Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
J U G

3 3. .IAH R G A N G

D

19 2 8 / N R. 2

D 0 KTOR WOITSCHEK

Von Hans Reisiger

„Dreht euch nicht rum, Doktor Woitschek geht um", sagten die
heiratsfähigen jungen Mädchen der loürdigen Stadt L.; denn ver-
läßlichen Berichten zufolge »varcn die üblichen Anzeichen des „Braut-
siebers" an dem Beherrscher der Obersekunda des humanistischen
Gymnasiums zu L. neuerdings bemerkbar geworden.

„Diesmal bist du dran, Hedel", eiferten die Freundinnen, die er-
schreckte Hedwig Becker umringend, und wetteten um Kinobilletts. „Du
bist daS Opferlamm," zwitscherten sie, „du mußt bluten für deine
teuren Brüder." Denn von Versetzungsängsten zermürbt, die Seelen
mit mathematischen Pfeilspitzen und Widerhaken gespickt, krümmten

sich die Gebrüder Becker unter den die Exekution vorbereitenden Folter-
werkzeugen Doktor Woitscheks.

Gewaltig und dramatisch, großen Stils, mit ausschweifenden Ge-
bärden und Worten übte Doktor Woitschek diese Folter. Die braunen
Kugelaugen quollen ihm aus dem Kopf; Wellen dunkler Glut jagten
ihm, wie Abendrot in Gewitterwolken, über den mächtigen Globus der
Stirn, den hinterwärts die gesträubte Waldung des bräunlichen Haars
überstieg; die Nüstern blähten sich über den Borsten des Bärtchens,
das die Oberlippe grimmig zierte und das von den knotig gekrümmten
Fingern der linken Hand unablässig auSeinandergesprcizt wurde.

R e i t s t u n d c

H c i» r i ch K l c >>
Register
Heinrich Kley: Reitstunde
Hans Reisiger: Doktor Woitschek
 
Annotationen