Bitte! Und wer mir das sagen kann, so, daß ich
Bravo schrei', — der soll ihn haben, in Gottes Namen!"
Der Pfarrer macht ja immer solche Sprünge, das wissen sie seit
jeher. Nun grinst er den einen an, nun lacht er den andern an; nun
weidet er sich an diesen Gesichtern, die sich ratlos langziehen.
„Nun, Hiers?"
„Das ist kein Diskuriercn nicht."
„So! Und warum nicht, wann ich fragen dürft'?"
„Weil das nämlich gar kein armes Luder ist, und daher kann man's
auch nicht sagen. Es ist derselbige Fuchs, der was bei ein' jeden ein-
gebrochcn ist, wer weiß, wie viele Winter lang; und hat ihm keiner
eins ausbrennen können. Der hat den Magen sein Lebtag voller ge-
habt, Hochwürden, als so ein manches Menschenkind. Ich hätt' ihn
gern als ein Lebendiger ans Tor angenagelt, mit alle Viere, so wahr
ich da steh."
„So?" meint der Schiedsrichter, und schüttelt den Kopf, als be-
zweifle er sehr die Richtigkeit solcher Anschauung. „Und du, Franz?"
Der schüttelt den Kopf, langsam. Zupft mit den Fingern an dem
Hutband. Und meint endlich: „Was der Hiers sagt, das seh' ich ja
ein. Aber ich sag' mir halt: wann der Fuchs auch noch so viel gefressen
Vierte Klasse Max Beckmann
(Verlag Graphisches Kabinett, München, Brienncrstraße)
1043
und den andern zum Gaudium, •— da kommen die drei an: der Hiers,
der Franz und der tote Fuchs. Er mustert sie über den langen, breiten,
steifen Bratenrock, in dem er steckt: „Was wollts denn ihr da?" sagt
er; und denkt dabei: alle Leute haben Sonntag, nur justament der
Pfarrer nicht!
„Es ist von wegen dem Fuchs," erklärte Hiers, und lugt zuerst den
Pfarrer an und dann vorsichtig feinen Nachbarn, ob der nicht gleich
mit einem Argument daherkäme.
„Was foll's denn fein mit dem Fuchs?" fragt der Pfarrer. Und
schon hat ihn seine Neugierde. Er läuft mit den kurzen Beinen in
das Zimmer voraus, recht geschäftig, macht sich breit auf einem Stuhl,
die Hände auf die Knie gestützt, hört den Fall an, streicht sich das
blaurasierte Kinn, brummt etwas, erhebt sich wieder, beugt sich über
das tote Tier, das jetzt vor dem Ofen liegt, streicht mit den Finger-
spitzen über den erloschenen Schädel hin. Und da ist eö, als ob sich
beinahe der Schlitz der Augen öffnete und als ob ein blinder Blick
noch, über die flaumige, trockene Nase hin, erlöschend sich verlöre.
„Armes Viech," sagt der Pfarrer. Und setzt sich wieder. Der Franz,
noch länger vornübergebeugt in dieser Stube als draußen und mit den
tränenden Augen, ohne die man ihn nicht mehr denken kann, schaut bei
der Bemerkung des Pfarrers verwundert zu
dem Tier hin; man würde glauben, daß es
sich in der Wärme wohlig ausstrecke; so hin-
gegeben hält eö die steifen Pfoten von sich fort.
„Na ja, weil'S wahr ist," sagt der Pfarrer.
„Wenn man sich das so überlegt: frißt viel-
leicht unsereins nicht auch gern ein Brathendl
oder eine Enten, nicht? Man hält sich so ein
Federgesindel im Stall, und wann man ein'
Appetit d'raus kriegt, schickt man die Köchin
'raus, und die dreht so ein' Hahn den Kragen
um, als wann das gar nix wär'. Aber auf
den Fuchs, auf den hat ein jeder eine Sau-
wut. Und warum? Weil er denselben Gusto
hat wie der Mensch, der was das Ebenbild
Gottes geheißen ist."
Der Pfarrer hält das Kinn in der Hand,
schaut tiefsinnig vor sich hin, ist aber in Wahr-
heit nichts anderes als mit sich zufrieden. Der
Franz neigt den Kopf noch schiefer, betrachtet
das Tier aus dieser Perspektive zum ersten-
mal; und weiß wohl selbst nicht, was er
denkt. Aber der Hiers findet es für richtig,
einen kleinen gefälligen Lacher zu den Worten
des Pfarrers zu genehmigen; das wird sich
bezahlt machen. Dieser schüttelt jetzt freilich
den Kopf: „Wie ihr mir das da erzählt habts,
— wem von euch zwei der Balg gehören soll,
— so eine Entscheidung gibt es überhaupt
nicht." Und schreit plötzlich: „Ueberhaupt ist
das eine Lumperei, sag ich! So ein armes
Viech, sag ich, krepiert, sag ich, und die
Bauern raufen sich um seine Leich!"
„Ach was!" und der Hiers möchte mit
Hohn jede weitere Rederei zum Teufel schicken.
„Es wird sich doch für ein' studierten Herrn
ein Ausweg sinden lasten für so ein' Streit-
fall!"
„So? Meinst du? Na also, wenn du das
meinst, — du mußt es ja wissen, bist ja so ein
Rechthaberischer, — na, da werd' ich halt ein
Ausweg sinden müssen!" Und hier schneidet
der Pfarrer mit einemmal ein so helles Ge-
sicht, als ob ihm das Licht aufgegangen wäre,
und er freut sich schon über die Anerkennung,
die er sich selbst wird zollen dürfen. Ja, das
ist ein Einsall! Er springt auf, er hastet zum
Fenster, er kommt zurück, er stellt sich vor die
beiden ganz dick hin. „Ich mein' halt, wir
machen das so: warum, so frag ich, ist der ein armes Luder, der Fuchs?
Jawohl, ich frag's! Bitte! Und wer mir das sagen kann, so, daß ich
Bravo schrei', — der soll ihn haben, in Gottes Namen!"
Der Pfarrer macht ja immer solche Sprünge, das wissen sie seit
jeher. Nun grinst er den einen an, nun lacht er den andern an; nun
weidet er sich an diesen Gesichtern, die sich ratlos langziehen.
„Nun, Hiers?"
„Das ist kein Diskuriercn nicht."
„So! Und warum nicht, wann ich fragen dürft'?"
„Weil das nämlich gar kein armes Luder ist, und daher kann man's
auch nicht sagen. Es ist derselbige Fuchs, der was bei ein' jeden ein-
gebrochcn ist, wer weiß, wie viele Winter lang; und hat ihm keiner
eins ausbrennen können. Der hat den Magen sein Lebtag voller ge-
habt, Hochwürden, als so ein manches Menschenkind. Ich hätt' ihn
gern als ein Lebendiger ans Tor angenagelt, mit alle Viere, so wahr
ich da steh."
„So?" meint der Schiedsrichter, und schüttelt den Kopf, als be-
zweifle er sehr die Richtigkeit solcher Anschauung. „Und du, Franz?"
Der schüttelt den Kopf, langsam. Zupft mit den Fingern an dem
Hutband. Und meint endlich: „Was der Hiers sagt, das seh' ich ja
ein. Aber ich sag' mir halt: wann der Fuchs auch noch so viel gefressen
Vierte Klasse Max Beckmann
(Verlag Graphisches Kabinett, München, Brienncrstraße)
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